Luzerner trägt gerne Rock und Strumpfhosen

«Früher war es ein Privileg für Männer, Bein zu zeigen»

Johann kam vor vier Jahren auf den Geschmack, Röcke zu tragen. (Bild: Caroline Mohnke)

An diesen ersten warmen Frühlingstagen des Jahres zieht Johann am Luzerner Quai nahezu alle Blicke auf sich: Verblüffte, verdutzte, entgeisterte, bewundernde, erstaunte. Nicht ohne Grund: Der 61-jährige Luzerner ist überzeugter Strumpfhosen- und Rockträger.

«Als kleiner Bub freute ich mich im Sommer immer auf den Winter», sagt Johann. «Denn dann durfte ich statt den verhassten Kniesocken, die überall zwackten und runterrutschten, wieder Strumpfhosen tragen.» Es sei in der Familie Tradition gewesen, dass die jüngeren Kinder Kleider der älteren Geschwister nachtragen, und da kam er mit vier älteren Schwestern voll in den Genuss in Sachen Strumpfhosen.

«Ich erinnere mich noch an die rote mit dem Zopfmuster meiner Schwester, das war mein Lieblingsmodell. Denn die Bubenmodelle waren meistens dunkelblau», erzählt der sportliche Rockträger. Die Herrenstrumpfhose diente als Ersatz für lange Unterhosen und sei besonders bei jungen Männern bis Ende der 70er-Jahre sehr beliebt gewesen. «Welcher junge Mann wollte schon in altväterischen langen Unterhosen herumlaufen, selbst wenn man sie nicht sah?», sagt Johann und lacht dabei.

Historischer Wandel

Johann könnte stundenlang über die Geschichte der Mode erzählen. Sein Wissen darüber scheint unendlich zu sein.

«In der Schule nähten wir Fasnachtskleider.» So begann er, sich mehr und mehr für die Mode und ihre Geschichte zu interessieren. Er erzählt von der Biedermeierzeit um 1840, als die Männer Gehröcke und Fracks trugen und blickt noch weiter zurück: «Im Barock- und Rokoko-Zeitalter – also im 17. und 18. Jahrhundert – stand die Männermode der Mode der Damen in nichts nach.»

Die Herren kleideten sich aufwendig und apart: Dazu gehörte eine Kniebundhose, die man mit Seidenstrümpfen oder Strumpfhosen kombinierte. Zur Krönung trug Mann Schuh mit Absatz. «Früher war es ein Privileg für Männer, Bein zu zeigen», sagt Johann. Die Frauen verhüllten sie schamhaft zu dieser Zeit. In den Kriegszeiten erkämpften sie sich das Recht, Hosen zu tragen, sagt Johann.

Es kostete ihn ein wenig Überwindung

Doch wie kam es, dass Johann gerne auch mal einen Rock trägt? Der gelernte Sanitär-Installateur: «Vor ziemlich genau vier Jahren dachte ich mir: warum nicht mal ein Rock statt immer nur Hosen?», erzählt er. Dazu trägt er ausschliesslich Sneakers, und sowohl im Sommer wie auch Winter Strumpfhosen – zu jedem Anlass.

«Eine Strumpfhose und Rock ist nicht immer praktisch, aber bequem.»

«Eine Strumpfhose und Rock ist nicht immer praktisch, aber bequem», sagt er. Im Sommer schütze die feine Beinbekleidung sogar noch vor der Sonne. Doch anfangs habe er Bedenken gehabt. Es habe eine gewisse Überwindung gebraucht, mit einem Rock herumzulaufen. Doch zwischenzeitlich kümmern ihn die verdutzten Blicke nicht mehr.

Frei von modischen Zwängen

«Ein Rock ist einfach angenehmer zu tragen als eine Hose», das sei der Hauptgrund, warum er sich wage, mit Röcken unter die Leute zu gehen. Es gehe ihm auch darum, sich von modischen Zwängen, die es eigentlich gar nicht gibt, zu befreien. Johann mag es bunt. Nichts ist ihm mehr ein Gräuel als triste Farben zu tragen.

«Das Leben ist zu kurz, um sich langweilig zu kleiden.»

«Das Leben ist zu kurz, um sich langweilig zu kleiden», sagt er und fügt an, dass er seinen eigenen Stil habe und sein Umfeld damit leben müsse. Es gebe Leute, die sich deswegen von ihm abgewendet haben, das sei ihr gutes Recht. Genauso wie es sein Recht sei, sich nicht nullachtfünfzehn zu kleiden.

Das Leben sei zu kurz, um sich langweilig zu kleiden, findet Johann. (Bild: Caroline Mohnke)

Er ist durchorganisiert

Strumpfhosen trage er schon länger als Röcke. Johann greift in seine Jeansjackentasche, in der er eine gekonnt zusammengelegte Ersatzstrumpfhose in einem Plastiksäckchen präsentiert. «In jeder Jackentasche habe ich eine Ersatzhose, denn vor Laufmaschen ist keiner gefeit», sagt er und lacht. Früher habe man die kostbaren, edlen und feinen Beinkleider in wunderschönen Strumpfmäppchen aufbewahrt.

Daheim habe er in seinem Winterzimmer eine einzige Kleiderstange. «Bei mir hat alles seinen Platz und morgens muss alles griffbereit sein.» Johann ist Frühaufsteher. Meistens stehe er um 4.30 Uhr auf, spätestens aber um 5 Uhr. «Die Morgenstunden sind die schönsten Stunden. Man ist frisch im Kopf und im Geist», sagt Johann, der heute im Detailhandel tätig ist. Frühmorgens wolle er nicht noch lange nach den Kleidern suchen. «Ich bin ein durch und durch praktisch denkender Mensch.»

Mit dem Wanderrock geht Johann in die Berge

Mit Rock und Strumpfhose steigt Johann auch in die Berge. «Ich bin kein geselliger Mensch und ziehe die Ruhe vor», sagt er. Etwas vom erholsamsten sei eine Bergwanderung oder Radtour frühmorgens. Am liebsten im praktischen Wanderrock mit integrierter Hose, meistens aber in Shorts. Aber nicht ohne Strumpfhose, weil sie doch noch ein wenig praktischer seien.

Wenn er zuhause in seinem Altbau ist, schaut er gerne Filme oder recherchiert über Mode und Geschichte. Es könne schon mal vorkommen, dass er im Winter, wenn er von der Arbeit nach Hause komme, nur Plusgrade im einstelligen Bereich im Haus vorfinde. «Ich heize nur, wenn ich zuhause bin.» Die Zeit ist gekommen – für den Umzug in das Frühlingszimmer.

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