Was steckt hinter der Faszination CrossFit? zentralplus wollte es wissen und hat seither Muskelkater. Dafür sind wir Vorurteile losgeworden und laufen mit geschwellter Brust durch die Gegend.
CrossFit. Das ist die Sportart, die nur Muskelprotze machen. Die Leute dort sind Einzelkämpfer und es ist – mit Verlaub – verdammt hart. Dachten wir. Was an diesem amerikanischen Fitnesstrend dran ist, wollten wir selbst erleben und haben den Selbstversuch gewagt. Zugegeben: Fast alle Vorurteile mussten revidiert werden.
Die Kampfansage an den inneren Schweinehund
Stefan Müller empfängt uns mit einem kräftigen Händedruck vor der Box in Hühnenberg. Der Zuger ist der Co-Inhaber des «CrossFit Zug», die Box die Lokalität, wo trainiert wird. Von aussen sieht diese wie eine riesige Garage aus. Kaum betritt man die Box, steht man vor einem grossen Schriftzug. Schwarz auf Weiss brüllt einem die Wand entgegen: «BE THE BEST YOU». Darüber prangt ein starker Arm, der ein Gewicht hält. Waagrecht und scheinbar mühelos. Es ist eine Art Kampfansage an den inneren Schweinehund. Und unserer denkt sich: Okay, komm bloss her, du CrossFit. Es wird aber auch das Letzte sein, was er an diesem Tag von sich gibt.
Einmal drin, taucht man sofort in die CrossFit-Welt ein. Gewichte, Gummibänder, Matten, Hanteln, Boxhandschuhe, Taue und viele Stangen stimmen ein auf die folgenden 60 Minuten und suggerieren von Beginn weg: Es wird anstrengend! Und dieser Eindruck soll nicht täuschen. Denn die Minuten in der Umkleidekabine sind die einzigen, die uns nicht den Schweiss auf die Stirn treiben – so viel vorneweg.
Von den (Fast-)Pionieren zu den Trendsettern …
CrossFit ist eine Trendsportart. «Wir haben in Zug gut 200 Mitglieder, in Luzern sind es etwa 100», sagt Stefan Müller. Vor vier Jahren haben er und sein Geschäftspartner Janosch Nietlispach ihr «CrossFit» in Zug eröffnet und waren damals zwar nicht ganz Pioniere, sind aber doch sehr früh auf den Trend aufgesprungen. «In der Schweiz gab es damals gerade mal 13 andere Boxen», sagt er nicht ohne Stolz.
Müller, der früher aktiv geschwommen ist und unter anderem Schweizer Meister über die 100 Meter Delfin wurde, suchte nach seiner Schwimm-Karriere eine neue sportliche Herausforderung. Er kam durch Freunde zum CrossFit, trainierte erst in Zürich und bildete sich dann zum Coach aus. Mit Nietlispach, dem mehrfachen Kickbox-Weltmeister, den er im Ausgang kennengelernt hatte, eröffnete er 2012 die erste Box in Rotkreuz.
… und mit Vollgas zum fittesten Zuger
Zusammen mit Zug Sports suchte CrossFit Zug am 20. August die Fittesten aus Zug. In der Qualifikation mussten die Athleten drei Workouts absolvieren, wobei sie Kraft, Ausdauer und auch ihre Geschicklichkeit unter Beweis stellen mussten. Am Abend wurde der Titel «Zug's Fittest» unter den vier fittesten Frauen und Männern in der B-Arena ausgetragen.
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Daran sind Müller und Nietlispach massgeblich beteiligt. Gerade erst haben sie den Event «Switzerland’s Fittest» organisiert, wo verschiedene CrossFits zusammen den fittesten Schweizer kürten. Nächste Woche sucht er beim «Zug’s Fittest» den fittesten Zuger (siehe Box). Mit einem öffentlichen Wettkampf am Zug Sports Festival versuchen er und Nietlispach, der Bewegung noch mehr Schub zu verleihen.
Erstes revidiertes Vorurteil: Das machen nur Muskelprotze
Von so viel Erfolg motiviert, legen wir los. Im Eiltempo erklärt Müller die Basics – denn ganz ohne Vorwissen kann man nicht ins Training starten. Nicht ohne Grund: Oft werden Übungen mit Gewichten absolviert. Führt man die Bewegung falsch aus, schwingt eine latente Verletzungsgefahr mit. Langsam tröpfeln die anderen Teilnehmer in die Box: Wir sind etwa gleich viele Frauen wie Männer und längst nicht alle sind Muskelprotze. Doch viel Zeit, die anderen zu mustern, bleibt nicht, denn Punkt 12 Uhr gilt es ernst.
Die Musik wird aufgedreht und zu pumpenden Hip-Hop-Beats hüpfen, spannen, heben und ächzen wir. In Trainingsgruppen von höchstens zwölf Personen versucht man, ans Limit zu gehen. Die Übungen sind dabei so konzipiert, dass man mit Gewicht oder Schwierigkeitsgrad jederzeit variieren kann – je nach Fitness kann man sich also ein härteres oder lockereres Training gestalten. Das ermöglicht es, dass langjährige Mitglieder neben Greenhörnern wie uns trainieren und ebenfalls schwitzen. Dazwischen steht Müller, der Haltungen korrigiert und uns durch die laute Musik hindurch motiviert.
Zweites revidiertes Vorurteil: CrossFit ist nur für Einzelkämpfer
«Mir gefällt der Trainingsstil. Es sind keine neuen Übungen, sondern es ist eher ein ‹Back to the roots›», sagt Müller. Stimmt, denn weder die Hampelmänner (oder Jumping Jacks, wie die Bewegung im Englischen heisst) noch das Gewichtheben oder die Dehnübungen sind die Neuerfindung des Rades. Doch das ist auch gar nicht nötig, denn CrossFit will sich mit anderen Qualitäten abheben: «Die Trainingsgruppen sind in der Grösse beschränkt, um die Qualität der Betreuung hoch zu halten. Weil wir nicht Tausende von Mitgliedern haben, kennt man sich. Es entsteht so etwas wie eine CrossFit-Familie», schwärmt Müller.
Diese Art von Training motiviere, über die eigenen Grenzen hinauszuwachsen. Müller zieht gerne den Vergleich zu einem Verein, denn der Spirit sei beim CrossFit ähnlich. «Man kennt sich, bleibt nach dem Training manchmal sogar noch kurz hier, um sich auszutauschen», erzählt Müller. Und man feuert sich gegenseitig an, klopft dem Kollegen anerkennend auf die Schulter, wenn er eine gute Leistung abliefert. Und tatsächlich strahlt eine Teilnehmerin die andere an, die ihr beim Heben des Gewichts anerkennend zunickt.
Drittes und nicht revidiertes Vorurteil: Es ist verdammt hart
Die 60 Minuten Training vergehen wie im Flug, aber schon während des Trainings schmerzen die Muskeln. Und obwohl man nicht mehr kann, macht man weiter. Weil es alle anderen auch tun und weil einen sogar die Wände dazu motivieren, an die Grenzen zu gehen. Die Folgen: ein anhaltender und grossflächiger Muskelkater. Der Nachmittag im Büro wird zur Tortur. Sogar das Heben der Trinkflasche scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein und der ankommende Muskelkater meldet sich sogar beim Tippen. Doch das ist Teil der Sportart, Teil des Lifestyles.
Müller als Trainer findet es «cool», die Veränderung seiner Schützlinge zu sehen. «Einige kommen her und haben keine Fitness. Zu sehen, wie sie Fortschritte machen, ist grossartig. Einige gewinnen sogar richtig an Selbstvertrauen, das merkt man an ihrer Gangart oder daran, wie sie mit den anderen Menschen hier interagieren», sagt Müller. Doch der Weg dahin ist alles andere als ein Zuckerschlecken. Dieses Vorurteil lässt sich nicht aus der Welt schaffen.
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