Keine Rechtsgrundlage für besseren Schutz

Praktikanten-Schutz in Kitas: Gemeinde Emmen krebst zurück

Sie haben Freude am Umgang mit Kindern – doch leben können viele Praktikantinnen in Kitas nicht von ihrem Lohn. (Bild: Adobe Stock)

Der Gemeinderat Emmen will verhindern, dass in Kindertagesstätten (Kita) Praktikantinnen als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Als sich eine örtliche Kita zur Wehr setzte, musste er allerdings klein beigeben – weil die rechtliche Grundlage dafür fehlt.

Wer in einer Kita arbeiten will, braucht einen langen Atem. Der Berufseinstieg erfolgt in der Regel über ein Praktikum. Oft dauert dieses ein Jahr oder gar zwei – und eine Lehrstelle wird trotzdem nicht zugesichert.

Eine pädagogisch-berufsbildnerische Erklärung gibt es dafür nicht. Aber eine wirtschaftliche. Die Praktikantinnen werden schlicht als billige Arbeitskräfte genutzt (siehe Kasten). Der Branchen-Verband Kibesuisse schlägt zwar einen Praktikumslohn von 800 bis 950 Franken vor. In der Realität wird aber oft deutlich weniger bezahlt.

Lehr- und Praktikumsstellen sollen sich die Waage halten

Die Ausnutzung von Praktikantinnen gilt es künftig zu verhindern. Deshalb hat der Verband der Luzerner Gemeinden (VLG) im Mai neue Richtlinien für Kindertagesstätten beschlossen. Sämtliche Luzerner Gemeinden sollen sich daran orientieren, wenn sie Kindertagesstätten bewilligen.

Die neuen Richtlinien schreiben unter anderem vor, dass ein Praktikum nicht länger als sechs Monate dauern darf – ausser es wird für danach ein Ausbildungsplatz zugesichert. Zudem sollen innerhalb einer Kita nicht mehr Praktika als offene Lehrstellen im Folgejahr angeboten werden.

«Als sich die Kindertagesstätte darüber beschwerte, haben wir festgestellt, dass die Auflage rechtlich nicht durchsetzbar ist.»

Emmer Sozialdirektor Thomas Lehmann (FDP)

Der Emmer Gemeinderat versuchte, die neuen Richtlinien sogleich umzusetzen, als eine örtliche Kita ein Gesuch um eine Verlängerung der Betriebsbewilligung stellte. Der Gemeinderat erteilte die Bewilligung nur unter der Bedingung, dass sich Praktika und Lehrstellen die Waage halten – und Erstere nur in Ausnahmefällen länger als sechs Monate dauern.

Die betreffende Kindertagesstätte wehrte sich allerdings vor dem Kantonsgericht gegen die Auflage. Das wundert nicht. Denn zurzeit sind bei der schweizweit aktiven Firma 19 Praktikumsstellen ausgeschrieben – und nur gerade eine Lehrstelle.

Emmen scheut den Rechtsstreit

«Wir wollen verhindern, dass Praktikanten als günstige Arbeitskräfte missbraucht werden», sagt der Emmer Sozialdirektor Thomas Lehmann (FDP) auf Anfrage zu dem Fall. «Wir hatten vor, ein Zeichen zu setzen, und sind deshalb der Empfehlung des VLG gefolgt.»

Doch es kam anders. «Als sich die Kindertagesstätte darüber beschwerte, haben wir festgestellt, dass die Auflage rechtlich nicht durchsetzbar ist. Es fehlt die entsprechende gesetzliche Grundlage, weshalb wir bei einem Rechtsstreit den Kürzeren gezogen hätten.»

Der Gemeinderat von Emmen nahm daher seinen Entscheid zurück und verlängerte die Bewilligung der Kita ohne besagte Auflage. Entsprechend fällte das Kantonsgericht einen sogenannten Erledigungsentscheid. Das heisst: Es befasste sich nicht weiter mit den rechtlichen Tücken des Falls und legte ihn zu den Akten.

Kanton Luzern ist ein Kita-Kuriosum

Um die Ausnutzung von Praktikantinnen zu verhindern, bräuchte es in Emmen also – wahrscheinlich – eine neue Gesetzesgrundlage. In den übrigen Luzerner Gemeinden dürfte das ähnlich sein.

Seltsamerweise ist es aber so, dass Luzern schweizweit der einzige Kanton ist, der keine rechtlichen Bestimmungen zur Harmonisierung von Kindertagesstätten hat. Kitas zu beaufsichtigen und zu bewilligen ist allein Sache der Gemeinden. Entsprechend herrscht diesbezüglich einiger Wildwuchs.

«Aus meiner Sicht besteht Handlungsbedarf und ich würde einen Passus zum Schutze von Praktikanten begrüssen.»

Emmer Sozialdirektor Thomas Lehmann

Das soll sich allerdings bald ändern. Mehrere Kantonsparlamentarier fordern in einem Vorstoss, dass die Regierung ein Kita-Gesetz erarbeitet und damit die Regeln vereinheitlicht. Letzte Woche gab der Regierungsrat bekannt, dass er die Motion entgegennehmen will (zentralplus berichtete).

Es ist gut möglich, dass sich ein kantonales Kita-Gesetz dereinst an den Richtlinien des VLG orientieren wird. Der Emmer Sozialdirektor Thomas Lehmann jedenfalls hofft es. «Aus meiner Sicht besteht Handlungsbedarf und ich würde einen Passus zum Schutze von Praktikanten begrüssen», meint er. «Schliesslich haben wir eine Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmenden.»

Missbräuchliche Löhne sind verbreitet

Im Kanton Luzern hat 2017 die Tripartite Kommission Arbeitsmarkt (TKA) 36 Kita-Betriebe kontrolliert. 23 dieser Betriebe zahlten ihren Praktikantinnen und Angestellten einen «missbräuchlichen» Lohn, wie die Kommission nach ihrer Untersuchung mitteilte. «Der Sinn und Zweck eines zwölfmonatigen Praktikums erschliesst sich uns nicht. Unserer Meinung nach sieht man vor zwölf Monaten, ob ein Jugendlicher sich für den Beruf eignet», sagte TKA-Präsident Giuseppe Reo 2019 zur «Luzerner Zeitung». Praktikanten würden als billige Arbeitskräfte missbraucht, oft habe ihre Anstellung rein wirtschaftliche Gründe.

Die TKA hatte deshalb eine Empfehlung «mit Weisungscharakter» verfasst, die genau den Richtlinien des VLG entspricht. Sie kann seither «fehlbare» Kitas verwarnen. Um Bussen zu verteilen fehlt aber die gesetzliche Grundlage.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von C.
    C., 01.03.2021, 22:45 Uhr

    Wie ist es denn mit dem Schutz und Mindestlohn von Praktikant/innen in anderen Berufen? Da schreit niemand… Was ist mit den Kitas, die ihre Praktikant/innen gut begleiten und vorbereiten auf eine künftige Lehre? Wer bezahlt die Mehrkosten, für mehr ausgebildetes Personal? Wer bezahlt die Mehrkosten für mehr Lernende? Genau- NICHT die Gemeinden /der Kanton. Diese Kosten würden auf die Klienten abgewälzt werden (müssen) doch, welche Familie kann sich einen Kita Platz für 200.- pro Tag leisten?

    Unglaublich, diese Diskussion!

    Klar, es gibt Betriebe die ihre Praktikant/innen ausnutzen, indem sie ständig die Lehrstelle versprechen und es dann doch nichts wird, oder sehr wenig Lohn bezahlen. Deswegen sind aber nicht alle Kitas so!

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    • Profilfoto von Lena Berger
      Lena Berger, 02.03.2021, 10:48 Uhr

      Danke für den Kommentar. Was die erste Frage angeht: Praktikumslöhne werden auch in anderen Branchen diskutiert. Das ist klar. Darum geht es in dem Artikel aber nicht. Sollen Missstände etwa nicht mehr angesprochen werden dürfen, solange es anderswo auch Missstände gibt? Das könnte ich nicht nachvollziehen. Und es ist meines Wissens in anderen Branchen nicht üblich, dass man erst ein Praktikum machen muss, bevor man eine Lehrstelle bekommt.

      Wer die Mehrkosten bezahlen soll, ist eine spannende Frage. Die Gemeinden kommen bislang über die Betreuungsgutscheine ja durchaus teils dafür auf – also stimmt die Behauptung aus meiner Sicht nicht, dass sich die Gemeinden/Kantone nicht daran beteiligen werden. Klar ist: Im Moment zahlen die Praktikantninnen den Preis. Kann das echt die Lösung sein? Ich meine nicht.

      Dass alle Kitas die Praktikanten ausnutzen, wird in dem Text nicht behauptet. Im Gegenteil, die Zahlen von 2017 werden ja explizit ausgewiesen. Da waren es «nur» 23 von 36 Betrieben.

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