Fast alle Protagonisten sind von Baselstrasse weg

Luzerner «Rue de Blamage» – was seither geschah

Angela und Amal Naser rund ein Jahr nach der Veröffentlichung von «Rue de Blamage» in Luzern.

(Bild: Savino Caruso)

Nach der Premiere des Films «Rue de Blamage» war die Luzerner Baselstrasse in aller Munde. Rund ein Jahr danach sind die Darsteller weggezogen, es ist wieder Ruhe eingekehrt. Doch die Geschichten der Domina, von Heinz und den weiteren Protagonisten geht andernorts weiter.

Dass die rund zwei Kilometer Asphalt der Baselstrasse in Luzern mehr zu bieten haben als Kriminalität, Drogen und Bordelle, wurde spätestens mit dem Film «Rue de Blamage» bewiesen. Mit dem Film gab der Luzerner Regisseur Aldo Gugolz Einblick in Geschichten derer, die im Alltag oft übersehen werden.

Um den Film selbst ist es seit seinem Durchstart in den Schweizer Kinos ruhig geworden. Obwohl besonders in Luzern der Film hohe Wellen schlug (zentralplus berichtete), scheinen die Wellen mehr oder weniger an den Kantonsgrenzen Luzerns gebrochen worden zu sein. Ein schweizweiter Erfolg blieb aus. «Für den Schweizer Filmpreis wurde der Film nicht nominiert. Dafür bin ich zu wenig bekannt in der Schweizer Filmszene», sagt Aldo Gugolz. Und dennoch wird der Film ab Januar nächsten Jahres in Berlin einen Kinostart haben. «Mal sehen, wie er dort ankommt», sagt Gugolz kritisch.

«Dieser Film hat die Stadt verändert.»

Feedback auf den Film «Rue de Blamage»

Doch dafür regnete es Feedbacks aus dem Luzerner Umfeld: «Viele persönliche Reaktionen haben mich sehr gefreut. Zum Beispiel meinte ein Beamter des Kantons Luzern, dass dieser Film die Stadt verändert habe», erzählt Gugolz, der im Moment an einem neuen Dokumentarfilm im Umkreis Tessin arbeitet. Besonders bei den Leuten aus dem Film habe sich vieles getan, meint Gugolz.

Sie alle haben sich ins Gedächtnis des Publikums eingeprägt: zum Beispiel der Strassenmusiker Daniele, der auf seinen Rollerblades durch die Strasse brettert, Connie, die in der Beach Bar ihre Kundschaft empfängt, Heinz, der pensionierte Strassenkehrer, oder Amal, die ihre Tochter in ihrer Heimat Syrien vermisst – es waren Geschichten und Charaktere, die berühren. Doch was ist aus ihnen geworden?

Die Psychologin und Domina Connie Baumgartner mit ihrem Putz-Sklaven an der Baselstrasse Luzern im Film «Rue de Blamage».

Die Psychologin und Domina Connie Baumgartner mit ihrem Putz-Sklaven an der Baselstrasse Luzern im Film «Rue de Blamage».

(Bild: Filmstill/Hugofilm)

Die Beach Bar ist weg, der Putz-Sklave wieder da

Da wäre zum Beispiel Connie Baumgartner, die elf Jahre lang die Kontaktbar «Beach Bar» geführt hat. Diese hat sie jedoch noch vor der Veröffentlichung des Filmes, nämlich im April 2016, verkauft. «Ganz ehrlich gesagt, habe ich die Baselstrasse seit dem Verkauf nie mehr betreten und bin nie mehr durchgelaufen», meint sie.

Baumgartner wurde damals vor allem im Zusammenhang mit ihrer Beziehung mit einem devoten «Putz-Sklaven» portraitiert. Der bei den Filmaufnahmen stets maskierte Mann verschwand damals von einem Tag auf den nächsten, was Baumgartner, wie im Film zu sehen ist, verkraften musste.

«Etwa sechs Monate nach den Dreharbeiten hat sich der Mann wieder gemeldet.»

Connie Baumgartner, Mieterin der Beach Bar an der Baselstrasse

Seither habe sie jedoch wieder regen Kontakt zu dem Mann. «Etwa sechs Monate nach den Dreharbeiten hat er sich wieder gemeldet. Danach habe ich wieder nichts mehr gehört. So geht das bis zum heutigen Tag», so Baumgartner und führt aus: «Durch seine Krankheit meldet er sich, wenn es ihm besser geht, und wenn es ihm schlecht geht, höre ich nichts.»

Obwohl ihr Umfeld oftmals nichts von ihrem Tätigkeitsbereich wusste, stellte sie sich mit dem Film in die Öffentlichkeit. Abgesehen von einigen positiven Reaktionen auf der Strasse habe Baumgartner jedoch keine Reaktionen aus ihrem Bekanntenkreis erhalten: «Mein Umfeld hat sich nichts anmerken lassen, weder positiv noch negativ.» Trotzdem hat sie nach den Dreharbeiten die «Beach Bar» abgegeben und verkauft nun, unter anderem wegen attraktiverer Arbeitszeiten, Internetwerbung.

Ein Beinahe-Happyend für Amal Naser

Auch Amal Naser ist mittlerweile nicht mehr an der Baselstrasse. Mit viel Herzlichkeit und einem Lächeln im Gesicht erzählt sie von ihrem Engagement in verschiedenen Integrationsprojekten und berichtet aus ihrer Heimat Damaskus. Nachdem sie nach ihrer Flucht aus Syrien und dem Asylzentrum in Emmenbrücke an der Baselstrasse ein neues Zuhause gefunden hat, wohnt sie nun seit nicht ganz drei Jahren in der Nähe der Hofkirche.

«Ich wollte lieber nicht mehr an der Baselstrasse wohnen, weil da immer so viel los ist. in meiner jetzigen Wohnung habe ich mehr Ruhe», so Naser. «Nachdem der Film im Kino ausgestrahlt wurde, haben mich viele Leute angesprochen und nach meiner Tochter gefragt», so Naser, die sich über das Interesse der Leute freute. 

Amal Naser mit ihrem Mann

Amal Naser mit ihrem Mann

(Bild: Filmstill/Hugofilm)

Noch im Film «Rue de Blamage» war zu sehen, wie Naser vergeblich dafür kämpft, dass auch ihre Tochter in die Schweiz einreisen kann. Da diese jedoch bereits volljährig war, konnte sie ihren Eltern nicht ohne Weiteres nachreisen. Mittlerweile konnte die Tochter Angela, wenn auch nur für begrenzte Zeit, in die Schweiz einreisen.

«Mit der Hilfe von Amnesty International konnte nach vier Jahren endlich ein Visum für Angela beantragt werden, mit dem sie für ein paar Monate hier nach Luzern kommen kann», so Naser, die vor zwei Monaten, nach jahrelanger Trennung, ihre Tochter Angela in der Schweiz begrüsste. Schon im Februar gehe Angela zurück nach Damaskus, um ihr Tanzstudium fortzuführen, sagt Naser.

Auch die 51-Jährige selbst studiert im Moment durch ein Onlinestudium in Business Economics an einer holländischen Universität, da ihr syrisches Masterdiplom an Schweizer Universitäten nicht anerkannt wird. Mit diesem würde sie gerne unterrichten, vorerst in der Schweiz, später wieder in Syrien. Bereits jetzt ist sie in mehreren Projekten, die sich für Flüchtlinge einsetzen, aktiv und ist deshalb oft in verschiedenen Städten der Schweiz unterwegs. Zusätzlich kämpft sie für Demokratie und freie Meinungsäusserung in Syrien.

Auch die Stadtoriginale sind nicht mehr an der Baselstrasse

Auch der pensionierte Strassenkehrer Heinz Gilli und das Stadtoriginal Joe Birrer wohnen beide nicht mehr an der Baselstrasse beziehungsweise in Gillis Fall in den kleinen Reihenhäuschen zwischen Kreuzstutzkreisel und Reuss. Gilli, der noch immer in Übergrösse als Figur auf dem Kreuzstutzkreisel steht, durchlebte damals eine schwere Operation, die ihm schwer zusetzte.

«Heinz ist im Pflegeheim durch den Film ein bisschen der Star geworden.»

Aldo Gugolz, Regisseur

Mittlerweile wohnt er deshalb im Altersheim. «Heinz hat im Pflegeheim durch den Film einen besonderen Status erreicht. Er ist dort ein bisschen der Star geworden und hat ein Plakat des Films aufgehängt», so der Regisseur Aldo Gugolz.

Und auch Joe Birrer, der mit seinem Plastikstuhl den Tag durch an der Baselstrasse sass und das Geschehen beobachtete, ist schon seit Längerem ausgeflogen. Das Geschehen an der Baselstrasse sei ihm zu laut geworden, Birrer wohnt jetzt in Willisau. Dies berichtet Christoph Fischer, der Macher der Heinz-Statue, der Birrer an der Luzerner Herbstmesse gesehen hatte.

Christoph Fischer im stillen Dialog mit der Skulptur von Strassenwischer Heinz Gilli.

Christoph Fischer im stillen Dialog mit der Skulptur von Strassenwischer Heinz Gilli.

(Bild: Filmstill/Hugofilm)

Fischer, der noch immer sein Atelier direkt am Kreisel hat und mit seiner Arbeit an der Heinz-Figur durch den Film «Rue de Blamage» leitete, fährt ab und zu mit dem Fahrrad durchs Quartier und bemerkt einen gewissen Wandel an der Baselstrasse.

Trotz Veränderungen im Quartier: Stadtoriginale hat es noch immer

«Seit der Fussgängerstreifen auf der einen Seite des Kreisels entfernt worden ist, laufen viele einfach über die Strasse», so Fischer und führt weiter aus: «Da entstehen teilweise ziemlich gefährliche Situationen. Zum Beispiel habe ich jemanden gesehen, der mit dem Rollstuhl in Gegenrichtung in den Kreisel fuhr.»

Auch wenn einige markante Persönlichkeiten aus der Baselstrasse verschwunden seien, so Fischer, gebe es noch immer Leute, die schon seit 15 Jahren hier sind. «Zum Beispiel gibt es einen Mann, der mit Krücken an den Kreuzstutzkreisel kommt und sich dort auf die Bank setzt», so Fischer, der aus seinem Atelier einen optimalen Blick auf den Kreisel geniesst. «Seit zwei, drei Jahren gibt es auch einen älteren Herrn, der zu jeder Jahreszeit mit einer Tüte ankommt, sich auf eine Bank setzt, Bier auspackt, reinleert und seinen Stumpen raucht», erzählt er.

Obwohl einige bekannte Gesichter seit den Dreharbeiten von «Rue de Blamage» verschwunden sind, scheinen auch neue Stadtoriginale den Weg an die Baselstrasse zu finden, um so die Strasse mitzuprägen – unter ihnen: die Heinz-Skulptur auf dem Kreisel, ein Stadtoriginal, das hoffentlich noch lange bestehen bleibt.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon