Der Hipster-Laden, den Hipster meiden
Der Weg in die berufliche Selbstständigkeit ist lang und mit harten Steinen gepflastert. Zwei Luzerner haben ihn trotzdem gewagt – mit einer Boutique für Hosenträger. Nach knapp sechs Jahren biegen die beiden nun völlig erschöpft und ausgelaugt auf die Zielgerade ein.
«Um 10 Uhr machen wir immer Kaffeepause. Das hat mittlerweile Tradition», sagt Markus Elmiger, während er die Kaffeemaschine mit frischem Leitungswasser betankt. Zusammen mit seiner Lebenspartnerin Anna De Weerdt führt der 38-Jährige das Atelier Treger im Luzerner Bruchquartier. Mittlerweile beschäftigen die beiden drei Angestellte, die nach und nach ihre Tassen füllen und einen aus Ostertagen übriggebliebenen Schokohasen köpfen.
Es sind seltene Momente der Entschleunigung. Seit Ende 2011, dem Startschuss ihres Labels, laufen die Motoren der beiden Jungunternehmer nämlich nahezu ununterbrochen im roten Bereich – und darüber hinaus: «Für meine Partnerin wurde alles etwas zu viel», erzählt Elmiger unumwunden. «Der Tank war leer. Sie brauchte dringend eine Auszeit und gönnt sich momentan eine einmonatige Pause in Griechenland.»
Ausgelaugt auf der Zielgeraden
Das Los der Selbstständigkeit ist ein hartes. Regelmässige 70-Stunden-Wochen zerren an den Kräften. Die anhaltende finanzielle Unsicherheit lässt die Nächte zusätzlich kürzer ausfallen. Das sieht man auch Elmiger an. Dunkle Ringe hängen unter seinen Augen. Der gebürtige Hochdorfer wirkt etwas ausgelaugt. Und doch strahlen seine Augen Zufriedenheit und Gelassenheit aus, ähnlich einem Marathonläufer, dessen Endorphine die körperlichen Strapazen beim Zieleinlauf zumindest für den Moment vergessen machen.
Das kommt nicht von ungefähr: «Seit rund einem Jahr sind wir nicht mehr auf ein zweites Standbein angewiesen», sagt Elmiger stolz. Der gelernte Elektromonteur arbeitete zu Beginn nebenher noch als Stromer, um über die Runden zu kommen. «Heute leben wir ganz vom Atelier. Zwar mehr schlecht als recht, aber dafür haben wir immer schöne Kleider», witzelt er, bevor seine Tasse mit einem grossen Schluck geleert wird.
Für den Dandy aus dem letzten Jahrhundert
Elmiger und De Weerdt (33) produzieren Hosenträger und massgeschneiderte Männermode. Sie setzen dabei voll auf den Stil der Zwanziger- bis Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. «Wir sind Nostalgiker», erklärt Elmiger. «Das Alte sagt uns mehr zu als das Neue.»
«Der Hipster ist ja inzwischen Mainstream.»
Markus Elmiger
Im Atelier an der Bruchstrasse werden Stoffe in Kleider, Fliegen und andere Accessoires verwandelt. Alles ist Handarbeit. Die Boutique selbst kommt schlicht und stilgerecht daher. Ein Eldorado für den Dandy, den Bohemien und sein zeitgemässes Pendant: den Hipster.
Doch Elmiger hält dagegen: «Für den klassischen Hipster oder das, was man darunter versteht, sind wir wohl etwas zu teuer», sagt er und lacht. «Erstaunt hat es uns aber schon, dass sie als Teil unserer Zielgruppe letztlich nicht zu unseren Kunden zählen.» Der Ausdruck sei allerdings sehr schwammig, betont er. «Der Hipster ist ja inzwischen Mainstream.»
Es sei indes schwierig, ihren Kundenstamm auf einen Nenner zu bringen. Ihre Käuferschaft stamme aus allen Schichten, vom Anwalt über den Banker bis hin zum Älpler, der Zeit seines Lebens dieselben Hosenträger getragen hat und diese nun durch ein exklusives Exemplar ersetzen möchte.
Fair, nachhaltig, teuer
Inzwischen käme rund jeder dritte Kunde aus einer anderen Stadt. Vermehrt nachgefragt würden Kleidungsstücke für Hochzeiten. «In der Regel sind unsere Kunden Menschen, die sich etwas Spezielles leisten möchten und können», resümiert Elmiger. Über das nötige Kleingeld sollte man schon verfügen, wenn man die Boutique betritt. Ein Hosenträger kostet schon mal 90 Franken. Eine Masshose bis zehnmal so viel.
Die exklusiven Stücke würden dafür viel länger getragen als eine konventionelle Billigjeans, macht Elmiger geltend. «Den Leuten ist oft nicht bewusst, wie viel Arbeit da drin steckt. Der Zeitaufwand bei massgeschneiderten Kleidern ist enorm. Das lässt sich nicht mit einer Hose für 10 Franken vergleichen, die in Bangladesch unter widrigen Produktionsbedingungen hergestellt wurde.»
Wenn die Angestellte mehr als der Chef verdient
Im Schnitt seien ihre Kunden zwischen 35 und 50 Jahren alt. Mittlerweile würden auch immer mehr Frauen die Hosenträger für sich entdecken. «Eher der burschikose Typ», expliziert Elmiger. Im Atelier Treger betrage das Umsatzverhältnis zwischen Accessoires und Kleidern in etwa 50:50. Gut 3000 Hosenträger verkauft das Unternehmerpärchen jährlich.
Heute könnten sich die beiden einen Lohn auszahlen, der nicht bloss die Lebenskosten deckt. Sie müssten nicht mehr Angst haben, dass nach zwei oder drei schlechten Monaten Schluss ist. Der Gürtel – oder besser: der Hosenträger – kann langsam, aber stetig etwas weiter geschnallt werden. «Wir nähern uns Schritt für Schritt dem Lohn, den wir unseren Angestellten zahlen», schmunzelt der Geschäftsführer.
Elmigers Zufriedenheit rührt aber noch woanders her. Die finanzielle Lage liess es zu, dass das Atelier Treger vor einem Monat in seiner Fläche verdoppelt wurde. «Gleich nebenan wurde eine Räumlichkeit frei. Da konnten wir keine Sekunde zögern.» Passanten haben dadurch nicht nur Einblick in das Verkaufslokal, sondern auch in die Produktionsstätte. «Und jetzt habe ich sogar ein richtiges Büro», schwärmt Elmiger.
Der Hüne und die stilbewusste Schneiderin
Der Treger-Geschäftsführer spricht verhalten von einer Erfolgsgeschichte. Dabei hat alles ziemlich harmlos begonnen. Ausgangspunkt war ein kleineres modisches Desaster. Elmiger trug schon immer gerne Hosenträger. Daran änderte sich auch nichts, als er sich vor acht Jahren in seine heutige Partnerin De Weerdt verliebte. Die gelernte Schneiderin aus Basel hatte allerdings ein Problem: Elmigers Hosenträger waren ihr zu hässlich.
«Inzwischen arbeiten wir mit professioneller Naivität.»
Markus Elmiger
«Wir suchten deshalb im Brocki nach schönen Exemplaren», erinnert sich Elmiger. «Die meisten Träger waren aber entweder bereits stark verschliessen oder ganz einfach viel zu kurz.» Elmiger ist knapp 1.90 Meter gross. Und obwohl er seit Primarschultagen keine Nähmaschine mehr aus der Nähe gesehen hatte, sass er kurze Zeit später an einer solchen und fertigte unter Anleitung seiner Freundin seine ersten Hosenträger selbst an.
Das modische Accessoire gefiel nun nicht nur De Weerdt, sondern stiess auch in ihrem Umfeld auf Begeisterung. «Also haben wir damit begonnen, Hosenträger für Freunde und Bekannte zu machen. Aus Spass. Von zuhause aus», erzählt Elmiger. An kleinen Märkten in Zürich haben die beiden daraufhin einige Exemplare erstmals öffentlich feilgeboten – und waren überrascht, wie gut diese ankamen. «Da merkten wir, dass eine Nachfrage besteht.»
Fehler in der Vergangenheit
Der Rest ist Geschichte. Nun gehe es darum, sich weiter zu etablieren. Leerlauf ist noch längst nicht angesagt. Höchstens einen Gang runter schalten, das genehmigen sich die beiden Unternehmer. «Wir starteten mit kindlicher Naivität», sagt Elmiger. «Inzwischen arbeiten wir mit professioneller Naivität.»
Glück, Durchhaltewille und Fleiss seien die wichtigsten Komponenten, um aus einer Idee ein erfolgreiches Geschäft zu zimmern, ist Elmiger überzeugt. «Man muss offen und innovativ bleiben und sich immer wieder zeigen», fügt er an. «Deshalb war ich letztes Jahr an über 70 Messen mit unseren Produkten präsent. Und natürlich muss die Qualität stimmen.»
Bereut habe er seinen Entschluss nie, beteuert der 38-Jährige. «Wenn ich mir einen Vorwurf machen könnte, dann jenen, dass ich in der Vergangenheit zu wenig Geld auf die Seite gelegt habe», sagt er mit einem müden Lächeln in den Augen.
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