zentralplus testet den «Erlebnisomat»

Raus aus dem Alltag: Ein Automat schickt Luzerner ins Abenteuer

Im Untergeschoss der ZHB fristet dieser Erlebnisomat ein eher unscheinbares Dasein. (Bild: wia)

Künstler Martin Gut aus Luzern hat mit dem «Erlebnisomat» ein ulkiges Projekt geschaffen, das die Menschen aus der Routine katapultieren soll. Eine dieser Maschinen steht derzeit in der Zentral- und Hochschulbibliothek. Sie dient allen, die genug von Corona haben, als Portal in ein Paralleluniversum – wenn man genug mutig ist.

In der Hochschulbibliothek in Luzern: Du prügelst dir Seite 38 im Lehrbuch «Strategisches Management» in den Kopf, die Prüfung naht, die Laune sinkt, eine kurze Pause ist angebracht.

Eine Zigarette rauchen wäre jetzt gut. Im Untergeschoss steht ein Automat. Doch hier gibt's keine Zigaretten, auch keine Tampons und keine Gummibären. Was hier verkauft wird, sind Erlebnisse, wie du alsbald erkennst. Auch davon hast du im Moment deutlich zu wenig. Neben der Büffelei über Unique Selling Points und Shared-Value-Erkenntnisse wird dein Leben nämlich vor allem von Corona-Restriktionen dominiert.

Eine winzige Wundertüte

Du klaubst die letzten Münzen aus der Hosentasche, wirfst zwei Franken ein, wählst aus einer Reihe von «Erlebnissen» eines aus. Noch bevor du einen der Knöpfe drückst, keimt Freude auf. Es ist dasselbe Gefühl wie früher mit Papa am Bahnhofskiosk. Während er sich eine Schachtel Brissago und eine Packung Stimorol Original kauft, darfst du dir – nach einiger Quengelei – eine Wundertüte aussuchen.

Ob mutig oder verrückt: Für jeden Typ Mensch bietet der Erlebnisomat etwas. (Bild: wia)

Du drückst einen Knopf, es rattert, herunter plumpst eine kleine Kartonschachtel. Du öffnest sie behutsam, bist aufgeregter als du dir eingestehen magst. Denn wie bitte soll in dieser Streichholzschachtel ein Erlebnis Platz finden? Aus der Box schüttelst du einen Würfel und einen Zettel.

«Wirf den Würfel dreimal, die erste Ziffer bestimmt das Gleis am Bahnhof, wo du einsteigst, die zweite Ziffer die Anzahl Stationen, die du fährst, bis du aussteigst und die dritte Ziffer die Stunden, die du an diesem Ort verbringst.»

«Break even point» gegen Reise ins Ungewisse. Du schnappst dir deine Tasche, verlässt die Bibliothek. Auf zum Bahnhof.

Erlebnisse in einer ereignislosen Zeit

Hinter dem Erlebnisomat steht der Luzerner Kunstschaffende Martin Gut. Eigentlich handelt es sich beim Projekt um ein philosophisches Experiment aus dem Jahr 2012. Eines, das in dieser fürs Individuum eher ereignislosen Zeit wieder mehr Anklang finden dürfte.

«Mit dem Erlebnisomat soll der Alltag ein wenig unterbrochen werden.»

Martin Gut, Luzerner Kunstschaffender

Doch warum eigentlich will uns der Künstler aus dem Alltag hinausschicken? «Wenn man immer nur eine bestimmte Routine lebt, geht man keine Risiken mehr ein. Alles ist nur noch Alltag. Mit dem Erlebnisomat soll dieser Alltag ein wenig unterbrochen werden.»

Zwei Franken für ein Erlebnis? «Tatsächlich ist es etwas vermessen zu glauben, dass man mit zwei Franken ein Erlebnis generieren kann. Darin liegt auch eine gewisse Gesellschaftskritik. Handkehrum hat sich herausgestellt, dass der Einwurf des Münz bereits ein gewisses Erlebnis sein kann», sagt Gut.

Ist der Alltag etwas Negatives?

Gratis gibt's bekanntlich nichts im Leben. Der Luzerner sagt dazu: «Tatsächlich geht es bei jedem Erlebnis, das man am Automat kauft, mitunter darum, den inneren Schweinehund zu überwinden. Mit den Erlebnissen verhält es sich ähnlich wie mit der Kreativität.» Beides entstehe zumeist aus Situationen, die auf den ersten Blick nicht gemütlich seien.

Gut führt aus: «Jedes Mal, wenn man in die Ferien fährt, geht man ein gewisses Risiko ein. Man trifft auf eine andere Kultur, Währung, Sprache. Nicht alles ist kalkulierbar, selbst wenn wir uns unsere Reisen heute meist so einrichten, dass sie möglichst bequem sind. Dennoch haben wir den grossen Anspruch, dass wir in den Ferien etwas erleben.»

«Viele Leute empfinden die Routine als angenehm und sehen sie als ruhigen, geschützten Ort.»

Ist also Guts Erlebnisomat auch als Vorwurf an die Gesellschaft zu werten? «Im Grunde war das der ursprüngliche Gedanke. Ich ging von der Prämisse aus, dass der Alltag etwas Negatives sei.» Diese Prämisse habe er mittlerweile jedoch relativiert. «Wir haben einmal eine Umfrage zum Thema Alltag gemacht. Es stellte sich heraus, dass viele Leute die Routine als angenehm empfinden und als ruhigen, geschützten Ort. So entsteht die Möglichkeit, dass die eigenen Ressourcen für anderes genützt werden.» Sogleich nennt er ein Beispiel: «Allein wenn man einmal mit der anderen Hand die Zähne putzt, kann das zum Erlebnis werden. Doch kann man dann nicht gleichzeitig an etwas anderem herumstudieren.»

Foto knipsen, Handy aus. Für dieses Erlebnis muss man auch den inneren Schweinehund ausschalten. (Bild: wia)

«Der Alltag muss per se nichts Negatives sein», so Martin Guts Erkenntnis. Auch wenn es ganz und gar nicht schadet, den sicheren Hafen hin und wieder zu verlassen. Der Erlebnisomat könnte dabei ein prima Tor zu einem Paralleluniversum sein. Einem, das dich dazu bringt, ein Wochenende lang das Handy auszuschalten, oder dich auf eine unverhoffte Zugfahrt nach Basel führt, wo du – der Würfel entscheidet – vier Stunden verbringen musst. Dort übrigens, in den Adventure Rooms, steht ein weiterer Erlebnisomat, verrät Gut.

Insgesamt sind mittlerweile fünf solcher Objekte im Umlauf. Auf dem KKLB Kunsttrip in Beromünster etwa, in der Stadt Luzern befindet sich neben jenem in der Hochschulbibliothek ein zweiter Automat in der Boutique Spektrum an der Pfistergasse. Jedenfalls im Moment: Denn auch der Erlebnisomat hält es meist nicht länger als ein paar Monate an einem Ort aus und bricht hie und da aus dem Alltag aus, um sich woanders niederzulassen.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Theresa Hofmann
    Theresa Hofmann, 26.04.2021, 11:56 Uhr

    Da gibt Mann/Frau Geld aus und macht’s dann trotzdem nicht. Ist doch so. Diejenigen, die ihren Alltag verschönern wollen, können es auch selber. Alle anderen sind sowieso verloren.

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  • Profilfoto von Fränzi
    Fränzi, 26.04.2021, 11:53 Uhr

    Das ist genial!!! Liebe diese Idee

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