Stadt Luzern prüft strengere Vorschriften

Baugenossenschaften: Kinder ausgezogen – müssen die Eltern gleich mit?

Wenn die Kinder ausziehen, sollen auch die Eltern eine kleinere Genossenschaftswohnung suchen.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Sollen Genossenschaften Mieter aus der Wohnung werfen dürfen, wenn die Kinder ausgeflogen sind? Ja, findet SP-Grossstadträtin Luzia Vetterli. Denn das Angebot für Familienwohnungen sei knapp. Das sieht auch der Stadtrat so. Selber Vorschriften erlassen will er aber keine. 

Familien auf Wohnungssuche haben in der Stadt Luzern keinen einfachen Stand. Zumindest, wenn das Portemonnaie eine Rolle spielt. «Das Angebot an zahlbaren Familienwohnungen ist in Luzern relativ knapp», bestätigt Stadträtin Manuela Jost (GLP).

Befeuert wird diese Problematik, wenn Eltern in den grossen Wohnungen bleiben, nachdem die Kinder ausgezogen sind. Genau das kommt regelmässig vor. So haben 6 Prozent der Stadtluzerner das Gefühl, in einer zu grossen Wohnung zu leben – was über 2’700 Haushalten entspricht, wie eine Studie kürzlich zeigte (zentralplus berichtete). 

Mieter im Extremfall kündigen

Und genau da will die Stadt Luzern nun – zusammen mit den Baugenossenschaften – den Hebel ansetzen. Denn die meisten haben zwar Kriterien beim Einzug, die Familien in der Regel begünstigen. Doch wenn die Kinder nach 20 Jahren ausfliegen, dürfen die Eltern oft in der grossen Wohnung bleiben. 

Nun steht aber eine Verschärfung der Belegungsvorschriften im Raum. Der Stadtrat will mit den Genossenschaften eine entsprechende Diskussion lancieren. Das könnte bedeuten, dass die Baugenossenschaften zukünftig über die ganze Mietdauer vorschreiben, wie viele Personen in einer Wohnung leben müssen. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Kinder ausziehen, soll es möglich sein, die Mieter zu einem Umzug zu bewegen oder ihnen im Extremfall sogar zu kündigen.

«Es ist nicht am Stadtrat, selber Vorschriften zu machen.»

Manuela Jost, Stadträtin

Das sei richtig, findet Luzia Vetterli. «Es gehört auch zur sozialen Verantwortung der Genossenschaften, dafür zu sorgen, dass ihre grossen Wohnungen von Familien genutzt werden», sagt die SP-Grossstadträtin. Sie hat diese Diskussion mit einem Postulat lanciert. Vetterli betont, dass die Genossenschaften ihre Mieter selbstverständlich nicht einfach auf die Strasse stellen, sondern ihnen kleinere Wohnungen anbieten sollten. In Zürich seien entsprechende Vorschriften bereits gang und gäbe.

Was Genossenschaften sagen 

Wie ABL und Co. eine Änderung umsetzen, will die Stadt ihnen überlassen. «Es ist nicht am Stadtrat, selber Vorschriften zu machen», sagt Baudirektorin Manuela Jost. «Wir wollen von den Genossenschaften aber aufgezeigt bekommen, wie sie mit dem Thema umgehen.»

Das ist ganz im Sinne der Genossenschaften. «Im Ziel sind wir uns einig. Wir sind aber dagegen, dass der Staat den einzelnen Genossenschaften vorschreibt, wie sie das umsetzen sollen», sagt Florian Flohr, Koordinator des Netzwerks G-Net, in dem die 23 gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften der Stadt versammelt sind. Es gebe bereits heute unterschiedliche Lösungen. Manche bieten Anreize für einen Umzug, andere geben Zuschüsse für Kinder, die bei deren Auszug wegfallen, einige machen für Familienwohnungen nur befristete Verträge, wiederum andere geben Mietern Vorrang, die in eine kleinere Wohnungen wollen.

35 Quadratmeter müssen reichen

Wohnraum soll effizient genutzt werden, findet der Stadtrat. Das heisst im Klartext: 35 Quadratmeter pro Person müssen reichen. Diese Richtgrösse strebt er zumindest an, wenn er eigene Areale im Baurecht abgibt.

Wie die Zahlen in Tat und Wahrheit aussehen, schreibt er in seiner Antwort auf das Postulat von Luzia Vetterli (SP). Tatsächlich beanspruchen die Mieter der 520 städtischen Wohnungen im Durchschnitt zirka 35 Quadratmeter. Nur wenig höher, bei 38 Quadratmetern, liegt der Verbrauch bei den gemeinnützigen Wohnträgern. 

Anders im privaten Wohnungsmarkt: Dort lebte der Stadtluzerner 2016 im Durchschnitt auf 53 Quadratmetern Wohnfläche. Bei den Stockwerkeigentümern lag dieser Wert sogar bei 56 Quadratmetern. 

«Wir wollen diese Vielfalt an Lösungen beibehalten», sagt Flohr. Nicht zuletzt auch aus praktischen Gründen. «Die Lebensformen wandeln sich und starre Regeln können den Realitäten widersprechen», sagt der Präsident der Ökumenischen Wohnbaugenossenschaft Luzern. Er nennt als Beispiel eine Patchworkfamilie, bei der die Kinder drei Tage die Woche beim Vater, vier Tage bei der Mutter leben. «Zählen sie nun auch zur Belegung oder nicht? Das muss man mit gesundem Menschenverstand lösen.»

Unterschiedliche Wege

Einen eigenen Weg gegangen ist zum Beispiel die EBG im Geissensteinquartier. «Wir bieten Grossfamilien bereits jetzt nur befristete Mietverträge», sagt Geschäftsführer Rolf Fischer. Nun ist man dran, auch das Vermietungsreglement entsprechend anzupassen. Ein Entwurf sieht vor, dass Familien innert drei Jahren nach dem 27. Geburtstag des jüngsten Kindes ausziehen müssen. In welcher Form die definitive Regelung daherkommen wird, will Fischer noch nicht vorwegnehmen, darüber entscheiden die Genossenschafter an der Versammlung im Mai. Klar ist aber bereits jetzt: «Wenn die Kinder ausziehen, sollen andere Familien die Möglichkeit haben, eine unserer grossen Wohnungen zu mieten», sagt Fischer.

«Wir bieten Grossfamilien bereits jetzt nur befristete Mietverträge.»

Rolf Fischer, Geschäftsführer EBG

Die Luzerner Genossenschaft Wogeno kennt bereits explizite Regelungen, um grosse Wohnungen für Familien freizuhalten. «Wir mussten bisher noch niemandem kündigen», sagt Claudia Budmiger, Sachbearbeiterin auf der Geschäftsstelle. Da die Vorschriften erst seit Sommer 2017 in Kraft sind, dürfte es naturgemäss noch einige Jahre dauern, bis die ersten Familien so weit sind, dass die Kinder ausziehen. «Aber es gab schon Fälle, wo sich die Eltern getrennt haben und wir deshalb prüften, ob eine Unterbelegung vorliegt», sagt Budmiger.

Falls das zutrifft, werde jeweils eine individuelle Lösung für eine kleinere Wohnung gesucht. Der Mietpartei müssten dabei mindestens zwei zumutbare Angebote gemacht werden. Wenn sich der Mieter innert der Frist – die zwischen zwei und vier Jahren beträgt – nicht bewegt, kann ihm gekündigt werden. Konkrete Erfahrungen mit diesem Prozedere lägen bisher noch nicht vor, so Claudia Budmiger abschliessend.

Emotionale Komponente

Dass viele ältere Paare die vier eigenen Wände nicht verlassen mögen, kann auch emotionale Gründe haben. Viele hängen an ihrem Zuhause, in dem sie einen grossen Teil ihres Lebens verbracht haben. Dass dies bei den Genossenschaften zum Problem werden könnte, glaubt Luzia Vetterli nicht. «Wenn man das von Anfang an klar kommuniziert, ist das kein Problem», sagt die SP-Grossstadträtin. Zudem könnte man Übergangsfristen vereinbaren.

«Das wird kaum jemanden davon abhalten, in eine Genossenschaftswohnung zu ziehen.»

Luzia Vetterli, SP-Grossstadträtin

Luzia Vetterli hat denn auch keine Sorge, dass sich eine Verschärfung negativ auf die Attraktivität von Genossenschaftswohnungen auswirkt. «Das wird kaum jemanden davon abhalten, in eine Wohnung zu ziehen – denn Genossenschaftswohnungen sind für Familien schlicht sehr attraktiv.» 

Die Stadt Luzern will übrigens mit gutem Beispiel vorangehen: Der Stadtrat prüft auch bei den 520 eigenen Wohnungen die Einführung einer entsprechenden Klausel in den Mietverträgen. Allerdings nur bei Wohnungen mit vier oder mehr Zimmern, die auch von der Lage her für Familien geeignet sind. Das betreffe zwischen 10 und 15 Prozent aller städtischen Wohnungen – also rund 50 bis 75 Einheiten. «Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein», räumt Manuela Jost ein. «Aber es ist wichtig, dass die Stadt eine Vorbildfunktion einnimmt und die privaten Vermieter damit für das Thema sensibilisiert.» 

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