Anwalt Bruno Häfliger wehrt sich gegen Abbau

Prämienverbilligung: Er zerrt den Kanton Luzern vor Bundesgericht

Rechtsanwalt Bruno Häfliger in seinem Büro.

(Bild: pze)

Die Prämienverbilligungen geben zu reden – einmal mehr. Im nationalen Vergleich macht Luzern als Negativbeispiel Schlagzeilen, immer weniger Luzerner erhalten Unterstützung seitens der Behörden. Bruno Häfliger wehrt sich juristisch dagegen. Wer ist der Mann, der gegen Luzern vors Bundesgericht zieht?

Der Kanton Luzern ist aufgrund seiner Sparpolitik wieder einmal der Kritik ausgesetzt. Es geht um die individuellen Prämienverbilligungen, die in den letzten Jahren sukzessive gekürzt wurden. Recherchen von «10vor10» zeigten Anfang Woche: Rund 50’000 Luzerner verloren ihren Anspruch auf Vergünstigungen zwischen 2012 und 2017 (zentralplus berichtete).

Der Luzerner Rechtsanwalt Bruno Häfliger setzt sich – unterstützt von der SP – gegen den fortlaufenden Abbau bei den Prämienverbilligungen ein. Als der Kanton 2017 aufgrund der abgelehnten Steuererhöhung kurzerhand rund 5’800 Haushalten im Kanton die Prämienverbilligung strich und das ausbezahlte Geld zurückforderte (zentralplus berichtete), klagte der Rechtsanwalt gegen die Behörden. Nachdem das Kantonsgericht sein Anliegen abwies, zog er weiter vor Bundesgericht. Dabei wird er finanziell unterstützt von der Luzerner SP. Häfliger sagt: «Der Kanton Luzern missachtet hier Sinn und Geist des Bundesrechts.»

Streitpunkt: junge Familien

Der Rechtsanwalt, seit Jahren Mitglied bei der SP, spricht von einer «Sauerei», was der Kanton Luzern im Bereich der Prämienverbilligung macht. Er fühlt sich von den neusten Zahlen bestätigt. Er verfolge den sukzessiven Abbau seit Jahren, sagt er, doch die Anpassung 2017 brachte das Fass zum Überlaufen.

Häfliger ist Spezialist für Patienten-, Arztrecht und Sozialversicherungsrecht. Der Anwalt mit rund 35 Jahren Berufserfahrung nahm sich diesem Fall an.

«2008 wurden in Luzern 83 Prozent der Familien unterstützt. 2017 waren es noch knapp über 20 Prozent. Das ist haarsträubend.»

Streitpunkt ist der sogenannte «Familienartikel» im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG). Dieser besagt, dass Familien mit unteren und mittleren Einkommen unterstützt werden müssen – mit mindestens 50 Prozent der Prämienkosten für die Kinder und jungen Erwachsenen in Ausbildung. 2008 lag die Luzerner Einkommensschwelle für einen Anspruch auf Prämienverbilligung bei 100’000 Franken, gemessen am steuerbaren Einkommen. «Das war im Sinne des National- und Ständerates, die ein mittleres Einkommen mit 115’000 Franken definierten», so Häfliger.

Wie ist das mit diesen Einkommensgrenzen?

Wenn das Einkommen unter einer gewissen Grenze liegt, hat man Anrecht auf Prämienverbilligung. Ausschlaggebend dafür ist das steuerbare Einkommen. Für junge Familien lag diese Grenze 

  • 2018 bei 60’000 Franken
  • 2017: bei 54’000 Franken
  • 2016: bei 75’000 Franken

Pro Kind steigt diese Grenze um 9’000 Franken. Eine Familie mit zwei Kindern durfte also, um Vergünstigungen zu erhalten, 2016 noch 94’000 Franken verdienen, 2018 waren es noch 78’000 Franken.

Den kantonalen Gesetzgebern wurde damals ein gewisser Spielraum der Definition eingeräumt, was als «mittleres Einkommen» durchgeht. Häfliger sagt: «Die Kantone dürfen beispielsweise entscheiden, ob sie damit steuerbares oder Bruttoeinkommen meinen.» Damit könne die Einkommensschwelle für Prämienverbilligungen wohl kantonal variieren, eine Kürzung auf rund die Hälfte des vorgesehenen Betrags sei aber laut dem Rechtsanwalt «juristisch nicht mehr tragbar».

«Kanton widerspricht sich selbst»

Der Kanton unterstütze mit dem Heruntersetzen der Schwelle auf 54’000 Franken nur noch Familien mit tiefem Einkommen – nicht aber den Mittelstand, so Häfliger. «Dabei steht im Gesetz klar, dass auch mittlere Einkommen unterstützt werden müssen.» 

Durch die Festlegung auf 100’000 Franken im Jahr 2008 habe der Kanton eine Definition dieses «mittleren» Einkommens vorgenommen. «Wie kann zehn Jahre später die Hälfte davon als ‹mittel› gelten? Hier widerspricht sich der Kanton ja selber», sagt Häfliger.

Er nennt weitere Zahlen und bringt einen Stapel Akten vor, die sich zum Fall inzwischen angesammelt haben. Häfliger findet das nötige Dokument erstaunlich schnell. «2008 wurden 83 Prozent der Familien unterstützt. 2017 waren es noch knapp über 20 Prozent. Das ist haarsträubend», sagt er.

Bund erhöht Schutz des Mittelstandes

Häfliger ist überzeugt: Der Bund will junge Familien des Mittelstandes vor den steigenden Prämien schützen. Deshalb sei 2019 eine Erhöhung der vorgeschriebenen Mindestunterstützung für Kinder von 50 auf 80 Prozent vorgesehen, entsprechend würden auch Gelder in die Kantone fliessen.

«Die Luzerner Richter hatten leider zu wenig Mut für einen Entscheid gegen die Regierung.»

Aber: «Was nützt es den Familien, wenn der Prozentsatz der Unterstützung steigt, sie aber aufgrund der immer tieferen Schwelle gar kein Anrecht mehr auf Verbilligung haben?», so Häfliger mit Blick auf den Kanton Luzern. Die Kürzungen seien nur noch sparpolitisch motiviert. Der Kanton vernachlässige seine Pflicht zur Unterstützung junger Familien.

Kantonsgericht wies Beschwerde ab

Das Kantonsgericht des Kantons Luzern sah die Sache im Februar anders. Obwohl im «untersten Bereich des noch Vertretbaren» die Kürzung des Regierungsrates rechtens sei. Familien mittleren Einkommens hätten auch mit der Regelung von 2017 die Möglichkeit, vom Angebot zu profitieren. Häfligers Beschwerde wurde abgelehnt.

Doch auch das Gericht richtete damals mahnende Worte an die Regierung. Würden über Jahre Einkommensgrenzen gesenkt, obwohl die Krankenkassenprämien aller Bezüger steigen, so «droht das verbindliche Sozial- und Solidaritätsziel zur reinen Deklaration zu werden», so das Gericht.

Die SP sah den Grund der Niederlage bei der Verbandelung der Richter mit der Politik. In einem Communiqué der SP liess sich Präsident David Roth zitieren: «Dass das Kantonsgericht nicht gegen die eigene Regierung entscheiden würde, musste politisch erwartet werden» (zentralplus berichtete).

Häfliger sieht das anders: «Ich möchte die Integrität der Richter nicht infrage stellen.» Er meint, das Urteil sei äusserst knapp ausgefallen. Lese man den Wortlaut im Urteil, so hätte die Sache auch zu seinen Gunsten ausgehen können, ist sich Häfliger sicher. «Die Luzerner Richter hatten leider zu wenig Mut für einen Entscheid gegen die Regierung.» Nun müssen sich die Richter in Lausanne mit dem Fall befassen, ein Urteil erwartet Häfliger bis Ende Jahr.

Guido Graf zum unrühmlichem Spitzenplatz

Der Luzerner Sozialdirektor Guido Graf nimmt gegenüber zentralplus Stellung zum schlechten Abschneiden im «10vor10»-Vergleich. Er sagt, zwar hätten viele Luzerner ihren Anspruch verloren, doch: «Die Pro-Kopf-Beiträge pro unterstützte Person sind deutlich gestiegen. Die knappen Mittel werden somit effektiver eingesetzt, das heisst, an die wirklich Bedürftigen ausbezahlt.» 

Obwohl spürbar für die betroffenen Familien, sei der Wegfall der Prämienverbilligung für sie tragbar, so Graf. Ausserdem seien die Zahlen von 2017, welche die Grundlage für den «10vor10»-Bericht darstellen, bereits wieder überholt, da die Einkommensgrenze für 2018 um 6’000 Franken und somit auch die Anzahl der Bezüger voraussichtlich wieder etwas gestiegen ist.

Für künftige IPV-Einkommensschwellen spielt Graf den Ball ins Feld des Parlaments. Der Kantonsrat sei für den Budgetentscheid zuständig. Doch darauf hoffen, dass der Kanton Luzern in absehbarer Zeit wieder auf das Niveau von 2016 steigt, sollte man nicht. Aufgrund der finanziellen Aussichten des Kantons und dem gefassten Leitbildes 2017 sei es «eher unwahrscheinlich, dass der Kantonsrat für die IPV einen Budgetkredit spricht, welche eine substanzielle Erhöhung der Einkommensgrenze oder anderer Parameter ermöglicht», so Graf. Das heisst: Aus Spargründen wird die Einkommensgrenze in naher Zukunft kaum wieder angehoben.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Roland Grueter
    Roland Grueter, 09.08.2018, 15:35 Uhr

    Der Regierungsrat ist wohl stolz auf seine «gloriosen» Entscheid, bei der Prämienverbilligung zu sparen und damit bei Betroffenen die Not etwas zu lindern. Unnötige Geldverschleuderei ist «en vogue» und die Asylindustrie wird auch gut gefüttert. Wie lange lassen sich das die «Leidtragenden» noch gefallen?

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