Nico Semsrott im Kleintheater

Ein Demotivationsworkshop am Samichlaustag

Nico Semsrott in seiner Bühnen-Uniform: dem schwarzen Kapuzenpullover.

(Bild: sbr)

Was gibt es Besseres in der Vorweihnachtszeit, als sich einen Abend lang dem Pessimismus hinzugeben? Wohl so einiges. Und doch war das Kleintheater voll, als der deutsche Kabarettist und Slam-Poet Nico Semsrott mit seinem Programm «Freude ist nur ein Mangel an Informationen» über die Krisen der Menschheit sprach.

Nico Semsrott betrat unter Applaus die dunkle Bühne, winkte erstmal verhalten und liess ein leises «Hallo» hören, bevor er sagte: «Demokratien weltweit befinden sich in einer Krise.»

Wer den deutschen Satiriker noch nicht kannte, schluckte da erstmal leer. Semsrott führte das Wort Krise ein wenig weiter aus und begrüsste das Publikum dann zu seinem Demotivationsworkshop. Er bezeichnet sich selbst als Demotivationstrainer und das, was er auf der Bühne macht, als Standup-Tragedy.

In diesem Sinne erklärte er, dass er sich selbst jedes Mal bestrafe, wenn ihm während seines Programms ein Lacher rausrutsche. Und zwar damit, dass er für jedes Lachen eine Zehnernote für einen guten Zweck spende. Das habe bisher aber nicht funktioniert, da er sich ja mit einem guten Gewissen bestrafe. Und so spende er nun an die junge SVP.

Wie er da stand, in schwarzem Kapuzenpulli und mit hängenden Schultern, den Blick oft zu Boden gerichtet, konnte man sich kaum vorstellen, dass Semsrott lachen würde. Und so freute sich das Publikum bei jedem seiner doch recht häufigen Lacher diebisch.

Von Politik bis Doppelmoral

Krisen waren der rote Faden in Semsrotts Programm. Die kleinen und die grossen, die persönlichen und die gesellschaftlichen. Während der ersten Hälfte des Abends erzählte Semsrott zunächst von seinem Leben, all den kleinen Tragödien, die es ausmachen, und ging dann zu den grossen Themen wie Fundamentalismus und Philosophie über.

Semsrott nutzte für seine Vorstellung nichts weiter als eine simpel gehaltene PowerPoint-Präsentation und bewegte sich höchstens mal von der Bühnenmitte zur Seite. Dabei erklärte er auf einfache Art und Weise komplexe Zusammenhänge, entlarfte Rassismus und Doppelmoral und das Publikum lachte.

 

Vor allem Deutschland und die AfD bekamen ihr Fett weg, aber auch die Schweiz wurde nicht verschont: die Minarett- und die Burkainitiative, Abstimmungen gegen Europa, die Politik der SVP, die er als besser integrierte Version der AfD bezeichnete – all das, was viele Schweizer schon wieder vergessen haben, hielt Nico Semsrott uns vor. Auch über seine Kandidatur als Bundestagsmitglied für die Partei sprach er und erklärte, dass er, sollte er 2019 ins Europaparlament gewählt werden, gerne die Demokratie in Europa einführen würde.

Das Leben als Widerspruch in sich

Nach dieser doch etwas schweren ersten Hälfte nahm Semsrott nach der Pause das Thema Hochzeiten auf und zeigte, dass der Wahnsinn der Menschen im kleinen Rahmen beginnt. Er schoss gegen Hochzeitsfeiern, die Staatsempfängen mehr gleichen als einer Party mit Freunden, gegen Amerikaner, die viel eher von absurden Dingen wie Rasenmähern und herabfallenden Fernsehern getötet werden als von Terroristen, und gegen seine eigene Kompromisslosigkeit, wenn es um Zwischenmenschliches geht.

Auch Weihnachten im Kreise der Familie sprach er an und nutzte es als Überleitung zum Thema Drogenpolitik. Er sprach weiter darüber, dass in Europa die Alten und Reichen regieren, und die Aussichten für Junge düster sind. Gab zu, wie widersprüchlich es ist, dass er von seiner Kapitalismuskritik lebt und dass das Leben an sich eigentlich ein einziger Widerspruch ist.

All das verpackte Semsrott in so viel Sarkasmus, Pessimismus und Unverschämtheit, dass die grossen Krisen der Menschheit lustig scheinen. Am Ende des Abends wurde er dann überraschend ernsthaft, als er die Erfolgsgesellschaft, in der wir leben, entlarfte und das Publikum dazu aufforderte, mehr über das Scheitern zu reden. Am besten gleich jetzt mit dem Sitznachbarn.

Semsrott präsentiert seinen Kalender des Scheiterns.

Semsrott präsentiert seinen Kalender des Scheiterns.

(Bild: sbr)

Jedem wird ein Spiegel vorgehalten

Was Semsrott vortrug, war hochpolitisch, sozialkritisch und so wahr, dass man sich manchmal fast schon schlecht fühlte, wenn man darüber lachte. Man hatte den Eindruck, er hätte die Welt durchschaut, und fragte sich des Öfteren: Ja, warum machen wir das eigentlich so?

Und das ist das wunderbare an Nico Semsrotts Programm: Am Ende des Abends bleibt weitaus mehr als das gute Gefühl, zwei Stunden lachend verbracht zu haben. Ein jedem wird ein Spiegel vorgehalten, und man kommt nicht umhin, sich selbst und die Gesellschaft, in der wir leben, zu hinterfragen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Publikum des Abends Nico Semsrott bestimmt wählen würde, liesse er sich für einen politischen Posten in der Schweiz aufstellen.

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