«Entweder man macht mit, oder man verlässt die Stadt»
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Nicole wohnt mitten in Luzern. Während der Fasnacht ist dort an Ruhe nicht mehr zu denken. Die 36-Jährige gibt einen Einblick, wie es sich inmitten der Fasnacht lebt.
Noch ist es ruhig auf dem Platz mitten in der Stadt Luzern, beim Besuch von zentralplus, wenige Tage vor Fasnachtsbeginn. Nicole steht am Fenster mit den schönen Verzierungen aus früheren Jahrhunderten und schaut hinunter auf den Platz. Touristen ziehen vorüber. Ein Lieferwagen parkiert rückwärts vor einem Geschäft ein. Nur wenige Passantinnen sind unterwegs. Es fällt leichter Nieselregen. «Hoffentlich regnet es die nächsten Tage nicht», sagt Nicole. Auch wenn sie die Ruhe im Moment noch geniesst, sie freut sich auf die kommende Zeit.
Schon bald wird es direkt unterhalb ihres Wohnzimmerfensters ganz anders aussehen. Wenn die ersten Wagen auf den Platz fahren, steigt bei Nicole die Vorfreude. Und dann ist es mit der Ruhe vorbei: Tagelang wird die Stadt von Fasnächtlern in Beschlag genommen. Guuggen ziehen rund um die Uhr durch die Gassen, Theatergruppen führen lärmend ihre Stücke auf und Kostümierte und Fasnächtlerinnen aller Art besetzen jeden freien Quadratmeter in der Luzerner Innenstadt.
Türschlitze mit Tüchern abgedichtet – vergebens
«Ja, das ist schon sehr laut», sagt die 36-Jährige. Seit vier Jahren wohnt sie im Herzen Luzerns. Es ist eine kleine, aber schmucke Wohnung im dritten Stock. An der Decke des Wohnzimmers führen dicke Holzbalken entlang. Malereien und Blumenmuster zieren die alten Fensterrahmen. Zuvor wohnte sie im Tribschenquartier. Ursprünglich kommt sie aus dem Zürcher Oberland. Ein wenig einen Kulturschock habe sie schon erlitten, als sie in die Innenstadt gezogen sei.
«Schlafen geht während diesen Tagen wirklich nur schlecht», sagt Nicole und schmunzelt. Im ersten Jahr, als sie in die Innenstadt gezogen sei, habe sei während der Fasnachtszeit eine Grippe erwischt. Viel Ruhe, lautete die Kur. Unmöglich. «Ich versuchte die Spalten unter der Türe zu meinem Schlafzimmer mit Tüchern abzudichten, um den Lärm wenigstens etwas zu dämpfen. Keine Chance.»
Wenn Nicole diese Anekdoten erzählt, muss sie immer wieder lachen. Denn auch wenn es während der Fasnacht im alten Haus laut ist, der 36-Jährigen gefällt es.
Wer wohnt denn hier?
In unserer losen Serie «Wer wohnt denn hier?» blickt zentralplus hinter verschlossene Türen oder Zäune von aussergewöhnlichen Häusern in Luzern und Zug. Vorgestellt werden jene Personen, die darin wohnen.
«Wurde zwangsläufig zur Fasnächtlerin»
«Ich finde das toll, wenn etwas läuft in der Stadt. Als ich hierhin gezogen bin, bin ich zwangsläufig zur Fasnächtlerin geworden.» Sie sagt das mit Begeisterung. Bevor sie in die Innenstadt gezogen sei, habe sie mit der Fasnacht nicht allzu viel anfangen können. Das bunte Treiben direkt vor der eigenen Haustüre hat sich schliesslich aber mitgerissen.
Ihr Kostüm steht bereits in einem Sack parat auf dem Esstisch. Eine gelbe Giesskanne mit abgesägtem Hals lugt aus dem Sack hervor. Daneben stehen ebenso gelbe Gummistiefel. Es sei ein «Schnapszwerg» erzählt die gebürtige Zürcherin lachend. Den Ingwerschnaps für sich und ihre Freunde – ganze neun Liter – stellt sie selbst her.
«Ja, der Alkohol ist halt auch dabei», gibt sie zu. Auch wenn er keine grosse Rolle spiele. «Mir gefällt an der Fasnacht vor allem, wie die verschiedensten Menschen zusammenkommen», schwärmt Nicole. Und wenn die Party doch mal etwas wilder werde, dann sei die Lage ihrer Wohnung mitten in der Stadt ein Pluspunkt. Der Heimweg ist kurz und wenn sie mal eine Pause brauche oder sich aufwärmen wolle, könne sie sich jederzeit zurückziehen.
Nachbarn verlassen jeweils alle die Stadt
Wenn sie nicht im Getümmel der Fasnacht unterwegs sei, geniesst sie es, am Fenster zu stehen und auf dieses hinabzublicken. Es seien oft lustige Szenen, die sie beobachten könne. «Zum Beispiel, wenn ein Mitglied einer Guugge unter der Maske zu wenig sieht und sich immer weiter von seiner Gruppe entfernt.» Es sind solche Momente, die wohl nur der Blick aus der Vogelperspektive offenbart.
Neben den 36-Jährigen wohnen noch zwei weitere Parteien im Haus. Soweit sie wisse, würden diese während der Fasnacht jeweils verreisen. «Entweder man macht voll mit oder man verlässt die Stadt. Etwas zwischendurch funktioniert schlicht und einfach nicht.»
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Sie selbst arbeite an der Fasnacht Teilzeit in einer Bar in der Stadt. Ins Büro nach Zürich, wo sie sonst arbeitet, schaffe sie es sowieso nicht. Da könne sie gleich freinehmen.
«So lange ich hier wohne, gehe ich an die Fasnacht»
Während sie erzählt fängt sie an, ihr Kostüm zu sichten. Ist alles noch da? Muss etwas repariert werden? Nachher wolle sie den Ingwerschnaps vorbereiten. Währenddessen packen ihre Nachbarn wahrscheinlich schon die Koffer.
So lange sie noch in ihrer jetzigen Wohnung wohne, wolle sie an der Fasnacht teilnehmen, erzählt Nicole. Verleidet sei es ihr noch nicht. Obwohl: «Langsam kommt schon auch der Wunsch auf, wieder aufs Land zu ziehen. Dorthin, wo es etwas ruhiger und beschaulicher ist.»
Noch sei dieser Wunsch aber nicht stark. «In ein paar Jahren vielleicht», sagt sie und schmunzelt. Vorerst macht sie noch mit. Der «Schnapszwerg» will seine Behausung inmitten der Fasnacht noch nicht verlassen.
- Persönliches Treffen mit Nicole