So hilft die Frauenzentrale Luzern

Recht, Budget, Betreuung: «Der Bruch passiert mit dem ersten Kind»

Ursi Wildisen ist Geschäftsführerin der Frauenzentrale Luzern. (Bild: ens)

Die Frauenzentrale Luzern wird 60 Jahre alt. Welche gesellschaftlichen Veränderungen lassen sich im Vergleich zu früher beobachten? Ursi Wildisen, Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation weiss die Antwort.

Als am 16. März 1971 das Frauenstimmrecht formell wirksam wurde, ist Ursi Wildisen gerade drei Jahre alt. Zehn Jahre zuvor wurde die Frauenzentrale Luzern als 19. Frauenzentrale in der Schweiz gegründet. Damals rief die erste Präsidentin Anna Blaser-Egli «zu einem gemeinsamen Wirken in Toleranz und Solidarität» auf.

60 Jahre später sind die Werte «Toleranz und Solidarität» zu einem Teil der DNA der Non-Profit-Organisation geworden. Die Frauenzentrale führt unter anderem eine Nanny- und Tagesfamilienvermittlung sowie eine Rechts- und Budgetberatung. Was sich in den letzten 60 Jahren verändert hat, verrät Ursi Wildisen, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Luzern im Interview.

zentralplus: Ursi Wildisen, die Frauenzentrale Luzern feiert ihren 60. Geburtstag. Das ist ein guter Grund, um zu feiern.  

Ursi Wildisen: Ganz klar! Deshalb haben wir auch etwas ganz Besonderes vorbereitet …

zentralplus: Was haben Sie denn geplant?

Wildisen: Wir haben vor Monaten mit der Vorbereitung angefangen. Unter anderem sind daraus sechs Podcasts mit Frauen zwischen 20 bis 80 Jahren entstanden, die ganz persönlich aus ihrem Leben erzählen; von Herausforderungen, Erfreulichem aber auch Stolpersteinen, die sie meistern mussten oder müssen.

zentralplus: Welche Themen standen in den letzten Jahren im Fokus?

Wildisen: Heute haben sich sehr viele verschiedene Lebensmodelle etabliert. Rechtliche, finanzielle oder beruflich-akademisch Fragen verlangen anders als früher nach interdisziplinäreren Betrachtungsweisen. Deshalb sind unsere Angebote der Rechtsberatung und der Budgetberatung zentrale Themen geblieben. Gleichzeitig entstehen neue Problemfelder.

zentralplus: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Wildisen: Beispielsweise unsere «Fachstelle Volljährigenunterhalt», die im Raum Deutschschweiz die einzige Fachstelle ist zu diesem Thema. Damit reagierten wir auf die gesellschaftliche Veränderung und auch auf Bedürfnisse der Ratsuchenden, die nach einem adäquaten Beratungsangebot suchten.

«Stellen Sie sich vor, Sie sind 18 Jahre alt, in der Ausbildung und müssen mit ihren Eltern um Unterhaltszahlungen kämpfen.» 

Ursi Wildisen, Geschäftsführerin Frauenzentrale Luzern

zentralplus: Worum geht es beim «Volljährigenunterhalt»?

Wildisen: Die Volljährigkeit im Alter von 18 Jahren, die heutigen Familienstrukturen sowie die Bildungssituation in der Schweiz führen dazu, dass junge Erwachsene lange Zeit über die Volljährigkeit hinaus auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. In der Schweiz wird beinahe jede zweite Ehe geschieden und viele Kinder und Jugendliche sind davon betroffen.

zentralplus: Was bedeutet das für junge Erwachsenen?

Wildisen: Diese Situation versetzt junge Erwachsene in eine schwierige Lage: Sie werden zu Bittstellern, Verhandlungspartnern und Vermittlern zwischen den Eltern und deren oft schwierigen Scheidungsgeschichten. Stellen Sie sich vor, Sie sind 18 Jahre alt, in der Ausbildung und müssen mit ihren Eltern um Unterhaltszahlungen kämpfen. Sie sind mit der Einschätzung der Lage überfordert, müssen sich aber darum kümmern. Gleichzeitig sollten sie sich auf die Ausbildung konzentrieren. Eine Aufgabe, der sie selten ohne Unterstützung gerecht werden können.

Wir haben auch schon Anrufe von Männern erhalten, die sich beklagt haben, dass es keine äquivalente Anlaufstelle für Männer gibt.

zentralplus: Die Gesellschaft ruft nach mehr Frauen in der Arbeitswelt. Wie weit sind wir mit der Chancengleichheit? 

Wildisen: Der Bruch passiert mit dem ersten Kind. Vorher sind die Möglichkeiten heutzutage in der Regel ausgeglichen. Sobald aber das erste Kind auf der Welt ist, werden hinsichtlich Aufteilung bei Familien- und Erwerbsarbeit oftmals die alten Muster übernommen. Das hat massive Konsequenzen für die berufliche Zukunft der Frauen sowie auch nicht zu unterschätzende finanzielle Auswirkungen auf deren Vorsorge. Die Doppelbelastung Familienarbeit und Erwerbsarbeit tangiert nach wie vor Frauen besonders stark. Das heisst aber nicht, dass Männer von dieser Veränderung verschont bleiben, wenn sie dieselben Rollen übernehmen. Wir haben deshalb auch schon Anrufe von Männern erhalten, die sich beklagt haben, dass es keine äquivalente Anlaufstelle für Männer gibt.

zentralplus: Was haben Sie darauf geantwortet?

Wildisen: Wir sehen unsere Aufgabe darin, dass wir allen Ratsuchenden – unabhängig von Geschlecht, Religion, Status und so weiter – unsere professionellen Dienstleistungen anbieten. Aber klar, der Name «Frauenzentrale» ist für Männer manchmal eine Hürde, bei uns eine Beratung einzuholen. Dennoch möchte ich betonen, dass wir für alle Ratsuchenden die gleichen Richtlinien anwenden.

zentralplus: Worin sehen Sie die Ursachen für die immer noch bestehenden Ungleichheiten?

Wildisen: Es ist eine Frage der Haltung, ob man Frauen – insbesondere mit Kind(ern) – im Erwerbsprozess halten möchte. Frauen und Männer haben nun mal unterschiedliche Lebensrealitäten. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen, das müssen wir wollen. Und dann geht es auch.

«Es ist eine Frage der Haltung, ob man Frauen im Erwerbsprozess halten möchte. Und dann geht es auch.» 

zentralplus: Wie meinen Sie das?

Wildisen: Das fängt an mit der Tageszeit für Sitzungen. So ist es beispielsweise abends aus familiärer Sicht gar nicht ideal, wenn die Kinder noch klein sind oder man alleinerziehend ist. Oder dass die Arbeitszeiten so gewählt werden können, dass Eltern die Mittagsbetreuung zu Hause wahrnehmen können. Des Weiteren wären viel mehr Teilzeitstellen wichtig, insbesondere für Väter. Hier wünschte ich mir von den Vätern noch mehr Druck auf die Arbeitgeber. Und auch viel mehr Teilzeitstellen in Kader- oder Chefinnenpositionen. Die Organisation eines Betriebes wird dadurch nicht einfacher, das weiss ich aus eigener Erfahrung. Doch es lohnt sich allemal – auch für die Gesellschaft – wenn die gut ausgebildeten Frauen mit Freude und Engagement im Beruf bleiben können.

zentralplus: Denken Sie, dass sich die Gesellschaft in eine gleichberechtigte Richtung bewegt? 

Wildisen: Natürlich, wenn auch langsam und zäh. Und der Knackpunkt liegt oft in der Umsetzung. Nehmen wir zum Beispiel das Gleichstellungsgesetz: Dieses bietet die Grundlage, sich gegen Lohndiskriminierung zur Wehr zu setzen. Wer das macht, muss jedoch mindestens den Jobverlust, allenfalls Verfahrenskosten, eine Retourkutsche beim Arbeitszeugnis, übles Gerede und so weiter in Kauf nehmen. Da fällt der Entscheid nicht so leicht. Aber was bedeutet dann dieses Recht, wenn es fast unmöglich ist, einzufordern? Was auch nicht vergessen werden sollte, ist, dass die Chancengleichheit ja nicht ausschliesslich die unterschiedlichen Geschlechter betrifft.

zentralplus: Wurden Sie oder Ihre Mitarbeiterinnen schon mal verbal attackiert?

Wildisen: Es gibt natürlich auch mal negative Rückmeldungen, dann hauptsächlich von enttäuschten Personen. Man wendet sich an uns in der Hoffnung, es komme dann schon gut. Und muss dann zur Kenntnis nehmen, dass ein Ereignis wie eine Trennung die eigenen Pläne zunichte macht. Das zu akzeptieren ist oftmals schwer. Das können wir ja gut verstehen.

zentralplus: Und dieser Frust lädt sich bei Ihren Beraterinnen ab?

Wildisen: Es kam natürlich schon vor, dass eine Mitarbeiterin in meinem Türrahmen gestanden und zu mir gesagt hat: «Kann ich kurz was mit dir besprechen…». Die Gespräche sind oftmals sehr herausfordernd und mehrere pro Tag. Dennoch haben wir einen ganz grossen Vorteil: Die Ratsuchenden kommen freiwillig zu uns. Sie wollen ein Problem angehen oder etwas verändern. Damit können wir arbeiten, das hilft uns enorm.

zentralplus: Wo sehen Sie die Frauenzentrale Luzern in 60 Jahren?

Wildisen: Wir bleiben dran. Die zentrale Aufgabe der Frauenzentrale Luzern wird in Zukunft dieselbe sein: Wir beobachten den gesellschaftlichen Wandel und reagieren auf veränderte Bedürfnisse, sei es durch Anpassung der bestehenden Dienstleistungen oder der Schaffung von neuen Beratungsangeboten. So können wir auch die nächste Generation von Frauen und Familien in ihren Lebensrealitäten begleiten.

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