Nach umstrittener Ausschaffung

Prozesse gegen Demonstranten lösen Kundgebung vor dem Bezirksgericht Luzern aus

Vor dem Bezirksgericht Luzern haben am Dienstag Demonstrantinnen den Freispruch von mehreren Aktivisten gefordert. (Bild: ber)

Demonstranten haben im Juni 2019 die Ausschaffung eines Nigerianers verzögert, der von seiner Familie getrennt werden sollte. Nun müssen sich die Aktivisten vor Gericht verantworten. Unterstützt wurden sie von rund 30 Personen, die an einer Solidaritätskundgebung teilnahmen.

Wer sich als Ausländer nicht an die Schweizer Gesetze hält, riskiert, nicht weiter hier leben zu dürfen. Für einen Nigerianer hatte das 2019 massive Auswirkungen: Er wurde nicht nur wegen Kokainhandels verurteilt. Das Amt für Migration entschied auch, seine Aufenthaltsbewilligung nicht zu verlängern – obwohl er drei Kinder hat, die in der Schweiz leben.

Das Bundesgericht stützte den Entscheid. Die Familie zog den Fall an den Europäischen Gerichtshof weiter, weil aus ihrer Sicht eine Verletzung des Menschenrechts auf ein Familienleben vorliegt (zentralplus berichtete). Trotzdem entschied die Luzerner Regierung, mit der Ausschaffung nicht zu warten.

Dies löste massive Kritik aus. Eine Petition mit 600 Unterschriften sowie ein Vorstoss im Kantonsrat waren die Folge. Als dies nichts nützte, kam es am Tag der Ausschaffung zu einer Protestkundgebung vor dem Gebäude der Luzerner Polizei. Die Fahrt zum Flughafen verzögerte sich dadurch um zehn Minuten.

Angst um die eigene Aufenthaltsbewilligung

Diese hat nun ein juristisches Nachspiel. Insgesamt neun Personen müssen sich vor dem Bezirksgericht Luzern verantworten. Die Demonstranten sollen den Polizeitransporter blockiert und kurzzeitig an der Weiterfahrt gehindert haben. Das sei Nötigung gewesen, wirft ihnen die Staatsanwaltschaft vor (zentralplus berichtete). Sie fordert Geldstrafen und Bussen für die Beschuldigten.

«Ich habe die Familie kennengelernt und ich war nicht einverstanden, dass der Vater ausgeschafft wird. Deshalb war ich da.»

Beschuldigter in der Verhandlung

Am Dienstag morgens um 8 Uhr begann die erste Verhandlung, die zweite folgte gleich um 10 Uhr. Bei beiden Beschuldigten handelt es sich um junge Kurden. Sie geben zu, dass sie an der Spontandemo teilgenommen hatten, für die keine Bewilligung erforderlich war. Beide bestreiten aber, den Transporter eingekesselt zu haben.

«Ich habe die Familie kennengelernt und ich war nicht einverstanden, dass der Vater ausgeschafft wird. Deshalb war ich da», sagte der erste Beschuldigte in der Verhandlung. Er habe aber keine Nötigung und keine andere Straftat begehen wollen. Dies weil er kurz davor eine C-Bewilligung beantragt hatte. «Und mir war bewusst, dass die Voraussetzung dafür ist, dass man keine Vorstrafen hat.»

Mitgefühl mit dem Familienvater

Der zweite Beschuldigte erklärte dem Richter eindrücklich, weshalb er an der Kundgebung teilgenommen hatte. «Ich bin ein Kurde und aus politischen Gründen hier. Es sind ganz viele Menschen aus dem gleichen Grund in der Schweiz.» Er sei überzeugt gewesen: Wenn man diese Person ausschafft wird, traumatisiert das die ganze Familie. «Die Geschichte hat mich emotional sehr berührt. Weil ich wusste: Das könnte mir auch passieren.»

Er hätte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren können, nichts zu unternehmen, wenn jemand ausgeschafft wird, der hier Kinder hat, meinte er weiter. In seinem Plädoyer betonte der Verteidiger des Mannes, dass sich der Vorsatz nur auf die Teilnahme an der Demo gerichtet habe. Aber nicht darauf, den Wagen zu stoppen.

«Die Geschichte hat mich emotional sehr berührt. Weil ich wusste: Das könnte mir auch passieren.»

Beschuldigter in der Verhandlung

«Ihm kann nicht vorgeworfen werden, was die anderen Kundgebungsteilnehmer gemacht haben. Er hat keinen Tatbeitrag geleistet, so dass der Erfolg ohne ihn nicht eingetreten wäre – es liegt keine Mittäterschaft vor», meinte der Verteidiger. Die Staatsanwaltschaft nahm an der Verhandlung nicht teil.

Aktivisten fordern Freisprüche

Die Prozesse gehen noch bis Donnerstag weiter. Unterstützt wurden die Beschuldigten durch eine bewilligte Solidaritätskundgebung, die am Dienstag um die Mittagszeit stattfand.

Rund 30 Personen nahmen daran teil. In einer Rede wurde abwechselnd aus dem Strafbefehl und aus der Stellungnahme eines Beschuldigten zitiert. Die Kundgebungsteilnehmer forderten Freisprüche für sämtliche Teilnehmer der damaligen Spontandemo.

Wie die Urteile ausfallen, wird sich voraussichtlich nächste Woche zeigen, wie der Bezirksrichter in Aussicht stellte. Ein Teil der Entscheide wird auf Wunsch der Beschuldigten mündlich eröffnet und begründet – die anderen Urteile ergehen schriftlich.

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