So fand Zug den Anschluss an die Welt

Dank diesen alten «Wunderapparaten» können wir heute Homeoffice

Eine Frau sendet einen Morsecode it Hilfe eines Telegrafen. (Bild: Adobe Stock)

Die Zuger nahmen 1853 ihren ersten Telegrafen in Betrieb. Die Möglichkeit zur Kommunikation unabhängig von Zeit und Ort wurde als Innovation gefeiert. Doch die Zugerinnen und Zuger erwiesen sich nicht als emsige Nutzer.

In den letzten Wochen lernten viele von uns das Arbeiten im Homeoffice kennen. Oder wie sie ihre Jassgruppe per App am Leben erhalten. Dank Computer und Handy ist es möglich, unabhängig von Zeit und Ort zu arbeiten, sich auszutauschen oder zu spielen. Auch wenn man sich physisch nicht treffen kann.

Die Kommunikation über die Distanz geht in den modernsten Netzen kabellos vonstatten. Beim ersten weltweiten Netz war da noch viel mehr Kupfer nötig. Der «heisse Draht», dank dem Nachrichten über das Morsealphabet codiert über räumliche Distanzen hinweg übermittelt wurden, war Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa und den USA schon weit verbreitet: Die Rede ist von der Telegrafie.

Die Zuger Behörden suchten den Anschluss

Mit den kurz gehaltenen Telegrammen wurden die besten Wünsche zu Hochzeit, Geburtstag oder militärische und geschäftliche Mitteilungen rasch verschickt. Auch wenn sich die Person am anderen Ende der Welt befand. Weil jedes Wort kostete, kamen Abkürzungen wie «cul» («see you later»), «lbr» («lieber») oder «xmas» (Weihnachten) in Mode. Wie später bei SMS- und Whatsapp-Nachrichten, lasteten elitäre Zirkel dem Telegrammstil den Zerfall der Sprache an.

Auch die Zuger Behörden interessierten sich für die revolutionäre neue Technik. Sie suchten den Anschluss an das dichte Netz von Masten, Drähten, und Stationen, die der Übermittlung dienten. Das zeigt ein Blick ins Zuger Staatsarchiv, wo Chronist Philippe Bart die Geschichte der Telegrafie im Kanton rekonstruierte.

Der Telegrafenmast war die 5G-Antenne seiner Zeit

Telegrafenstationen zu errichten oder Bewilligungen zu vergeben, dafür war seit 1851 in der Schweiz der Bund zuständig. Der Anschluss an das Telegrafennetz war, wie das 5G-Netz heute, für den Kanton Zug ein grösseres Infrastrukturprojekt. Die ersten Telegrafenstangen wurden entlang der neuen Strasse von Sihlbrugg her aufgestellt. So konnte der «wundersame Draht, der mit Blitzesschnelle bringt, was anderswo vorgeht, auch in der zugerischen Luft erzittern», wie es im Zuger Kantonsblatt von 1852 heisst.

Im Stadlinhaus am Postplatz, wo heute der Hauptsitz der Zuger Kantonalbank liegt, eröffnete am 1. März 1853 das erste Zuger Telegrafenbüro. Der Inhaber Karl Hotz, er war zugleich Postpferdehalter. Ab 1873 konnten Kunden von 7 bis 21 Uhr – und auch während einiger Zeitfenster in der Nacht – Telegramme in alle Welt verschicken. Und von überallher empfangen.

Fünf Telegramme pro Tag aus Baar

Der Ausbau des Zuger Netzes ging weiter: 1863 wurde die über 160 Stangen lange Leitung nach Unterägeri in Betrieb genommen. 1866 folgte die Erschliessung des Ennetsees mit der Station Cham. 1868 respektive 1870 nahmen die saisonal betriebenen Stationen Bad Schönbrunn und Kurhaus Schönfels auf dem Zugerberg den Betrieb auf. Bis zum Jahr 1890 empfingen im Kanton elf Telegrafenbüros Nachrichten aus aller Welt.

Die Schweizer waren emsige Nutzer der günstigen Nachrichtentechnik: Ab 1875 wurden fast drei Millionen Nachrichten jährlich aufgegeben. Anders sah es in Zug aus: Mit einem Tagesdurchschnitt von 26 Telegrammen befanden sich die Kolinstädter im Vergleich mit 27 anderen Stationen an letzter Stelle. In Baar Dorf trafen 1899 pro Tag durchschnittlich gerade mal fünf Telegramme ein.

Wandtelefon mit Hörrohr, um 1920. Aus dem 1972 abgebrochenen Schloss Buonas in Risch. (Bild: Einwohnergemeinde Risch) (Bild: Objektsammlung der Einwohnergemeinde Risch)

Ein neuer Wunderapparat läutet das Ende einer Ära ein

Die Telegrafie blieb bis zum Zweiten Weltkrieg eine wichtige Stütze der Fernkommunikation. Ihr Untergang wurde aber mit dem Aufbau des nationalen Telefonnetzes in den 1890er-Jahren eingeläutet.

Zuger Telegrafie-Pionier

Führend bei der Telegrafentechnologie in der Schweiz war Jakob Karl Kaiser. Der 1812 geborene Uhrmacher und Telegrafentechniker aus Zug war 1852 wesentlich an der Einrichtung der Telegrafenwerkstätte in Bern beteiligt. Als Inspektor des Telegrafenkreises St. Gallen hatte er den Ruf eines renommierten Telegrafenbeamten. Da Kaiser den grössten Teil seines Lebens ausserhalb des Kantons verbrachte, ist er in seinem Heimatkanton wenig bekannt.

Im Kanton Zug nutzten Private den neuen Wunderapparat namens Telefon bereits einige Jahre vor der Eröffnung öffentlicher Telefonzentralen. 1884 erstellten Technikbegeisterte zwischen dem Gasthof Löwen in der Stadt und der Pension Schönfels auf dem Zugerberg eine erste Telefonleitung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand das Telefon endgültig den Weg in die Haushalte. So besass in der Gemeinde Baar 1950 jeder 13. Einwohner einen fest installierten Telefonapparat. Dreissig Jahre später war es bereits jeder zweite Einwohner.

1999 stellten Swisscom und Post den Inland-, 2001 den Auslandtelegrammdienst ein. In der Schweiz wurden noch bis 1990 bis zu einer Million Telegramme pro Jahr verschickt. Dabei wurde das Telegramm eher noch für Gratulationen und Ähnliches genutzt – die Geschäftskommunikation lief da schon über das Faxgerät.

Ob Baarer lieber Whatsapp-Nachrichten verschicken?

Bekanntlich setzt sich die Kommunikationsrevolution bis heute fort: 2002 übertraf hierzulande die Anzahl der Mobil- erstmals diejenige der Festnetzanschlüsse. Die drahtlose Telefonie mit mobilen Geräten und im Internet ist heute eine Selbstverständlichkeit. Wohl auch, weil dazu das Morsealphabet nicht mehr erlernt werden muss.

Der klassische Telefonapparat dürfte in wenigen Jahrzehnten nur noch im Museum zu finden sein. Wie lange es geht, bis das auch für unseren heutigen Homeoffice-Apparate gilt, ist nicht absehbar. So werden auch in Zug noch fleissig E-Mails, Whatsapp-Nachrichten und SMS verschickt werden – selbst in Baar werden es inzwischen wohl mehr als fünf Nachrichten pro Tag sein.

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