Zeichner Melk Thalmann am Fumetto

Ein Comic erzählt, wie der Jack the Ripper aus Luzern hingerichtet wurde

Melk Thalmann in seinem Atelier.

(Bild: jwy)

Gatti: So hiess ein Mörder, der im Luzern des 19. Jahrhunderts geköpft wurde. Ein Mensch wie ein Raubtier. Der Luzerner Zeichner Melk Thalmann hat die Geschichte in einen düsteren Comic verpackt, den er am Fumetto präsentiert. Was fasziniert ihn am Morbiden?

Was ist da auf dem Cover zu sehen? Eine fauchende Katze mit spitzen Zähnen und irrem Blick. Aber auch: Ein Mann überfällt von hinten, mit einem Strick zwischen den Händen, sein Opfer.

Das doppeldeutige Bild zeigt beides: Gatti, den Mörder. Gatti, die Katzen (auf Italienisch). Das bedrohliche Motiv zieht sich durch die 48 Seiten der graphischen Novelle von Melk Thalmann, die auf einem wahren Luzerner Verbrechen im Jahr 1892 beruht. Gatti, das menschgewordene Raubtier.

Der Zeichner nennt das Titelbild «Illusions-Illustration»: «Es ist eine Form, die im 19. Jahrhundert sehr in Mode war.»

«Ich bin der Mann fürs Grobe.»

Das Makabre und Gewalttätige liegt ihm, regelmässig illustriert Thalmann für Zeitungen und Magazine Geschichten über Mord und Totschlag. «Ich bin der Mann fürs Grobe», sagt er trocken und schmunzelt.

In «Gatti» kombiniert er seinen unvergleichlichen Zeichnungsstil und sein Faible für abgründige Geschichten. Der Band wird am Comicfestival Fumetto im Rahmen einer Ausstellung im Historischen Museum getauft (siehe Box).

Cover von Thalmanns Graphic Novel mit dem doppeldeutigen Bild.

Cover von Thalmanns Graphic Novel mit dem doppeldeutigen Bild.

(Bild: zvg)

Gerissen und dreist

Melk Thalmann, Luzerner Comic-Zeichner der ersten Stunde, arbeitet in einem erstaunlich kleinen Atelier mitten in der Kleinstadt. Ein Fenster eröffnet den Blick über die Altstadtdächer, hier zeichnet er. «Das Licht ist optimal hier, es ist hell, hat aber keine direkte Sonneneinstrahlung.»

Und der Ausblick passt zur Geschichte, die sich in den Gassen von Luzern des vergangenen Jahrhunderts abspielte.

Ferdinand Gatti wurde 1892 mit der Guillotine enthauptet. Damit war der junge Italiener der erste zum Tode Verurteilte, als Luzern 1883 die Todesstrafe wieder einführte. Die Guillotine steht heute im Historischen Museum.

Fumetto im Historischen Museum

Melk Thalmann: «Gatti – eine graphische Novelle nach einem wahren Verbrechen», Verlag Agromix-Comix.

Ausstellung im Rahmen des Comic-Festivals Fumetto: 6. April bis 7. Juli, Historisches Museum Luzern. Neben der originalen Guillotine gibt es Recherchematerial, Skizzen, Zeichnungen in Übergrösse zu sehen sowie einen Hörrundgang durch die Ausstellung. Gespräch mit Melk Thalmann und den Kuratoren: Mittwoch, 10. April, 18 Uhr.

Die ebenso drastische wie faszinierende Geschichte beginnt am 14. Januar 1891: Gatti wird in Luzern wegen eines Uhrendiebstahls verhaftet – kurz darauf entkommt er wieder. Später überfällt er beim Steghof eine Lehrerin, schlägt sie nieder, erdrosselt sie mit einem Strick und flieht in ihrem Mantel und Hut. Noch am gleichen Abend wird er erneut verhaftet.

Den Frauenmörder Gatti bezeichneten einige Zeitgenossen – einerseits beängstigt, andererseits fasziniert – als Jack the Ripper von Luzern. Er war gerissen und dreist und versuchte sich bis zum Schluss aus der erdrückenden Beweislage herauszureden.

Der Fall hatte es in sich: Die Ermittlungen bedienten sich Methoden der damaligen Wissenschaft mit Gutachten des Kantonschemikers und einer Expertise des Seilermeisters. Und es musste sogar die Leiche der Frau exhumiert werden, weil Gatti vor dem offenen Sarg seine Unschuld beschwören wollte …

Ferdinand Gatti (1891) einmal in normalen Kleidern, rechts mit Hut und Mantel des Opfers.

Ferdinand Gatti (1891) einmal in normalen Kleidern, rechts mit Hut und Mantel des Opfers.

(Bild: zvg/Staatsarchiv Luzern)

Würdevoller Hinrichtungsakt

Auf den Mordfall stiess Thalmann per Zufall, als er auf der Suche nach einer Story war. «Ich dachte zuerst an etwas Fiktionales, das ich in reale Begebenheiten einbetten wollte.» Er hat festgestellt, dass es vom Fall Gatti noch keine literarische Bearbeitung oder wissenschaftliche Texte gab, nur die Akten im Archiv. «Ich fand, dass ich diese Geschichte genauso erzählen muss, weil so viel Skurriles drinsteckt», sagt Thalmann.

Also fing er an, gründlich zu recherchieren: Er las Zeitungsartikel von damals über den Fall und studierte Protokolle aus Gerichtsurteilen. «Das ‹Vaterland› schrieb recht boulevardesk von einem ‹sensationellen Mord›», sagt er. Und die Enthauptung habe das Blatt als «würdevoll verlaufenen Hinrichtungsakt» bezeichnet.

«Schwieriger war es, an Bilder aus dieser Zeit zu kommen», sagt er. Er kam mit dem Historischen Museum in Kontakt, als dieses 2017 die Ausstellung «Tatort» realisierte (zentralplus berichtete). Dort kam der Fall Gatti auch vor. «Ich befürchtete schon, dass ich zu spät bin, zuvor hat niemand von diesem Fall gesprochen», sagt Thalmann.

Gescheiterter Serienkiller

Der Comic beruht auf Fakten und Tatsachen, aber Thalmann wählte für die Erzählung einen dramaturgischen Kniff. Er erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Wachtmeister Franz Jans, der seiner Frau in der schlaflosen Nacht vor der Hinrichtung die Sorgen von der Seele redet.

Die Situation ist fiktiv, Franz Jans aber hat existiert: Er wurde frühmorgens an den Tatort gerufen, sein Name taucht mehrfach im Gerichtsprotokoll auf.

Mit dieser Klammer erhält die Geschichte etwas sehr Intuitives, auch wenn sie in der Chronologie ziemlich hin und her hüpft. «Mir ist die Chronologie nicht so wichtig, sondern eher die Zusammenhänge», sagt Thalmann.

Was hat er nach eineinhalb Jahren für ein Bild von Ferdinand Gatti? «So einen Tätertyp gibt es nicht häufig, das hat schon etwas Pathologisches.» Dreist, raffiniert, ohne Reue, und kaum schuldfähig: «Er wäre der typische Serienkiller geworden, wenn er weitergemacht hätte», vermutet Thalmann. Und auch Donald Trump kommt ihm in den Sinn: «Er lügt, wenn er den Mund aufmacht.»

Die Szenen in «Gatti» spielen an bekannten Luzerner Schauplätzen.

Die Szenen in «Gatti» spielen an bekannten Luzerner Schauplätzen.

(Bild: zvg)

Verstehen tut man nichts

Mit der Graphic Novel tritt Melk Thalmann nicht nur textlich und zeichnerisch auf, sondern erstmals auch mit Stimme: Für einen Hörrundgang hat er – in der Rolle des Wachtmeisters – die Geschichte nacherzählt.

«Am Ende ist der Fall zwar gelöst, und doch: Verstehen tut man nichts», sagt der Wachtmeister – ein Schaudern. «Wenn man sich doch nur im Kopf des Täters umsehen könnte. Allerdings: Morgen wäre ich dann lieber nicht mehr dort drinnen.» Das hört der Besucher, während er vor der Guillotine im Museum steht.

Hinweis: zentralplus ist Medienpartner des Fumetto

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