Aufstieg und Fall einer Baarer Crypto-Firma

Envion: Von 100 Millionen, Machtkämpfen und blinder Euphorie

So sieht der einzige Envion-Container aus: Vollgestopft mit Rechnern.

(Bild: Screenshot Youtube)

Die Geschichte des Baarer Unternehmens Envion ist kurz, intensiv und steht sinnbildlich für gewisse Crypto-Auswüchse. Das Resultat sind rund 50 Millionen Franken, die vernichtet wurden, betrogene Investoren und Verantwortliche, die dafür nicht geradestehen müssen.

Stellen Sie sich vor, Sie können für eine Geschäftsidee über 30’000 Menschen begeistern, die bereit sind, insgesamt fast 100 Millionen Franken in Ihr Start-up zu investieren. So geschehen 2017 bei der Firma Envion mit Sitz in Baar. zentralplus blickt auf die Geschehnisse zurück.

Die Idee war simpel. Als der Crypto-Hype mehr und mehr Fahrt aufnahm und der Bitcoin-Kurs in astronomische Höhen zu schiessen begann, hatte der Berliner Michael Luckow (35) gemeinsam mit einigen Kollegen den Einfall, die Bitcoin-Herstellung zu dezentralisieren – was eigentlich perfekt zum Blockchain-Ideal passte.

Eine geplatzte Seifenblase

Konkret wollten sie die Bitcoin-Produktion auf Schiffscontainer verlagern und diese dorthin verschiffen, wo der Strom gerade günstig und überschüssig ist, da für die Produktion sehr viel Energie benötigt wird. Bis heute existiert jedoch nur ein solcher Container als Prototyp. Vollgestopft mit Computern auf blauen Gestellen. Heute steht dieser in Berlin-Spandau.

Längst ist die Envion-Seifenblase geplatzt. Dies nach nur 13 Monaten. Die Firma ist in Konkurs gegangen. Wie konnte es so weit kommen bei einem einst grossen Hoffnungsträger des Zuger Crypto Valley?

Ehemaliger ARD-Korrespondent als VR-Präsident

Die Geschichte beginnt im Sommer 2017 in Berlin-Charlottenburg. Die Idee von Luckow und Co. klingt vielversprechend – doch sie brauchen einen Geschäftsführer. Sie werden fündig bei Matthias Woestmann, seines Zeichens ehemaliger ARD-Korrespondent, doch kein Blockchain-Spezialist.

Im Oktober 2017 erfolgt der Eintrag ins Zuger Handelsregister. Woestmann übernimmt die Rolle des Verwaltungsratspräsidenten. Zweiter Verwaltungsrat ist der gebürtige Glarner Cyrill Stäger, der auch heute noch in Zug wohnt und beruflich tätig ist. Seine Treuhandfirma avanciert zum Sitz von Envion. Nur Ideengeber Luckow wird im Eintrag mit keinem Wort erwähnt. Gegenüber der «NZZ» gibt er als Grund an, er wolle lieber im Hintergrund bleiben. Und dass er nicht im Verwaltungsrat sitzt, habe sich so ergeben.

Finma wird früh aufmerksam

Für die Envion-Aktien schliessen Luckow und Woestmann einen Darlehensvertrag ab. Luckow besitzt das Gros der Aktien, überträgt sie jedoch an Woestmann. Später sollen die Aktien zurück an Luckow gehen.

Envion befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf Investorensuche. Dies nicht unbehelligt. Denn die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma wird bereits im November 2017 auf das Unternehmen aufmerksam. Dies wegen «möglicherweise unerlaubten Tätigkeiten».

Derweil wird in Berlin eifrigst der Container fertiggestellt. Kaum fertig, wird er gegen Norden zu einem Flugfeld transportiert und mit einem Video in Szene gesetzt. Das Video ist bis heute 1,5 Millionen Mal aufgerufen worden. Das Unternehmen betreibt weiter Öffentlichkeitsarbeit, spricht unter anderem von einer jährlichen Rendite von 161 Prozent.

Die fehlende Revisionsfirma

Die Finma bleibt kritisch, will von Envion wissen, was die Pläne des Unternehmens sind. Die Antwort: Man wolle via Initial Coin Offering (ICO) Geld einnehmen und dafür eine Anleihensobligation ausgeben. Ein ICO funktioniert ähnlich wie ein Börsengang. Investoren erwerben sogenannte Tokens, also sozusagen digitale Coupons. Dadurch erhalten die Käufer bestimmte Rechte und Nutzen. In diesem Fall wird ein Anteil am Profit versprochen.

Der Haken an der Sache ist, dass eine solche Transaktion gar nicht erlaubt wäre, da Envion keine staatlich beaufsichtigte Revisionsfirma vorweisen kann. Luckow und Co. schlagen jegliche Warnungen von Anwälten in den Wind, Verzögerungen mag es nicht leiden. Im Dezember erfolgt der ICO.

Palastrevolution durch Woestmann

Nach zwei Monaten endet der ICO, fast 100 Millionen Franken wurden reingespült. Die Euphorie scheint grenzenlos. Kurz darauf zerstreiten sich Luckow und Woestmann jedoch. Während Luckow mit Partner in Asien weilt, übernimmt Woestmann die Firma. Möglich ist dies, da Luckow bekanntlich die Aktien an Woestmann übertragen hat.

Matthias Woestmann war Verwaltungsratspräsdient von Envion.

Matthias Woestmann war Verwaltungsratspräsdient von Envion.

(Bild: Screenshot Vimeo)

Woestmann lässt eine Kapitalerhöhung durchführen, die Zahl der Aktien steigt dadurch. Er holt ausserdem einen befreundeten Anwalt mit ins Boot. Anschliessend werden Luckow wie im Darlehensvertrag festgehalten die vereinbarte Zahl Aktien übertragen. Bloss besitzt Luckow nun nicht mehr 81 Prozent der Aktien, sondern nur noch deren 31. Luckow bezichtigt Woestmann des Diebstahls der Firma.

Was lief beim ICO ab?

Matthias Woestmann und der Anwalt sind nun die Chefs im Envion-Ring. Zufrieden sind sie trotzdem nicht, machen zeitweise gar Anstalten, die Firma zu verkaufen. Denn Woestmann äussert in einem Video den Verdacht, beim ICO sei nicht alles mit rechten Dingen zu- und hergegangen. So hätten einige Envion-Mitglieder rund 20 Millionen Token im Wert von 40 Millionen US-Dollar illegal erzeugt – dies ohne Wissen der Führungsriege um Woestmann. Dadurch wurde der Wert der Token der Anleger verwässert. Die zusätzlichen Token seien «in dunklen Kanälen» versickert. Luckow widerspricht diesen Schilderungen.

Der ehemalige ARD-Mann sagt in einer Stellungnahme, dies habe die Existenz von Envion bedroht. Denn unter anderem springt die gewonnene Revisionsfirma PricewaterhouseCoopers (PWC) sogleich wieder ab, als sie davon Wind bekommt. Die Schweizer Behörden greifen trotzdem nicht ein.

Damit ist Woestmann jedoch noch nicht auf dem Gipfel des Problembergs angelangt. Er hat keinen Zugriff auf die Millionen. Diese befinden sich auf einer digitalen Geldbörse («Wallet») unter Luckows Kontrolle.

Plötzlich ist das Domizil weg

Die ICO-Einnahmen wandern auf Geheiss Luckows zu einem grossen Teil schliesslich doch noch zu Envion und von dort auf ein Bankkonto. Die virtuellen Währungen werden in «echte» umgewandelt.

Im März 2018 verabschiedet sich Cyrill Stäger aus dem Verwaltungsrat. Somit hat die Firma keinen Verwaltungsrat mehr mit Wohnsitz in der Schweiz. Auch ein Domizil fehlt nun ohne Stägers Briefkasten.

Luckow will die Firma jedoch nicht sterben lassen, auch wenn nach seinen Aussagen Woestmann ab Januar 2018 die Gelder blockiert habe. Aus diesem Grund habe sich Luckow dazu gezwungen gefühlt, Token zu verkaufen – unter anderem, um Löhne und Miete zu bezahlen.

Der Weg führt nach Zug

Derweil sucht Woestmann Rat in der Schweiz, genauer Zug. Envion gehört zu den ersten Kunden der Blockchain-PR-Agentur Narwal (zentralplus berichtete). Woestmann spricht sogar am Blockchain-Gipfel in Zug im April 2018 (zentralplus berichtete).

Kurze Zeit später zeigt Woestmann Luckow an, weil dieser Geld aus dem ICO abgezwackt habe. Luckow und Woestmann liegen sich auch in den Haaren, was die Weitergabe von Daten an die zuständige Stelle anbelangt. Beim Streit ist gar von Einbrüchen und Morddrohungen die Rede (zentralplus berichtete).

Im Juli wird die Finma tätig, erlässt eine superprovisorische Verfügung gegen Envion. Die Aufsichtsbehörde übernimmt nun das Zepter, Woestmann wird entmachtet und ist nicht länger Verwaltungsratspräsident.

Die Hälfte ist weg

Das Unternehmen geht schliesslich in Konkurs. Das Zuger Kantonsgericht verkündet am 14. November die Auflösung von Envion (zentralplus berichtete). Nach nur gut einjähriger Firmengeschichte.

Die Liquidation ist nach wie vor im Gange. Luckow wehrte sich gegen eine Liquidation. Dies sei «das Werk und Ziel von Woestmann». Denn dieser könnte auf Kosten der Investoren davon profitieren.

Eine erste Bestandsaufnahme weist laut «NZZ» einen Kontobetrag von 43,4 Millionen Franken aus. Dazu hat Luckow noch 4,6 Millionen bei sich. Der Rest ist weg. Ein Grossteil davon wurde durch den Kursverfall der Kryptowährungen vernichtet.

Zumindest in einem Punkt sind sich Luckow und Woestmann einig: Was noch übrig ist, soll an die Anleger gehen. Zahlreiche Investoren klagen gemeinsamen gegen die Envion-Verantwortlichen.

Verfahren wurden eingestellt

In der Mitteilung, welche die Finma Ende März veröffentlicht, wird klar: Der Envion-ICO war illegal. Luckow, Woestmann und Stäger hätten zwar «ihren Beitrag zu dieser unerlaubten Tätigkeit geleistet», wie die «NZZ» aus der ausführlichen Verfügung zitiert. Trotzdem wurden die Verfahren gegen das Trio eingestellt (zentralplus berichtete).

Grund: Die drei Personen hätten sich «umfassend auf den Rat von Anwaltskanzleien verlassen». So müssen sie denn die Verantwortung nicht tragen. Es bleiben Fragen offen, für die die Finma nicht dafür zuständig ist. Etwa, was die illegal produzierten Token anbelangt.

Obwohl Envion nur eine grosse Seifenblase mit kurzer Lebensdauer war – Luckow und Woestmann glauben bis heute an die Idee. Mit einer Firma in Tschechien sei bereits alles vereinbart gewesen, was die Containerproduktion betrifft, so Luckow. Doch bis heute zeugt einzig der Prototypen-Container von der Existenz Envions.

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