Zufall führte sie zusammen, nun wollen sie zusammen bleiben (von links): Dave Spengeler, Yolanda Keiser, Sara Liz Marty, Werner Grützer, Christian Ulmann, Severin Hofer und Hans Peter Müller. (Bild: mik)
Am Ibelweg 20 in der Stadt Zug steht eine einzigartige Schreinerei. Im Erdgeschoss fliegen Späne, im ersten Stock Ideen, Farben und Wörter umher. Immer wieder findet ihre Arbeit zusammen – doch die Gemeinschaft ist bedroht.
Es riecht auch vier Jahre nach dem Konkurs noch immer nach Holz und Leim. Aber nicht nur. Der Geruch von Farbe und frischem Kaffee zieht durch die Gänge. Im Atelier «ChaCha» steht ein Dromedar, ein Künstler hatte es vor einiger Zeit aus dem Schaufenster eines Spielzeugladens gerettet (zentralplus berichtete). Rund um das Trampeltier finden sich Ateliers, Werkstätten oder Programmierplätze.
In einer ehemaligen Schreinerei haben sich gut zwei Dutzend Personen für eine Art «Arbeits-WG» zusammengefunden. Auf zwei Stockwerken verteilt finden sich verschiedenste Personen zusammen, um gemeinsam und nebeneinander zu arbeiten. Das Wort «Co-Working-Space» wird der Gemeinschaft nicht wirklich gerecht, wie sich bei einem Besuch zeigt.
Weiterlesen, sonst verpasst du:
weshalb die Gemeinschaft zügeln muss
wie schwierig es ist, eine neue Bleibe zu finden
weshalb sie alle miteinander zügeln wollen
Wo der Schreiner dem Programmierer hilft – und umgekehrt
Im Erdgeschoss wird noch immer mit Holz gewerkelt: freischaffende Schreiner kauften die ehemalige Schreinerei Baumgartner als Konkursmasse. Seither werkeln inzwischen sechs verschiedene Holzwerker in der Werkstatt. Sie teilen sich Maschinen, die sie sich als Einzelunternehmer nicht leisten könnten. Oder legen auch mal Hand an, wenn eine schwere Tischplatte zum Leimen gedreht oder angehoben werden muss.
Weiter im Haus finden sich ein Programmierer, der hier arbeitet und sich nebenbei ein Holzboot baut. Ein Industrietechniker. Ein Künstler, der sich dem Sieb- und 3-D-Druck verschrieben hat. Eine Textildesignerin. Ein Industriesattler. Eine wissenschaftliche Illustratorin. Ein Webdesigner. Ein Geschichtenerzähler. Gar ein Treuhänder findet sich in der Gemeinschaft.
Und obwohl die Tätigkeiten zum Teil unterschiedlicher nicht sein könnten, finden sie immer wieder zueinander und unterstützen sich gegenseitig. Der Siebdrucker gestaltet die Bandshirts für den Musiker. Der Programmierer holt sich beim Schreiner eine Einschätzung für sein Boot. Der Webdesigner erstellt die Website der Illustratorin. Diese wiederum fertigt eine Illustration für das neue Projekt der Textildesignerin. Und holt sich dazwischen die Meinung der kreativen Köpfe um sich herum ab. Der Schreiner klopft oben an, wenn ihm grad zwei Hände für den Transport fehlen. «Ich habe eigentlich mit jedem im Haus schon zusammengearbeitet», sagt Schreiner Christian Ulmann.
Wohnungen statt Werkstatt
Doch dieses gemeinsame «Gewusel», wie es von jemandem liebevoll bezeichnet wird, ist bedroht. Der Grund prangt auf einer Holztafel an einer Laterne vor dem Gebäude: Die alte Schreinerei soll einer modernen Wohnüberbauung weichen. Die Bauherrin, die PLB Immobilien AG, will zwei neue Holzgebäude bauen. Sie plant 30 helle 2,5-Zimmer- bis 5,5-Zimmer-Wohnungen, hinzu kommen drei Atelierlofts. Nach Plan sollen die Bagger im Sommer bis Spätherbst 2025 auffahren. Die Baueingabe erfolge in den nächsten Monaten, heisst es auf Anfrage.
Neu sind der Gemeinschaft die Pläne nicht. Es war für alle von Anfang an klar, dass dies nur eine Zwischennutzung ist. Doch sie wollen auch nach dem Ende der Schreinerei zusammenbleiben. «Wir alle kommen gern hier hin. Manchmal nicht mal, um produktiv zu sein, sondern um gemeinsam einen Kaffee zu trinken», so Ulmann. Man kocht und isst mittags zusammen, abends wird es auch gern mal etwas später.
Kann das ganze Haus zügeln?
Nur: Einen Raum zu finden, der die Bedürfnisse aller befriedigt, scheint in Zug unmöglich. Die Schreiner suchen seit zwei Jahren erfolglos, der Rest der Gemeinschaft seit rund einem halben Jahr. «Am liebsten würden wir einfach das Haus mit einem Helikopter umpflanzen», so Severin Hofer. Dabei wären ihre Bedürfnisse relativ bescheiden, wie die Gemeinschaft betont.
Es soll nicht von der Decke tropfen und im Winter nicht zu kalt und im Sommer nicht zu heiss sein. Zentral in Zug oder Baar gelegen, damit diejenigen, die von Luzern oder Zürich kommen, keine Weltreise machen müssten und die Schreiner nahe an ihren Kunden sind. Nicht zu chic sein, damit es auch Farbtupfer oder Späne am Boden verträgt. Ein WC soll es haben, Küche optional, die können sie selbst zusammenschustern. Die Anforderung, die wohl die grösste Krux ist: rund 700 Quadratmeter Platz, am besten über zwei Stockwerke verteilt. Damit der Treuhänder seine Zahlen jonglieren kann, ohne von kreischenden Sägeblättern gestört zu werden.
Für ihren Atelier- respektive Arbeitsplatz zahlt derzeit jeder 220 Franken pro Monat. Ein günstiger Preis – unter anderem, weil es eine Zwischennutzung ist. Doch, wie Hofer sagt, seien alle bereit, etwas mehr zu zahlen. Denn sie sehen den Wert ihrer Gemeinschaft – und wenden sich nun an die Öffentlichkeit, in der Hoffnung, diese zu erhalten.
Ist Zug realistisch?
Denn mit jedem Monat, den sie länger suchen, droht die Gemeinschaft zu zerstückeln. Die Kunst- und Kulturschaffenden könnten vielleicht in gemeinsamen Ateliers unterkommen – doch dafür würden sich wohl der Webdesigner oder der Buchhalter nicht qualifizieren. Oder der Gemeinschaft droht das Schicksal vieler anderer Zuger, die ihren Heimatkanton verlassen mussten (zentralplus berichtete). Zwar hätten die Schreiner schon ennet den Grenzen gesucht – doch sie wollen eigentlich hier bleiben. «Die meisten meiner Kunden kommen von hier. Wieso soll ich nach Zürich, um hier zu arbeiten?», fragt Ulmann. «Als Handwerker kommt man sich schon etwas verdrängt vor», pflichtet Hans Peter Müller ihm bei.
Zudem soll es für solch eine Gemeinschaft Platz haben in Zug, finden die gebürtigen Zuger. «Ich kenne kein vergleichbares Projekt, wo Kreativität und Gewerbe so nahe zusammen sind», sagt Designerin Sara Liz Marty. Die Stadt Zug habe so etwas Ähnliches mit ihrem «Tandemprojekt» bereits durchgeführt. Dabei stellten Detaillisten gratis Flächen zur Verfügung, auf denen Kunst- und Kulturschaffende während rund eines Monats mitten im Laden kreierten. Die teilnehmenden Geschäfte erhielten Beiträge von Stadt und Stiftungen (zentralplus berichtete). «Aber wir machen das 24/7 und ergebnisoffener», sagt Severin Hofer. Wäre ihre Gemeinschaft am Reissbrett der Verwaltung entstanden, hätte man sie wohl als «Leuchtturmprojekt» bezeichnet, witzelt er.
Ob dieses «Projekt» weitergeht, entscheidet sich in den nächsten Monaten. Und ob ein Schreiner ohne Nachfolger oder eine Besitzerin eines grossen Gewerbebaus der ungewöhnlichen Gemeinschaft eine neue Werk- und Wirkstätte zur Verfügung stellt.
Schreibt über alles, was Luzern und Zug aktuell beschäftigt. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Nach einem Studium in Medienwissenschaften und Englisch ist sie seit September 2021 bei zentralplus. Nebenbei absolviert sie derzeit die Diplomausbildung Journalismus am MAZ.