Schikane? Die Staatsanwaltschaft und ihre Vorgaben

Fall Villiger: Wieso Journalisten 29 Seiten abtippen mussten

Schnell und genau tippen zu können, war nicht nur in dieser Szene von 1981 von Vorteil. (Symbolbild: Emanuel Ammon/AURA)

29 Seiten Text, doch Kopien und Fotos sind verboten: Die Einsichtnahme in die begründete Einstellungsverfügung im Fall Villiger unterlag restriktiven Bedingungen. Aber nicht nur das: Auch eine Diskussion unter den Journalisten wurde verboten. Wieso die Behörden so mit den Medien umgehen.

Wer im Fall Villiger gründlich arbeiten will, braucht einen langen Schnauf: Medienvertreter konnten diesen Montag bei der Luzerner Staatsanwaltschaft auf Gesuch hin die begründete Einstellungsverfügung einsehen. Es handelt sich dabei um den 29-seitigen Bericht der ausserkantonalen Staatsanwälte, der die Verantwortlichen der Luzerner Staatsanwaltschaft bezüglich der strafrechtlichen Vorwürfe der Begünstigung und des Amtsmissbrauchs entlastete (zentralplus berichtete).

Allerdings durften die Journalisten bei der Einsicht weder Fotos machen noch eine Kopie beziehen. Sprich: Entweder mussten sich die Journalisten darauf verlassen, dass sie alles richtig im Kopf behalten, die knapp 30 Seiten ins Aufnahmegerät diktieren oder abtippen, wobei Letzteres gut und gerne einen ganzen Tag Arbeit verursachte. Das Onlinemagazin «Republik» spricht in einem aktuellen Artikel von «reiner Schikane».

Verantwortliche anerkennen Schwierigkeiten

«Uns ist bewusst, dass es für die Journalisten nicht ideal war, dass sie stundenlang die Verfügung abtippen mussten», sagt der Luzerner Oberstaatsanwalt Daniel Burri. Aber man habe keinen Spielraum gehabt: «Die Anweisungen kamen vom ausserordentlichen Staatsanwalt und dem ausserordentlichen Oberstaatsanwalt.»

«Der Umfang der Einstellungsverfügung hat die Journalisten wohl tatsächlich vor ein Problem gestellt.»

Ulrich Weder, ausserkantonaler Staatsanwalt

Der ausserkantonale Staatsanwalt Ulrich Weder verweist auf die Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz (SSK). «Das ist gängige Praxis», sagt er. Damit wolle man verhindern, dass die sensiblen Dokumente «im Internet auftauchen». Allerdings räumt er ein: «Der Umfang der Einstellungsverfügung hat die Journalisten wohl tatsächlich vor ein Problem gestellt.»

Die SSK empfiehlt den Kantonen, dass die Einsichtnahme unter Aufsicht erfolgen sollte und grundsätzlich weder Kopien gemacht noch Verfügungen ausgehändigt werden. Ebenso solle jegliches Aufzeichnen der Entscheide, also auch das Fotografieren, verboten werden. Dabei bezieht sich die SSK auf ein Bundesgerichtsurteil von 1998, das festhält, dass «kein Anspruch auf Aushändigung einer Kopie» besteht.

Allerdings halten sich nicht alle Kantone gleichermassen an die SSK-Ratschläge. Ein Nidwaldner Staatsanwalt, der als externer Ermittler gegen einen Walliser Oberstaatsanwalt im Zusammenhang mit dem Weltfussballverband Fifa tätig war, hat seine anonymisierte Einstellungsverfügung kürzlich sogar unkompliziert per Mail an interessierte Medienschaffende verschickt. 

Wieso nicht den Gerichten folgen?

Das Bundesgericht hat den gesetzlich verankerten Grundsatz der Justizöffentlichkeit mehrfach bekräftigt. Damit soll eine geheime Kabinettsjustiz verhindert werden. Überdies beweisen andere Behörden, dass die Sorge um die Persönlichkeitsrechte nicht zwangsläufig mit mehr Arbeit für die Medien einhergehen muss. Die Luzerner Gerichte beispielsweise veröffentlichen einen Teil der Urteile – inklusive Freisprüche – in einem passwortgeschützten Bereich auf ihrer Webseite, auf den akkreditierte Journalisten Zugriff haben.

Dabei werden die Namen oder sensible Daten von Betroffenen nicht geschwärzt. Aus einfachem Grund: Es liegt in der Verantwortung der Medien, dafür zu sorgen, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu respektieren. Wer das nicht tut, kann seine Akkreditierung verlieren – und rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.

«Es ist nicht unsere Absicht, dass sich Journalisten schikaniert fühlen.»

Daniel Burri, Luzerner Oberstaatsanwalt

Ulrich Weder entgegnet aber, dass Verstösse gegen Persönlichkeitsrechte in der Realität schwer zu ahnden seien. Er verweist zudem darauf, dass es sich bei Einstellungsverfügungen um Entscheide handelt, die einem Freispruch gleichkämen, was bei den Modalitäten der Einsichtnahme zu berücksichtigen sei. Das Bundesgericht hat auch diesbezüglich festgehalten, dass jeweils angesichts der Interessen der Betroffenen zu prüfen sei, ob der Entscheid allenfalls stellenweise geschwärzt oder gekürzt werden muss.  Auch in Weders Einstellungsverfügung zum Fall Villiger sind mehrere ins Verfahren involvierte Personen anonymisiert worden.

«Wir bewegen uns hier in einem Spannungsfeld verschiedener Interessen», sagt Weder. Auch der Luzerner Oberstaatsanwalt Daniel Burri spricht von einer «Gratwanderung zwischen Persönlichkeitsschutz und dem öffentlichen Interesse». Er macht aber klar: «Es ist nicht unsere Absicht, dass sich Journalisten schikaniert fühlen.» Die Frage, ob die Regeln noch zeitgemäss sind, lässt Daniel Burri offen. «Sie sind zwar noch nicht alt, aber vielleicht können wir das Thema im SSK-Vorstand wieder einmal aufnehmen, weil wir auf dem Weg in das digitale Zeitalter sind.»

Austausch unerwünscht

Im Fall des Verfahrens gegen die Luzerner Staatsanwälte wurde den Medien nach Rücksprache erlaubt, die Einstellungsverfügung gemeinsam einzusehen. Die Mühe machten sich neben zentralplus Vertreter des «Tages-Anzeiger», des Online-Magazins «Republik», sowie der «Rundschau» von SRF. Dadurch konnte das Abtippen koordiniert – und der Aufwand deutlich reduziert werden. Allerdings war ein Austausch der Journalisten im Raum unerwünscht, wie die Aufsichtsperson anmerkte. Die Anordnung erweckte beinahe den Eindruck, als wären interessierte kritische Medien nicht willkommen. 

«Wir wollen, dass sich jeder kritisch seine eigene Meinung bilden kann.»

Simon Kopp, Mediensprecher Staatsanwaltschaft

Diesen Vorwurf weisen die Verantwortlichen deutlich zurück. «Primär geht es darum, dass jeder Journalist den Entscheid in Ruhe lesen kann. Wir wollen, dass sich jeder kritisch seine eigene Meinung bilden kann», begründet Mediensprecher Simon Kopp die bevormundende Schweigepflicht. Man wolle nicht, dass während der Einsichtnahme Diskussionen entstünden und sich Einzelne nicht mehr konzentrieren könnten. Auf eine rigorose Umsetzung des «Sprechverbots» im Raum verzichtete die Staatsanwaltschaft letztlich.

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