Leserbrief zur Ausstellung in der Burg Zug

Raketenfetische und entsorgte Geschichtslektionen

Adrian Hürlimann aus Zug stört sich an einer Bloodhound-Flabrakete, die vor dem Museum in der Burg steht. Die Fetischisierung von Kriegstechnologie verharmlose den Kalten Krieg, schreibt er in seinem Leserbrief.

Im Vorhof der Burg Zug ist derzeit eine Bloodhound-Flabrakete zu sehen, als Einstimmung auf die im Museum in der Burg eingerichtete Ausstellung zum Kalten Krieg.

Diese mittels Crowdfunding finanzierte Zurschaustellung von Kriegsspielzeug der Nachkriegsgeneration zeugt nicht gerade von Originalität – war doch ein anderes dieser Geschosse aus der Flabstellung auf dem Gubel bei Menzingen bereits 2018 im Nationalmuseum Zürich zu sehen, ebenfalls als einstimmendes Präludium auf der Eingangstreppe, damals zur Ausstellung zum Komplex 1968.

Originell oder nicht, Spielzeug und rituelles Kultobjekt, dass die affirmative Fetischisierung von Kriegstechnologie kaum geeignet ist, die dringend geforderte Aufarbeitung von ideologischen Sackgassen zu befördern, habe ich bereits in meinem letzten Blog zu verdeutlichen versucht.

Hier wie dort, beim Beispiel des in den See abgestürzten Bombers und dem Getue um die Überbleibsel, geht es dem gesunden Volksempfinden nämlich vor allem um die bequeme Verschleierung der Umstände, die zum Einsatz dieser Flugwaffen geführt hatten.

War es im Fall des Weltkriegsbombers darum gegangen, das Versagen der schweizerischen Neutralitätspolitik angesichts des NS-Staates zu entsorgen, so geht es hier und heute darum, die Hybris der Kalten Krieger zu verharmlosen, die nichts weniger als die totale Zerstörung der Schweiz zufolge eines Gegenschlag des gefürchteten, weil Kapital-bedrohenden Sowjetkommunismus in Kauf genommen haben.

Wir wollten sie auch

Wenige Monate nach Kriegsende, genauer: nach Hiroshima und Nagasaki, setzte der damalige Verteidigungsminister Karl Kobelt eine Expertengruppe ein, die die Produktion der Atomenergie vorantreiben sollte. Dabei ging es aber, genau wie im Iran heute, keineswegs um die friedliche Nutzung der Nuklearenergie, sondern um die Schaffung einer schweizerischen «Uranbombe».

Kopf der Forschungsgruppe war der ETH-Professor Paul Scherrer, der mit Hitlers Atombombenbauer Werner Heisenberg ebenso befreundet war wie mit dem amerikanischen Geheimdienst. Spätestens ab Mitte der 50er-Jahre liessen die Militärs die Maske fallen und forderten «Atomgeschosse», die sich, so die vorgelogene Selbsttäuschung, zu einer normalen Waffe auf dem Schlachtfeld entwickeln würden.

Ein taktisch geführter Atomkrieg rückte in theoretische Reichweite. Oberstdivisionär Etienne Primault träumte davon, mit einem Flugzeug wie der Mirage Nuklearwaffen nach Moskau zu fliegen. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Ungarn war es klar, dass die Armee Atomwaffen zu beschaffen hatte, auch wenn die Zivilbevölkerung im Inland ebenso gefährdet würde wie die böse kommunistische im Ausland. Anders sei die Neutralität nicht zu haben, meinte der Bundesrat 1958.

Der Pazifist als innerer Feind

Wie die NZZ in einem geschichtlichen Rückblick auf den Kalten Krieg schreibt, reagierte damals nicht nur die New York Times entsetzt, sondern warnte die japanische Zeitung Asahi vor der Gefährdung des eigenen Landes, der Schweiz.

Die Falken in Bundesbern liessen sich aber nicht beeindrucken, sondern traten den pazifistischen und linken Kreisen mit der Behauptung entgegen, ein Verbot der Atomwaffen sei von kommunistischen Unterwanderern gesteuert. Ex-General Guisan sprach vom «Spiel des Kommunismus» und die NZZ von «Selbstentmannung».

Kassensturz bringt die Wende

Nicht die erfolglosen Initiativen zu Atombombenverboten nahmen den von zunehmendem Atomwaffenfieber ergriffenen Militärs den Wind aus den Segeln, sondern die Mirage-Affäre unter Paul Chaudet, die sich lediglich um lapidare Kostenüberschreitungen drehte und in keinster Weise um die Frage, ob die Verteidigungsdoktrin der Schweizer Politik wahnsinnigen Phantasien vom Erstschlag und Zweitschlag geopfert werden sollte. Köpfe rollten, und von da an, 1964, hingen nur noch Scharfmacher wie Gustav Däniker an der Strategie der Abschreckung durch Nuklearwaffen an.

Mit dem Schicksalsjahr 1968 und den Atomwaffensperrverträgen zwischen Ost und West verfiel die Schweiz endlich auf die Idee, die Kernenergie friedlich zu verwerten und aufzuhören, die Bevölkerung mit der Verteufelung der bösen Systemgegner des real existierenden Sozialismus in Angst und Schrecken zu versetzen.

Abwehr als Terror

Die Schweiz und auch ich selber hatten einige Zeit Ruhe, von Waffenlieferungen ins weniger ruhige Ausland einmal abgesehen. Einer Minderheit von Milizsoldaten, darunter auch ich, wurde es bald einmal klar, dass die heimatliebende Abschreckungspolitik – der Gegner war stets rot – vor allem innenpolitisch wirken und revolutionäre Gelüste wegzudiziplinieren hatte.

Es ging immer um die Einschüchterung der besitzlosen Klasse, der ganze waffenstarrende Firlefanz diente letztlich nur der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern, wie sich das verfassungsmässig formuliert anhört. Dazu waren allerdings keine Atomwaffen und keine Bloodhounds von Nöten, aber zur Einübung der rechten Gesinnung eben schon.

Dürrenmatt sprach von der Schweiz als Gefängnis, mit uns allen als Gefängniswärtern. Seit dem Zerfall des Sowjetkommunismus fehlt uns ganz einfach der äussere Feind. Und damit auch der innere, mit allem Schlimmen und Gefährlichen sympathisierende. Die Wärter waren arbeitslos Es brauchte nun keine Fichen mehr. Der Kalte Krieg ist vorbei.

Seit einigen Jahren jedoch gibt es wieder eine Welle der Angst- und Scharfmacherei gegen eine angebliche Verschwörung zum Austausch der Bevölkerung. Diesmal geht es nicht mehr um die Anhänger der Systemkritik und der Kollektivierung des Privateigentums, die hierzulande die Macht übernehmen sollten. Sondern um den Wahn vom Austausch der weissen Rasse durch multinationale Bevölkerungsgruppen, die als Flüchtlinge einwandern und die angeblichen Ureinwohner konkurrenzieren würden. Es gibt wieder Feinde der Demokratie zu fichieren, aber diesmal die von rechts. Eine Minderheit mit vielen Sympathisanten.

Ewige Angst vor dem «Austausch»

Wohin diese Fehlentwicklungen dereinst führen werden, ob sie wie 1933 mehrheitsfähig und einmal mehr Europa inklusive Schweiz zu Widerstand oder Anpasserei zwingen werden, lässt sich derzeit noch nicht sagen.

Dass eine rechtsextreme Wirtschaft mindestens kurzzeitig erfolgreich sein kann, sehen wir anhand von Trumps Amerika. Dass die Kriegspolitik eine entscheidende Rolle in dieser Wirtschaft spielt, war aber einst wie jetzt klar.

Und deshalb ist es falsch, die Vergötzung von Kriegstechnologie in Kauf zu nehmen, um gesellschaftspolitisch aufklärend wirken zu wollen. Es geht bei diesem um Theater für das Volk. Das Bühnenbild ist das böse, weil andersartige Ausland. Einst dramatisierte es die Stimmung hinter dem Geschehen um die Bedrohung der Neutralität, heute um die der Alphörner und des Schwingerfestes. Das attraktivste Requisit liefert die Superwaffe. Wie immer in Penisform.

Adrian Hürlimann, Zug

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