Luzern: Keine Hinweise auf Gewaltbereitschaft

Regierungsrat ortet keine Gefahr bei jungen Flüchtlingen

Die UMA helfen dem Koch im Pilatusblick beim Zubereiten des Mittagessen. Für ihre Arbeit erhalten sie drei Franken pro Stunde.

(Bild: Marc HodelCH)

Nach dem Axt-Anschlag eines jugendlichen Flüchtlings im deutschen Würzburg stellte die Luzerner SVP die Frage: Sind junge Asylsuchende in Luzern ein Sicherheitsrisiko? Der Regierungsrat winkt ab – und gibt interessante Details preis.

Sie sind minderjährig, ohne Eltern geflüchtet und suchen Schutz in der Schweiz: unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA). 149 von ihnen lebten Ende letztes Jahr im Kanton Luzern.

SVP-Kantonsrat Robi Arnold und Fraktionskollegen wollten von der Regierung Näheres über die Unterbringung der UMAs wissen – insbesondere über die Risiken, die von diesen Jugendlichen ausgehe.

Auslöser der Anfrage war der Amoklauf eines 17-jährigen Afghanen letzten Sommer im deutschen Würzburg. Der jugendliche Asylsuchende stach in einem bayrischen Regionalzug mit einem Messer und einer Axt auf mehrere Personen ein und wurde anschliessend auf der Flucht von Polizisten erschossen.

Nun liegt die Stellungnahme des Regierungsrates vor. Und er beruhigt: Ein besonderes Sicherheitsrisiko gehe von jugendlichen Flüchtlingen, die alleine in die Schweiz kommen, nicht aus. zentralplus hat die Antworten des Regierungsrates auf die SVP-Fragen zusammengefasst.

Wie hoch ist das Risiko, dass sich unter den minderjährigen Asylsuchenden IS-Terroristen befinden könnten?

Der Regierungsrat hält einerseits klar fest, dass zurzeit keine konkreten Drohungen gegen den Kanton Luzern bestehen. «Ebenso gibt es keine Hinweise darauf, dass sich unter den im Kanton Luzern befindlichen UMAs gewaltbereite Personen befinden.» Andererseits weist er auch darauf hin, dass der Nachrichtendienst des Bundes in seinem aktuellsten Lagebericht zum Schluss kommt, dass sich die Bedrohung der Schweiz durch dschihadistischen Terrorismus in den letzten Monaten verschärft habe. In erster Linie, weil der sogenannte Islamische Staat Attentäter nach Europa schicke.

Wie wird die Sicherheit gegenüber der Bevölkerung gewährleistet?

Ein Anschlag sei grundsätzlich jederzeit möglich. Die Polizei und Veranstalter grösserer Anlässe würden ein erhöhtes Augenmerk auf mögliche terroristische Bedrohungen richten – und bei Gefahr die polizeiliche Präsenz verstärken. Auch hierbei stützt sich der Regierungsrat auf die Informationen des Bundes.

Wie oft kamen UMAs in den letzten drei Jahren mit dem Gesetz in Konflikt?

Genaue Angaben dazu gibt es nicht, weil statistisch nur die Anzahl Fälle registriert wird, bei der eine bestimmte Personengruppe – beispielsweise unbegleitete minderjährige Asylsuchende – beteiligt war. Der Regierungsrat kann deshalb nicht im Detail sagen, wie viele UMAs straffällig wurden, in welchem Alter sie waren und welche Strafen sie erhielten. Was er aber sagen kann: 2015 haben UMAs zwölf Delikte verübt, 2014 waren es sechs und 2013 waren es dreizehn Straftaten. Meist handelte es sich um Tätlichkeiten, Diebstähle, Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch. Interessant ist: Obwohl sich die Zahl der UMAs im Kanton Luzern beinahe verzehnfachte (von 16 Personen im Jahr 2013 auf 153 im Jahr 2015), stieg die Zahl der Delikte kaum an.

Wie viele jugendliche Asylsuchende leben eigentlich im Kanton Luzern und wie alt sind sie?

Von den rund 5000 Jugendlichen, die ohne Elternteil in die Schweiz geflüchtet sind, leben aktuell 149 im Kanton Luzern, wie der Regierungsrat festhält. Davon befinden sich 100 in einem Asylverfahren. 24 wurden vorläufig aufgenommen und 22 als Flüchtlinge anerkannt. Drei Jugendliche erhielten einen negativen Entscheid und müssen wieder ausreisen. Der Regierungsrat geht davon aus, dass die Zahl der Asylgesuche von alleinreisenden Minderjährigen in den nächsten Monaten zunehmen wird, auch wenn eine Prognose schwierig sei (siehe Box am Ende).

 

 

 

 Wie und wo wohnen die jungen Asylsuchenden?

Weil Kinder und Jugendliche besondere Bedürfnisse haben, werden UMAs speziell untergebracht. Wo genau, hängt in der Regel vom Alter ab. Falls möglich und sinnvoll, leben UMAs bei Verwandten in der Schweiz. Ansonsten wohnen die 17- und 18-Jährigen in einer Abteilung des Durchgangszentrums Sonnenhof in Emmenbrücke, die 14- bis 16-Jährigen im speziell für Jugendliche eingerichteten Zentrum in Kriens. Für unter 14-Jährige wird meist ein Platz in einer Pflegefamilie gesucht. Es ist auch möglich, dass Jugendliche in einer Wohngemeinschaft unterkommen, falls sie beispielsweise eine Lehre oder ein Brückenangebot machen und diese Wohnform für sie besser geeignet ist.

Mit dem speziellen UMA-Zentrum im ehemaligen Motel Pilatusblick in Kriens, das im November 2015 eröffnete, konnte der Kanton 70 neue Plätze schaffen. Allerdings ist diese Nutzung bis Herbst 2017 befristet – dafür ist laut Regierungsrat rechtzeitig eine Nachfolgelösung sicherzustellen.

Wie wird der Ausgang geregelt und kontrolliert?

Die Unterkünfte für minderjährige Asylsuchende werden im Kanton Luzern um 22 Uhr geschlossen und um 6.30 Uhr wieder geöffnet. Ohne speziellen Grund und entsprechende Erlaubnis dürfen die Jugendlichen das Zentrum in dieser Zeit nicht verlassen. Falls jemand um 22 Uhr nicht da ist, folgt ein Gespräch und allenfalls eine Strafe: «Wer unerlaubt abwesend ist, wird sanktioniert», hält der Regierungsrat fest.

Anders ist die Situation am Wochenende. Teilweise wird den Jugendlichen Urlaub gegeben, damit sie beispielsweise Verwandte oder Freunde besuchen können. Dabei müssen sie eine Adresse und Telefonnummer angeben – und im Vorfeld wird geprüft, ob es sich wirklich um Bekannte oder Verwandte handelt.

Wie wird eine 24-Stunden-Betreuung gewährleistet?

Die jungen Asylsuchenden werden Tag und Nacht betreut. Dabei wird besonders darauf geachtet, dass sie eine stabile Tagesstruktur erhalten und selbständiger werden. Dazu gehört, dass sie die Schule besuchen, im Haushalt mithelfen und in der Freizeit beispielsweise Sport oder anderen Hobbys nachgehen können. Eine Nachtwache sorgt dafür, dass zur Schlafenszeit Ruhe herrscht und eine Ansprechperson da ist, falls jemand ein Problem hat.

Gibt es ein Beschäftigungsprogramm und wie sieht das aus?

Weil das Recht auf Bildung gilt, besuchen Jugendliche meist die obligatorische Schule oder machen eine Berufslehre, falls möglich. Der Regierungsrat hält fest, dass die Beschäftigung deshalb nicht prioritär sei – und es kein spezifisches kostenneutrales Beschäftigungsangebot gibt, weil ein solches gar nicht möglich sei. Denn aus Gründen des Kindesschutzes werden die jugendlichen Asylsuchenden auch bei ihren Hobbys oder Freizeitaktivitäten begleitet. Obwohl dafür oft Freiwillige im Einsatz stehen, muss das geplant und durch Vorabklärungen aufgegleist werden.

Mit welchen Zusatzkosten wird gerechnet?

Die meisten Jugendlichen wohnen in speziellen Zentren, beispielsweise in Kriens. Das kostet pro Monat und Person 2450 Franken. Günstiger kommt es, wenn Jugendliche bei Verwandten wohnen. Massiv teurer hingegen wird es, wenn Junge in eine Pflegefamilie kommen – das kostet rund 7500 Franken monatlich. Dazu kommen die Kosten für die Bildung, die je nach Alter der Jugendlichen unterschiedlich hoch ausfallen.

Der Bund zahlt den Kantonen eine Pauschale von monatlich rund 1450 Franken. Dazu kommt ein einmaliger Betrag von 6000 Franken zur Integration für jeden vorläufig aufgenommenen und anerkannten Flüchtling. Doch das reicht nicht: 2016 kostete die Betreuung der minderjährigen Asylsuchenden den Kanton Luzern rund 6,6 Millionen Franken – die Beiträge des Bundes betrugen zirka 3,15 Millionen Franken. Das heisst: Weniger als die Hälfte der Ausgaben werden durch den Bund gedeckt. Der zuständige Luzerner Regierungsrat Guido Graf hat deshalb kürzlich eine Erhöhung der Tagespauschale von heute 50 auf 120 Franken gefordert. Auch andere Kantone verlangen mehr Bundesgelder. Die Integrationspauschale soll nach Meinung der Kantone ebenfalls höher ausfallen.

2016 fast ein Drittel weniger Asylgesuche

27’207 Asylgesuche sind im vergangenen Jahr in der Schweiz gestellt worden. Das sind 12’316 Gesuche oder 31,2 Prozent weniger als 2015, wie aus der diesen Montag veröffentlichten Asylstatistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) hervorgeht.

Der Rückgang der Gesuche führt das SEM in erster Linie auf den Unterbruch der sogenannten Balkanroute im März 2016 zurück. Seither fliehen nur noch wenige Asylsuchende über die Balkanstaaten in die Schweiz – insbesondere viel weniger Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und dem Irak.

Am meisten Asylsuchende (5178 Gesuche) kamen 2016 aus Eritrea, obwohl die Gesuche von Eritreern im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückging. Dahinter folgen Asylsuchende aus Afghanistan (3229 Gesuche), Syrien (2144), Somalia (1581), Sri Lanka (1373) und Irak (1312). Die Schutzquote – die Zahl der Asylsuchenden, denen zumindest vorläufig Schutz gewährt wird – lag 2016 bei rund 48,7 Prozent.

Für 2017 geht das SEM von einem weiteren Rückgang aus und rechnet mit rund 24’500 Asylgesuchen. Je nach Entwicklung seien aber auch bis zu 32’000 Gesuche möglich. Entscheidende Kriterien seien die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer und die Zukunft des Flüchtlingsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei. 

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