Rektor der PH Luzern tritt in den Ruhestand

Der «Lehrer aller Lehrer» verabschiedet sich

Wird einige Kisten benötigen, um all die Akten, Studien und Dossiers aus dem Büro zu bringen: der in den Ruhestand tretende PH-Rektor Hans-Rudolf Schärer. (Bild: zvg)

Hans-Rudolf Schärer geht nach knapp 20 Jahren als Rektor der Pädagogischen Hochschule Luzern in Pension. Er blickt zurück und schaut voraus.

Hans-Rudolf Schärer hat die Luzerner Bildungslandschaft in den vergangenen 20 Jahren entscheidend mitgeprägt. Unter ihm als Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Luzern absolvierten tausende angehende Lehrpersonen ihre Ausbildung. Zeit für einen Rück- und Ausblick.

zentralplus: Hans-Rudolf Schärer, wieso sollte jemand heute noch Lehrer oder Lehrerin werden?

Hans-Rudolf Schärer: Etwas plakativ gesagt: Weil man als Lehrperson die Zukunft mitgestalten kann. Man hilft Kindern und Jugendlichen dabei, ihre Begabungen zu entdecken und zu entwickeln. Dadurch leistet man auch der Gesellschaft einen Dienst. Voraussetzung dafür ist, dass man gern mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, sie gern hat.

«Man hilft Kindern und Jugendlichen dabei, ihre Begabungen zu entdecken und zu entwickeln.»

zentralplus: Wie steht es denn um die Attraktivität des Lehrberufs?

Schärer: Der Lehrberuf ist nach wie vor attraktiv. Die Ausbildung an der PH Luzern zieht viele junge Menschen an, welche die Förderung von Kindern und Jugendlichen als ausgesprochen sinnhaft erleben.

zentralplus: Woran zeigt sich das?

Schärer: An Rückmeldungen der Studierenden, aber auch an den steigenden Studierendenzahlen. Ausserdem geniessen Lehrpersonen innerhalb des Lehrplans viele Freiheiten und können in vielerlei Weise selber bestimmen, wie sie den Lehrplan umsetzen.

zentralplus: Wo gibt es Verbesserungsmöglichkeiten?

Schärer: Ein Ansatzpunkt ist die Berufseinführung. Einsteiger sagen, dass zu Beginn der Berufstätigkeit vor allem Disziplinarfragen und Elternarbeit anspruchsvoll sind.

zentralplus: Und wie könnte man dem begegnen?

Schärer: Unterstützung in der Bewältigung der Heterogenität können Assistenzlehrpersonen und eine ausreichende Zahl an Heilpädagogen bieten. Auch die Teamarbeit kann den schulischen Alltag von Lehrpersonen erleichtern.

«Vielen Eltern wurde vor Augen geführt, welch grosse und wichtige Arbeit Lehrpersonen täglich leisten.»

zentralplus: Hat sich durch die Corona-Krise die Wahrnehmung des Lehrberufs verändert?

Schärer: Vielen Eltern wurde vor Augen geführt, welch grosse und wichtige Arbeit Lehrpersonen täglich leisten. Viele waren auch davon beeindruckt, wie schnell viele Lehrpersonen die Umstellung vom Präsenzunterricht auf den Fernunterricht vollzogen haben.

zentralplus: Ganz generell: Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Schule?

Schärer: Infolge der Corona-Krise haben sich die Möglichkeiten, die der digitale Wandel im Unterricht bietet, massiv erweitert. Das ist gut so. Der Lehrberuf bleibt aber ein Beziehungsberuf par excellence.

zentralplus: Was meinen Sie damit?

Schärer: Die physische Präsenz von Lehrenden und Lernenden ist zwingend nötig, damit sich im Unterrichts- und Lerngeschehen Resonanz einstellt, ein Mitschwingen von Ober-, Unter- und Zwischentönen, ein Austausch von ganzer Person zu ganzer Person.

zentralplus: Über den Bildschirm im Fernunterricht war das aber nicht möglich, oder?

Schärer: Hier sind Klärungen nötig, wie weit der digitale Wandel gehen darf, ohne die Resonanzfähigkeit und die Resonanzbereitschaft der Lehrenden und der Lernenden zu beeinträchtigen.

«Eine grosse Herausforderung ist die Vorbereitung der Studierenden auf die Bewältigung der Heterogenität, die heute die Schule charakterisiert.»

zentralplus: Zurück zur Ausbildung: Was ist in der Ausbildung der Lehrpersonen die grösste Herausforderung?

Schärer: Eine grosse Herausforderung ist die Vorbereitung der Studierenden auf die Bewältigung der Heterogenität, die heute die Schule charakterisiert.

zentralplus: Was heisst das konkret?

Es geht dabei nicht nur darum, dass rund 30 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in den Schweizer Schulen einen Migrationshintergrund haben. Sondern Lehrpersonen müssen auch generell damit umgehen, dass in vielen Familien ganz unterschiedliche Werte und Erziehungsvorstellungen gelten. Die Schule ist heute fast der einzige verbliebene Ort der sozialen Integration im grossen Stil. Damit dieser Ort in förderndem Sinn gestaltet werden kann, müssen Lehrpersonen von Anfang an Verantwortung übernehmen und ihre Überzeugungen argumentativ vertreten können.

zentralplus: Aktuell wird der Studienplan der PH Luzern reformiert. Was sind Ziele der Überarbeitung?

Schärer: Es geht unter anderem darum, die Präsenzzeit der Studierenden zu reduzieren, damit sie mehr selbstorganisiert lernen können, und darum, neue, aktuelle Lehrinhalte aufzunehmen.

zentralplus: Seit dem Schuljahr 2017/2018 wird der Lehrplan 21 eingeführt. Was ist Ihr Zwischenfazit?

Schärer: Die Chance besteht darin, dass Bildungsinhalte koordiniert werden. Und überfachliche Kompetenzen wie Bildung zur Nachhaltigkeit oder Demokratie-Erziehung wurden verankert. Mitarbeitende der PH Luzern haben intensiv am neuen Lehrplan mitgearbeitet.

«Eine Herausforderung besteht in der Frage, wie man Kompetenzen misst. Daran arbeiten wir.»

zentralplus: Wo sehen sie Risiken?

Schärer: Allenfalls könnte der starke Fokus auf den Kompetenzen, so wichtig er ist, auch ein Risiko sein. Wo bleiben die Haltungen? Es wurde im Vorfeld der Einführung oft kritisiert, dass das Wissen gegenüber den Kompetenzen auf der Strecke bleibe. Das ist meines Erachtens ein Missverständnis. Denn Handlungskompetenzen fussen natürlich in hohem Masse auf Wissen. Eine weitere Herausforderung besteht in der Frage, wie man Kompetenzen misst? Daran arbeiten wir.

zentralplus: Letzten Herbst hat Alex Messerli, Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, vor einem Lehrermangel gewarnt. Was erwarten Sie in Zukunft?

Schärer: Ich teile seine Meinung: Es werden in Zukunft mehr Lehrpersonen benötigt. Einerseits weil viele in den nächsten Jahren pensioniert werden; andererseits weil die Geburtenrate steigt und ein grosser Teil der Lehrpersonen Frauen sind, die gern Teilzeitpensen übernehmen.

zentralplus: Gibt es denn aktuell einen Lehrermangel?

Schärer: Unter anderem dank der Attraktivität der PH gibt es in Luzern, mit einer Einschränkung bei den Heilpädagogen, derzeit keinen Mangel an Lehrpersonen. Wir verfolgen vor diesem Hintergrund eine moderate Wachstumsstrategie.

zentralplus: Sie haben es erwähnt: Ein grosser Teil der Lehrpersonen in der obligatorischen Schule ist weiblich. Was kann die PH Luzern dazu beitragen, dass das Geschlechterverhältnis ausgeglichener wird?

«Vor 30, 40 Jahren war das Verhältnis von Männern und Frauen im Lehrberuf umgekehrt, ohne dass man sich damals an der Untervertretung der Frauen aufgehalten hätte.»

Schärer: Dass sich dieses Verhältnis nachhaltig negativ auswirkt, ist nicht bewiesen. Zudem: Vor 30, 40 Jahren war das Verhältnis von Männern und Frauen im Lehrberuf umgekehrt, ohne dass man sich damals an der «Untervertretung» der Frauen aufgehalten hätte. Aber auch aus der Sicht der PH wäre eine Angleichung des Geschlechterverhältnisses wünschenswert.

zentralplus: Ergreift die PH Luzern denn auch entsprechende Massnahmen?

Schärer: Eine kleine Massnahme: Die Männer unter unseren Studierenden bringen jeweils am jährlich stattfindenden «Zukunftstag» den zwölfjährigen Jungen den Lehrberuf näher. Diese erhalten dann von mir am Abend ein Diplom als «Lehrer für einen Tag». Viel können wir aber nicht zu einer ausgeglicheneren Verteilung der Geschlechter beitragen. Für das Ungleichgewicht scheinen vielmehr gesellschaftliche Gründe vorzuliegen. Die Berufswahl erfolgt bei Männern, stärker als bei Frauen, auch im Hinblick auf die Entwicklungsperspektiven. Hier sind die Möglichkeiten im Lehrberuf relativ begrenzt.

zentralplus: Spulen wir die Zeit zurück: Wie verlief für Sie damals Anfang der 2000er-Jahre der Übergang in die Rolle als Gründungsrektor der PH Luzern?

Schärer: Das war eine sehr turbulente Zeit. Als Leiter der Gruppe Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Luzerner Bildungs- und Kulturdepartement war ich für viele Gespräche zum Übergang von Seminaren zur PH verantwortlich. Es wurde sehr kontrovers diskutiert. Heute kann man es sich aber gar nicht mehr vorstellen, dass die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung auf Seminarstufe stattfindet.

zentralplus: Was seither auch oft diskutiert wurde, ist ein eigenes Gebäude für die PH. Wie ist da der Stand der Dinge?

Schärer: In den letzten 20 Jahren wurde die PH in dieser Hinsicht phasenweise etwas stiefmütterlich behandelt. Ich freue mich aber sehr, dass ich noch dazu beitragen konnte, dass voraussichtlich im nächsten Frühling über ein eigenes Gebäude auf dem Campus in Horw abgestimmt wird. Durch das Zusammengehen mit dem Departement Technik und Architektur der Hochschule Luzern lassen sich auch fachliche Synergien erreichen, zum Beispiel im MINT-Bereich.

zentralplus: Die Lehrerausbildung hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Was ist Ihrer Meinung der grösste Gewinn?

Schärer: Die Lehrerausbildung hat durch ihre Ansiedlung an der PH insofern gewonnen, als sie «wissenschaftsbasierte Praxisorientierung» umfasst, und dadurch, dass sie die Studierenden darauf vorbereitet, sich auf die individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler einzulassen.

zentralplus: Was muss sich der Laie unter «wissenschaftsbasierter Praxisorientierung» vorstellen?

Schärer: Eine intensivere und im Zeitverlauf besser angeordnete Praxisausbildung sowie eine systematische Auseinandersetzung mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, damit die Lehrpersonen vor dem Hintergrund des beschleunigten gesellschaftlichen Wandels nicht nur auf die Anwendung von Rezepten angewiesen sind, sondern selbstbestimmt, mit guten Gründen und selbstbewusst auf die ständig neuen Herausforderungen des Schulalltags reagieren können.

zentralplus: Wo hat die Lehrerausbildung verloren?

Schärer: Früher, in der Semi-Ausbildung, spielte das Musische eine wichtige Rolle, insbesondere dort, wo sie in Internaten stattfand. Zur kulturellen Bildung müssen wir auch an der PH Sorge tragen.

zentralplus: Was wünschen Sie sich für die Schule, die Lehrerausbildung in der Zukunft?

Schärer: Meines Erachtens muss die Lehrpersonenbildung die Bildung für nachhaltige Entwicklung stärker ins Zentrum rücken – dies nicht nur in ökologischer, sondern auch in sozialer Hinsicht.

«Meines Erachtens muss die Lehrpersonenbildung die Bildung für nachhaltige Entwicklung stärker ins Zentrum rücken.»

zentralplus: Können Sie das ausführen?

Schärer: Lehrpersonen sind in dieser Hinsicht Multiplikatoren. Übrigens wurde auch Greta Thunberg nach eigener Aussage von ihren Lehrpersonen auf die ökologische Bedrohung sensibilisiert. Hinzu kommen die vorher erwähnten Anliegen der kulturellen Bildung und der Bewahrung der Resonanzfähigkeit im Lehr- und Lernprozess.

zentralplus: Ende August räumen Sie Ihr Büro. Was sind Ihre Pläne für die Pensionierung?

Schärer: Ich bin kulturell sehr interessiert und hatte in den vergangenen Jahren oft zu wenig Zeit, diesen Interessen nachzugehen.

zentralplus: Und die wären?

Schärer: Ich werde – meiner Ausbildung als Literaturwissenschaftler entsprechend – viel lesen und auch viel musizieren, Konzerte, Museen und Ausstellungen besuchen. Und ich werde mich in Zukunft an verschiedenen Orten auch ehrenamtlich engagieren. Ob die einmonatige Englandreise von meiner Frau und mir mit einem Besuch bei unserem Sohn, der in London einen Studierenden-Austausch absolviert, zustande kommt, ist leider noch unklar.

Die offizielle Verabschiedungsfeier von Hans-Rudolf Schärer im Video:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Fritz Muri
    Fritz Muri, 29.08.2020, 21:14 Uhr

    «Etwas plakativ gesagt: Weil man als Lehrperson die Zukunft mitgestalten kann», ziemlich plakativ, was Hans-Rudolf Schärer sagt. Das war einmal. Als ich Lehrer wurde vor 50 Jahren, hätte man das so sagen können. Heute geht es vor allem darum die Kompetenzlisten des PL21 abzuhaken und Exceltabellen auszufüllen mit Arbeitszeiten und erfolgten Tätigkeiten.

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