Kritik an Situation am Luzerner Kriminalgericht

«Während im Saal Kinderschänder sitzen, spielen im Treppenhaus Kinder»

Peter Meuli (links) und Marius Wiegandt von den Luzerner Gerichten.

 

(Bild: jal)

Seit 2010 ist das Luzerner Kriminalgericht am Alpenquai beheimatet. Ursprünglich als Provisorium gedacht, dürfte es wohl noch länger bleiben – obwohl die Situation niemanden zufriedenstellt. Denn, wie der Gerichtspräsident sagt: «Während im Saal Kinderschänder sitzen, spielen im Treppenhaus Kinder.»

«Home sweet home», steht auf dem Teppich im Treppenhaus des Luzerner Kriminalgerichts. Nein, das ist nicht die offizielle Begrüssung für die Beschuldigten. Es handelt sich um die Fussmatte der Wohnung gleich gegenüber den Gerichtsräumen. Denn das Kriminalgericht ist seit achteinhalb Jahren in zwei Gebäuden am Alpenquai eingemietet, in denen sich auch Wohnungen befinden.

«Während im Saal Kinderschänder sitzen, spielen im Treppenhaus Kinder», sagt Peter Meuli, Präsident der erstinstanzlichen Gerichte. Die drastische Aussage soll zum Ausdruck bringen, wie unbefriedigend die Situation am Kriminalgericht ist. Vor allem hinsichtlich der Sicherheit. Von Einbrechern über Sexualstraftäter bis hin zu Mördern wurden im Haus zwischen Ufschötti und Rösslimatt schon verurteilt. «Wir haben hier inmitten von Industrie- und Wohnquartier regelmässig Gefangenentransporte», nennt Meuli ein Beispiel.

Aber auch der Zustand der Gerichtssäle ist nicht ideal. Die Decken sind tief, die Besucherreihen oft gut gefüllt, entsprechend stickig wird es bei einer Verhandlung. Zu Beginn habe es Beschwerden gegeben, weil Vereinzelte beinahe ohnmächtig geworden seien, erzählt Bernard Holdermann, Präsident des Kriminalgerichts. Inzwischen hat eine eingebaute Lüftung Abhilfe geschaffen. Aber noch immer ist es, gerade im Sommer, oft unerträglich warm im Gerichtssaal.

«Das Kantonsgericht gehört genauso wie die Regierung und das Parlament in die Kantonshauptstadt.»

Marius Wiegandt, Kantonsgerichtspräsident

Und auch der Platzbedarf steigt. Weil es eng geworden ist, haben die Gerichte kürzlich weitere Räume im Haus temporär hinzugemietet. «Das Provisorium hat sich zum Dauerzustand entwickelt», sagt Holdermann. «Es ist zu befürchten, dass dies noch länger so bleibt.»

Grundstück gesucht

Das Problem ist bekannt. Gelöst werden soll es durch eine Rochade. Das Kantonsgericht drängt seit Jahren auf einen Neubau, damit das Kriminalgericht in dessen Hauptgebäude am Hirschengraben 16 umziehen kann. Aktuell ist das Kantonsgericht mit den rund 100 Mitarbeitern auf drei Standorte in der Stadt Luzern verteilt.

Kriminalgericht Luzern. Urteil. Richter.

Das Kriminalgericht Luzern am Alpenquai.

(Bild: sah)

Der ursprüngliche Plan, das Kantonsgericht in einen Neubau beim Vögeligärtli einzuquartieren, scheiterte. Das Stimmvolk wehrte sich 2014 gegen den geplanten Abriss der Zentral- und Hochschulbibliothek. Seither wird ein neuer Standort gesucht. «Doch es ist schwierig», sagt Kantonsgerichtspräsident Marius Wiegandt.

Das liegt zum einen am fehlenden Geld, zum anderen am fehlenden Raum. Denn für Gerichtspräsident Marius Wiegandt ist klar: Ein Standort ausserhalb der Stadt kommt nicht in Frage. Das ist auch der Grund, wieso bisherige Vorschläge, etwa beim Mattenhof in Kriens oder beim Bahnhof Ebikon, nicht zum Fliegen kamen. «Das Kantonsgericht gehört genauso wie die Regierung und das Parlament in die Kantonshauptstadt», hält Wiegandt fest. Doch zentrale Grundstücke oder Gebäude seien rar. Konkrete Optionen könne er deshalb aktuell keine nennen.

 

Idee einer «Justizzeile»

Klar ist bereits jetzt, dass ein Umzug gemeinsam mit der kantonalen Verwaltung an den Seetalplatz nicht in Frage kommt. Trotzdem eröffnet der dortige Neubau auch für das Gericht möglicherweise neue Optionen. Denn in der Stadt werden dadurch attraktive Gebäude frei (zentralplus berichtete).

Der Regierungsrat hat in der Immobilienstrategie kürzlich auch eine neue Idee ins Spiel gebracht: das Gebäude der Fachmittelschule am Hirschengraben 10. Es wäre zentral und in unmittelbarer Nähe zum jetzigen Kantonsgericht. Die Rede ist von einer «Justizzeile», die dadurch entstehen könnte. Denn nebst dem Kriminalgericht, das dadurch an den Hirschengraben ziehen könnte, wäre auch ein Umzug des Arbeitsgerichts sowie der Schlichtungsbehörde Miete und Pacht denkbar. Zudem befindet sich die Luzerner Polizei ebenfalls gleich gegenüber. Und auch die Justiz- und Sicherheitsdirektion ist nicht weit entfernt.

«Home sweet home»: Die Wohnungstüren neben den Gerichtsräumen.

«Home sweet home»: Die Wohnungstüren neben den Gerichtsräumen.

(Bild: jal)

Doch spruchreif ist noch nichts. Denn zuerst müsste sich eine neue Lösung für die Fachmittelschule abzeichnen, zudem bedürfte es eines Umbaus, sagt Wiegandt. Ob dieses Szenario realistisch ist, wird sich zeigen. So oder so: Wiegand schätzt, dass bis zu einem Umzug der Gerichte noch mindestens zehn Jahre vergehen werden.

Bis dahin werden Strafprozesse weiterhin zwischen Industrie und Wohnungen geführt. Das Provisorium stört übrigens nicht alle, wie eine Anekdote nahelegt. Ein Anwohner des Kriminalgerichts am Alpenquai nutzt die unmittelbare Nähe der Justiz, um sich quasi Kriminalfälle statt Fernsehkrimis anzuschauen. Regelmässig, erzählt man sich, sei der Mann als Besucher bei Prozessen anzutreffen – manchmal sogar in seinen Hausschuhen. Wahrlich: «Home sweet home».

Mehr Straffälle, ein neues Archiv und eine effiziente Neuerung

Im Kanton Luzern hat es im letzten Jahr mehr Strafprozesse gegeben – sowohl bei den erstinstanzlichen Gerichten als auch am Kantonsgericht (siehe Grafik unten). Das geht aus dem Geschäftsbericht 2018 der Gerichte hervor, der am Mittwoch publiziert wurde. «In den letzten zehn Jahren habe sich die Strafprozesse beinahe verdoppelt», sagt Kantonsgerichtspräsident Marius Wiegandt.

Nun hätten die Luzerner Gerichte auf diese Entwicklung reagiert. Bei beiden Instanzen sind je zwei zusätzliche Gerichtsschreiber angestellt worden. «Der gezielte Ausbau erlaubt es der Luzerner Justiz, ihre Aufgabe trotz zunehmender Geschäftslast weiterhin zu erfüllen», sagt Wiegandt.

Immer öfter entscheiden Einzelrichter

Besonders zu tun gab den Gerichten das neue Unterhaltsrecht, das viele Verfahren erheblich verlängert. Aufgrund der Erfahrungen habe man in diesem Bereich inzwischen aber eine gewisse Routine entwickelt, sagte Peter Meuli, Präsident der erstinstanzlichen Gerichte.

Zu einer spürbaren Entlastung beigetragen hat zudem eine andere Neuerung: Seit April 2017 dürften mehr Verfahren von einem Einzelrichter statt von einem Dreiergremium beurteilt werden. Entschied 2016 nur in 41 Prozent der Fälle der erstinstanzlichen Gerichte ein einzelner Richter, waren es 2018 bereits 78 Prozent aller Fälle – das kommt beinahe einer Verdoppelung gleich.

Auch deshalb haben die Gerichte ihre Zielwerte 2018 erreicht: Über 80 Prozent der Zivil- und Strafprozesse wurden innert einem Jahr abgeschlossen. Insgesamt erledigten die vier Bezirksgerichte, das Zwangsmassnahmengericht, das Kriminalgericht und das Arbeitsgericht im Kanton Luzern 2018 knapp 9’200 Fälle. Im Unterschied zu den Strafprozessen war die Zahl der Eingänge der Verfahren insgesamt leicht rückläufig.

Akten neu in Büron eingelagert

Eine neue Lösung haben die Gerichte auch für die Aktenberge gefunden. Aus Platzmangel wird seit diesem Januar erstmals ein Teil der Akten in der Speicherbibliothek in Büron eingelagert. Marius Wiegandt versicherte aber, dass dies die Sicherheit nicht beeinträchtigt, im Gegenteil. In der modernen Anlage seien die Akten besser gegen Feuer und andere Ereignisse gesichert. «Sogar ein böswilliger Einbrecher wird kaum finden, was er sucht.»

Die Zahl der Strafprozesse ist 2018 gestiegen:

 

 
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