Hunde mit Burnout

Psychopharmaka für den Vierbeiner

Vom Hundeblick zum Burnout? Depressive Hunde werden mit Medikamenten behandelt. (Bild: Sandra Neumann / Fotolia)

Beim Menschen gehört ein Burnout schon fast zum guten Ton. Die Diagnose wird mittlerweile aber immer häufiger auch bei Hunden gestellt. Hundepsychologen sind gefragt wie nie – und setzen zur Behandlung mitunter auf Psychopharmaka aus der Humanmedizin.

Der Hund: Des Menschen bester Freund. Das wusste bereits Voltaire. Doch gilt auch der Umkehrschluss? Ist der Mensch auch der beste Freund des Hundes? Nicht in jedem Fall. Mitunter wird das Tier so schlecht behandelt, dass es Verhaltensstörungen an den Tag legt, welche sich nur dank professioneller Hilfe auskurieren lassen. «Der Mensch ist oft das Problem», sagt denn auch Nathalie Stoller. Die Luzerner Verhaltenstherapeutin nennt mögliche Gründe: «Er schlägt ihn, hält ihn im Käfig und macht ihn zu einem Kampfhund. Von Natur aus gibt es keine Kampfhunde.»

Depressive Hunde?

Es scheint also einiges im Argen zu liegen in der grundlegend als harmonisch bezeichneten Beziehung zwischen Mensch und Hund. Darunter leidet auch die hündische Psyche. «Die häufigsten Probleme sind Verhaltensauffälligkeiten, so genannte Stereotypien», sagt Stoller. Sich im Kreis drehen, sich wund kratzen oder andere wiederkehrende Verhaltensmuster, die keinen Sinn ergeben, werden dazu gezählt.

«Hunde brauchen viel Ruhezeit.»

Eliane Müller, Hundepsychologin

Es geht aber noch dramatischer, um nicht zu sagen, vermenschlichter. Denn, wenn von Hunde-Burnout oder Depressionen die Rede ist, wenn traumatisierte Hunde Angst- und Stresssymptome zeigen, dann kann man sich schon fragen, ob die tierische Psyche nicht zu menschlich gedeutet wird. Können Hunde an einem Burnout erkranken?

Deprivation

Unter Deprivation versteht man ganz allgemein einen Zustand der Entbehrung und des Mangels, die Isolation von etwas Vertrautem. Dieser Zustand kann für all jene Lebewesen gravierende Folgen haben, welche dazu in der Lage sind, sich ihrer Umwelt durch Lernprozesse anzupassen. Denn gerade diese Anpassungsfähigkeit wird dadurch stark vermindert. Ängstlichkeit, Stressanfälligkeit und Hyperaktivität sind typische Symptome, die sich bei Hunden und anderen Säugetieren aus diesem Zustand ergeben.

Deprivationszustände treten insbesondere dann auf, wenn das Tier sein bisheriges Umfeld verlässt. Ein typisches Beispiel sind Hunde, die auf dem Bauernhof aufgewachsen sind oder aus ausländischen Auffangstationen stammen. Sie haben oft nicht die Gelegenheit, zu lernen, wie sie die neue, städtische Reizfülle verarbeiten können.

 

«Ja», sagt Eliane Müller aus Zug, die ebenfalls als Hundepsychologin arbeitet. «Manche Leute haben zu hohe Ansprüche an ihren Hund. Sie versuchen zu viel mit dem Tier zu machen. Das überfordert es und kann durchaus dazu führen, dass es ausbrennt.» Was eigentlich gut gemeint ist, wird also zum Problem. Kurs um Kurs werde gebucht und das pausenlose Fordern liesse den Vierbeiner nicht zur Ruhe kommen. «Hunde brauchen viel Ruhezeit», betont Müller.

Zu hoher Leistungsdruck

Das Leistungsstreben macht also auch vor dem eigenen Vierbeiner nicht halt. Selbstoptimierung mal anders. Agility-Training hier, Wettbewerbe dort. Mein Haus, mein Auto, meine Yacht – mein Hund? Kleidungsstücke vom Designer, Sonnenbrillen und ausgefallene «Frisuren» sind bereits gang und gäbe. Wieso das Tier nicht auch mit straffem Tagesprogramm «optimieren»?

Die Luzerner Tierärztin Susi Paul sieht die häufigste Ursache für psychische Störungen in der Deprivation (siehe Box). «Der Hund ist ein Ort- und Kontextlernender. Gerade die ersten Lebenswochen sind äusserst wichtig für den Sozialisierungsprozess und prägen das Tier fürs Leben.» Stark vereinfacht: Der Hund erleidet einen Kulturschock, wenn sein erlerntes Milieu stark ändert. Dies treffe nicht nur auf den eingeschleppten Streuner aus Griechenland, sondern auch auf den Sennenhund zu, der sich nach Jahren auf der Alp plötzlich in der Stadt wiederfindet.

«Die Tendenz, dass man ständig etwas mit seinem Hund machen muss, hat klar zugenommen.»

Susi Paul, Tierärztin

Ein zunehmender Trend

Überdrehtheit, Hyperaktivität und Aggressivität, aber auch Apathie und anhaltende Müdigkeit seien die Folgen. «Das kommt ganz auf die Rasse und letztlich auf das Individuum an», sagt Hundepsychologin Müller. Ein Teufelskreis, denn: «Wenn ein Tier mit Hyperaktivität auf die Überforderung reagiert, dann deuten die Halter dies als Anzeichen für mangelnde Auslastung – und fordern den Hund noch mehr.»

Das Ganze sei ein Trend, der in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe, sagt Müller. «Es ist eigentlich eine schöne Entwicklung, dass die Leute mehr mit ihren Hunden arbeiten möchten. Leider werden dabei aber zunehmend die Grenzen überschritten.» Susi Paul bestätigt: «Die Tendenz, dass man ständig etwas mit seinem Hund machen muss, hat klar zugenommen.» Es herrsche ein Wettbewerbsdenken. «Der menschliche Ehrgeiz ist tödlich für den Hund», betont Paul.

«Man muss den Hund von seiner Grundangst befreien, das können Psychopharmaka leisten.»

Susi Paul, Tierärztin und «Büsiaterin»

Griff in den Apothekerschrank

Die «Büsiaterin», wie sich Paul selber nennt, unterstützt, wenn nötig, eine Verhaltenstherapie mit Psychopharmaka. «Einige sind auf Tiere umgemodelt, andere sind aus der Humanmedizin», erläutert Paul. Das Tier in seinem psychischen Druck und den Angstzuständen zu lassen, das wäre Tierquälerei. «Der Hund muss runtergefahren werden, damit er lernen kann. Man muss ihn von seiner Grundangst befreien, das können Psychopharmaka bewirken», sagt die Tierärztin.

Nathalie Stoller hingegen sieht den Einsatz chemischer Medikamente kritisch: «Ich setze solche Substanzen nicht ein. Das würde lediglich die Symptome verdecken und ist alles andere als nachhaltig.» Der Erfolg hänge vom Besitzer des Tieres ab. Was ein Hund brauche, sei viel Geduld. Der Besitzer müsse seinem Hund Sicherheit geben, damit das Tier Vertrauen aufbauen könne. Nur so liesse sich das Problem dauerhaft lösen. Höchstens in einzelnen Fällen greife Stoller auf homöopathische Mittel zurück.

Auch Eliane Müller versuche wenn möglich, auf Medikation zu verzichten, was jedoch nicht immer gelinge. «Mein Fokus liegt auf dem Management. Ich versuche Strukturen zu schaffen, um nachhaltig etwas zu bewirken. Nur in seltenen Fällen greife ich auf Medikamente zurück, seien es homöopathische oder chemische.»

Der Mensch: Des Hundes bester Freund? Zu hohe Ansprüche, ungesundes Leistungsstreben und Wettbewerbsdenken lassen das zumindest fragwürdig erscheinen. Wenn dem Tier dann auch noch Psychopharmaka aus der Humanmedizin verschrieben werden, bekommt die Redensart «auf den Hund gekommen» einen völlig neuen Charakter.

Was denken Sie über Psychopharmaka für den Hund? Werden Sie Community-Mitglied und teilen Sie uns Ihre Meinung mit.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Sarastro
    Sarastro, 04.08.2015, 15:14 Uhr

    Wie heisst es doch: Wie der Herr, so s Gscherr oder wenn Sie lieber wollen: Wie die Frau, so der Wau!
    Wenn man sieht, wie viele gestörte Leute heute einen Hund halten und wie «sachunkundig» vielerorts ausgebildet und instruiert wird, so ist die im Artikel beschriebene Situation eigentlich nur die logische Folge davon!

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon