Der zentral+ Rotlicht-Report: Teil 4

Der Callboy will kein Prostituierter sein

Callboy Antonio von der Escort-Agentur «belle donne». Hier gibt es Frauen- und Männer-Escorts (Bild: belle-donne.ch)

Sie sehen ihre Arbeit fast schon als Therapie und bezeichnen sich nur ungern als Prostituierte. Die Callboys – käufliche Männer vor allem für die Frau – sind die Glücklichen unter den männlichen Sexarbeitern. Sie dürfen «Nein» sagen, tun es vielfach nur als Nebenjob. Es gibt jedoch noch die anderen: die homosexuellen Prostituierten und Stricher. Ihr Business ist weder «chic» noch gesellschaftstauglich und sie kommen vor allem aus Osteuropa nach Luzern. 

Was macht eine Frau, wenn sie geschäftlich in der Stadt Zug zu tun hat und sich einsam fühlt? Wo deckt die dreifache Mutter Mitte vierzig ihre sexuellen Bedürfnisse, wenn beim Ehemann nichts mehr geht? Ganz einfach: Sie rufen einen Callboy! Wie der Name schon sagt: Ein Anruf genügt, meistens sogar eine oder zwei SMS, und schon steht der Mann nach Wahl vor der Tür.

Vielleicht beginnt alles mit einem Champagner-Date an der Hotelbar oder mit einem Theaterbesuch, bevor dann entweder im Hotel, bei ihr oder bei ihm, das «Kerngeschäft» erledigt wird. Und findet die Frau keine Begleitung für das Wellness-Wochenende, ist selbst das möglich mit dem Callboy. Es kommt einzig auf ein dickes Portemonnaie an. Eine Stunde kostet rund 250 Franken, die Stundentarife sinken umso mehr, je länger die Callboys bei einer Frau sind (2 Stunden à 450 Fr.).

Business-Frau, verheiratet, Kinder

Es liegt auf der Hand, dass sich dieses Vergnügen nur Frauen leisten, die ihr Geld selbst verdienen. Die meisten Kundinnen von Callboys sind denn auch Business-Frauen zwischen 30 und 60 Jahren, einige sind verheiratet und haben Kinder, andere sind Single oder alleinerziehend. Das Geschäft läuft diskret ab und es ist dank Internet ganz einfach geworden. 

Zum Beispiel über die Seite callboy-schweiz.ch. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Mehr als 65 Callboys stehen Frau hier zur Verfügung. Ob Latino-Lover, Bodybuilder, intellektueller Typ oder unscheinbarer Muttersohn, für jeden Geschmack ist einer dabei. zentral+ hat sich für Jeromé und Renato entschieden. Sie kommen aus Affoltern am Albis und Bremgarten, sind 36 und 34 Jahre alt und machen aus ihrem Nebenjob keinen Hehl.

«Es geht der Frau um andere Dinge: Kuscheln, Streicheln, Reden»

Callboy Renato

Die beiden Callboys versichern, dass bei ihnen jede Frau auf ihre Kosten komme. Sie würden ihre Bedürfnisse als Mann schliesslich vollständig zurückstellen. So etwas wie Orgasmus-Garantie gebe es aber nicht, überhaupt gehe es den Frauen auch um andere Dinge: «Kuscheln, Streicheln, Reden», sagt Renato, der Initiant der Callboy-Webseite.

Das Geschäft laufe sehr gut, sagt Renato. Auch in der Zentralschweiz: «Wir führen nicht direkt eine Datenbank über jede Kundin, aber von den Feedbacks der Boys weiss ich, dass wir im Raum Zentralschweiz gut 150 bis 200 Klientinnen haben», sagt Renato. Wenn auch die Frauen aus der Zentralschweiz noch etwas zurückhaltender sind, oder «konservativer» wie Renato sagt, komme dieser Service hier sehr gut an.

Die Therapeuten-Masche

«Luzern und Zug gehören nicht zu den stärksten Regionen. Das kann verschiedene Gründe haben. Luzern kommt auf Platz vier nach Zürich, Basel und Bern», sagt der stets um Eleganz und Korrektheit bemühte Renato. Man könne nicht sagen, dass die Zentralschweizerinnen typische Wünsche oder Bedürfnisse hätten. «Jede Frau ist anders», sagt Jeromé, der Mann aus Deutschland, der alleine in der Schweiz lebt und sich neben seinem Job in der IT-Branche als Callboy anbietet. «Die eine will etwas ausprobieren, wovon sie mal gehört hat, die andere eine gewisse Phantasie ausleben», sagt er.

In vielerlei Hinsicht sind die beiden Callboys aber sehr wohl pauschalisierend. Zum Beispiel wenn es um ihr Bild der Frau geht. Ihr Grundtenor lautet: Frauen, die sich einen Callboy organisieren, wollen nicht schnellen Sex, sie wollen mehr. Nämlich reden und sich wohl, umgarnt und schön fühlen. Sie suchen eine Art Beziehung, die nicht nur auf das Körperliche beschränkt ist. Entsprechend diesem Bild sehen Renato und Jeromé sich als «Dienstleister», die das triste Sexleben der Schweizer Frauen aufpeppen und wenn nötig auch mal Tipps für zuhause mitgeben. Denn, so Renato, eine Frau sucht nur einen Callboy, wenn sie in einer unglücklichen Lage ist. Sprach zentral+ also mit zwei Sex-Therapeuten?

Die beiden Callboys nehmen ihren Job sehr ernst und betonen, dass die Arbeit eine echte Herausforderung sei. Den Frauen sei es sehr wichtig, wie sie vor dem Treffen mit ihnen kommunizieren, sagt Renato. Er müsse bereits bei den SMS oder Telefongesprächen auf die Frau eingehen können. Wenn es zum Treffen kommt, muss der Callboy handeln: «Viele Frauen sind so nervös, dass sie mindestens eine halbe Stunde brauchen, um sich zu entspannen. Es passiert nie, dass eine Frau mich zuerst küssen würde. Sie erwartet, dass ich als Mann den ersten Schritt mache und sie erobere.»

Die Frau will den Callboy kennen

Marlies Michel, Geschäftsleiterin der Aids Hilfe Luzern sagt: «Aufgrund der weiblichen Sexualität wissen wir, dass sich das in den meisten Fällen anders abspielt als beispielsweise auf dem Strassenstrich.» Die Callboys hätten oft ihre Stammkundinnen, die nicht so sehr an Abwechslung als an einer gewissen Vertrautheit interessiert seien. Aber auch hier gelte: Keine Regel ohne Ausnahme. «Es wäre interessant zu erfahren, aus welchen Gründen eine Frau für sexuellen Kontakt bezahlt, wenn sie doch in unserer heutigen Gesellschaft auch relativ problemlos verschiedene Affären gratis haben könnte», sagt Michel.

Viele tun es dennoch. Callboy Renato ist überzeugt, dass die Frauen von einem Mann, den sie irgendwo kennenlernen, nicht kriegen was sie wollen. «Ein solcher Mann ist egoistisch und will seine Befriedigung.» Marlies Michel hat dazu noch eine andere Hypothese: «Man könnte ja auch davon ausgehen, dass die Frau vielleicht gar keine Beziehung will und deshalb für einen Callboy bezahlt.» Diese Theorie ginge mit dem Frauen-Bild der Callboys nicht auf.

Und die Liebe?

Jeromé und Renato sind sich bewusst, dass sich Frauen hin und wieder in sie verlieben. Und sie geniessen das. Man könnte sich fragen, ob es denn in Ordnung ist, dass Callboys von einer Frau Geld annehmen, von der sie wissen, dass sie sich verliebt hat. Die Callboys finden ja.

Jeromé ist Single, er hat sich aber noch nie in eine Klientin verliebt: «Die Richtige war noch nie dabei. Viele Frauen sind etwa zehn Jahre älter als ich und natürlich gehe ich mit anderen Gedanken an die Sache ran. Callboy ist Job. Ich würde eine Klientin nie in meiner Freizeit treffen.»

Bei beiden Callboys wird man im Gespräch den Eindruck nicht los, dass sie sich von der übrigen Prostitution abgrenzen wollen. Obwohl unter dem Strich kristallklar ist, dass Callboys männliche Prostituierte sind, wollen sie diesen Fakt nicht wahrhaben. Und: Die Gesellschaft bestätigt das. Eine Frau wird schneller als Prostituierte abgestempelt als ein Mann.

Können sich Renato und Jeromé glücklich schätzen? Haben sie den Traumjob eines jeden Mannes? Sie können sich die Frauen auswählen, dürfen «Nein» sagen, weil sie von ihrem Job nicht leben müssen, sie haben häufig Sex und werden dafür erst noch richtig gut bezahlt. So deutlich würden die beiden dem nicht zustimmen, sie sind aber ganz zufrieden mit ihrem Nebenverdienst.

Mann mit Mann ist eine unbekannte Szene

Es gibt auch andere männliche Sexarbeiter. Jene, die Sex mit Männern haben. Unter der Leitung von Marco Fitzal leistet die Aids Hilfe Luzern Präventionsarbeit für homosexuelle Männer im Projekt «MSM». Die Abkürzung steht für «Männer, die Sex mit Männern haben.» Die Prävention findet zwar hauptsächlich nicht im Bereich der Prostitution statt, dennoch kennen die Experten das Thema gut: «Es gibt relativ wenig männliche Prostituierte, die sexuellen Kontakt mit Männern haben», sagt Marlies Michel.

Immer mehr Transsexuelle

In Luzern und in anderen Städten der Schweiz gibt es immer mehr transsexuelle Prostituierte. Esther Imfeld von der Aids Hilfe Luzern: «Das sagen uns die Mediatorinnen aus den Projekten und Sexarbeiterinnen. Wir erkennen das ausserdem an gewissen Wohnungen von Sexarbeiterinnen. An einigen Türen hängt die Aufschrift ‹Trans›. Darin befinden sich dann ausschliesslich transsexuelle Prostituierte.» Tendenziell bieten sich diese Personen eher Männern an, in Luzern weiss man jedoch wenig über diese Szene. Imfeld weiss aber, dass gewisse Sexarbeiterinnen diese als Konkurrenz wahrnehmen. Sie verdienten gutes Geld und die Nachfrage werde immer grösser. Die Freier seien – unter anderen – Männer, die Sex mit Männern haben möchten, dazu aber nicht vollständig stehen können. «Diese haben dann zwar schwulen Sex, jedoch mit einer Person, die aussieht wie eine Frau», sagt Imfeld.

Homosexuelle Männer fänden über Internet-Portale wie «Gayromeo.com» oder die App «Grindr» Sexualpartner für schnellen und anonymen Sex, ohne dafür bezahlen zu müssen, so Michel. Und wenn ein Mann bezahlen will, findet er auf diesen Plattformen eine Escort-Rubrik. Auf der Strasse müsse somit praktisch kein homosexueller Mann mehr suchen.

Ästhetik muss sein

Welcher homosexuelle Mann bezahlt denn überhaupt einen Mann für Sex? «Das sind häufig ältere Männer, weil unter homosexuellen Männern der Ästhetik-Aspekt sehr wichtig ist», weiss Marco Fitzal. «Viele homosexuelle Männer wollen einen jungen und schönen Sexualpartner. Ist ein Mann älter und nicht so attraktiv, wird es schwierig, also muss er bezahlen.»

In Luzern gibt es denn auch einige wenige Stricher, bestätigt die Leiterin der Aids Hilfe. Beim «Inseli», bei öffentlichen Toiletten und bei der «Ufschötti» sei ein sogenannter «Cruising-Ort» gewesen, sagt Michel. Das heisst Orte, wo Männer aktiv nach einem Sexualpartner suchen. Jedoch auch ohne Bezahlung. Da die Szene sehr dynamisch sei, könne sie keine allgemein gültigen Aussagen machen. Diese Aussage bestätigt Urs Wigger, Mediensprecher der Kantonspolizei Luzern: «Vereinzelt sind beim ‹Inseli› Stricher anzutreffen, aber das ist wirklich sehr marginal. Oft handelt es sich dort gar nicht um Strichtätigkeit, sondern es ist einfach ein Treffpunkt für Homosexuelle.»

Das Gefühl «benutzt» zu werden

Die Probleme beispielsweise homosexueller Sexarbeiter aus dem Ostblock seien ähnlich denjenigen von Sexarbeiterinnen, meint Marlies Michel. Meistens gehe es um Arbeitsrecht, Niederlassungsbewilligung und psychische Probleme, besonders das Gefühl «benutzt» zu werden. Es handle sich ganz klar um Einzelfiguren, betont Michel. Solche Sexarbeiter stammten häufig aus dem Drogenmilieu.

Sie ist der Meinung, dass der Männerstrich eine «ziemlich traurige Angelegenheit» sein muss. Das würden wohl mehrheitlich Männer machen, die keine Existenz-Grundlage haben und eventuell auch stark drogenabhängig seien. Zudem müsse man davon ausgehen, dass bei dieser Szene Gewalt und das Verlangen nach ungeschütztem Sex vorkomme. Einmal abgesehen von den Callboys, ist Sexarbeit von Männern – sowohl Schweizern als auch Ausländern — in Luzern eine Randerscheinung. Das bestätigen die amtlichen Stellen. 

In Cabarets gibt es offiziell keine Männer, die beispielsweise als Tänzer angestellt sind: «Wir haben im Kanton Luzern zwei Cabaret-Betriebe, die Bewilligungen für Tänzerinnen erhalten. Diese Betriebe haben bisher keine Bewilligungen für Männer eingeholt», sagt Alexander Lieb, Leiter des Amts für Migration, auf Anfrage.

Für Personen aus dem EU/EFTA-Raum würden pro Jahr eine bis zwei Bewilligungen an selbständig erwerbende Männer ausgestellt. Mit dieser Bewilligung wäre es für die Männer grundsätzlich möglich, als Sexarbeiter tätig zu sein, sagt Lieb. Er ergänzt: «An Männer aus Drittstaaten sind für Sexarbeit in den letzten Jahren keine Bewilligungen ausgestellt worden.» Auch Fälle illegaler Sexarbeit von Männern sind weder Alexander Lieb noch Urs Wigger von der Kantonspolizei bekannt. 

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