Luzerner Bücher-Brocki trotzt Buchhandelsterben

Hinter diesem Mann warten 500’000 Bücher darauf, entdeckt zu werden

Muss zu Hause bleiben, weil seine Bücher-Brocky nicht online verkauft: Beat Roos. (Bild: hae)

Während immer mehr Buchläden zugehen, erfreut sich die Bücher-Brocky in Littau grossen Zulaufs. Kein Wunder, bei den günstigen Preisen. Und wer möchte nicht eine Trouvaille machen wie ein signiertes Gottfried-Benn-Buch für 4 Franken, das dann für das Tausendfache weiterverkauft werden kann?

Allenorten gehen die Buchläden zu (zentralplus berichtete), die Menschen lesen immer öfter auf ihren Handys oder grauen E-Readern. Doch da gibt es diesen grossen Laden an der Ruopigenstrasse im Littauer Quartier Luzerns, der diesen Entwicklungen seit Jahren erfolgreich trotzt: Leseratten und Bibliophile können im vor 22 Jahren eröffneten Bücher-Brocky leicht vom Lesetrip in einen Kaufrausch geraten.

29 verschiedene Genres: bis unter die Decke stapeln sich die Bücher.

29 verschiedene Genres: bis unter die Decke stapeln sich die Bücher.

(Bild: hae)

Wenn man heutzutage ein bestimmtes Buch sucht, wird man online zwar schneller fündig. In der Bücher-Brocky lässt man seine Augen auf rund 600 Quadratmetern vorerst einmal über gut 100’000 Rücken wandern. Man staunt ob der Büchermenge, greift sich hier was, bleibt dort hängen, liest ein paar Seiten.

Brocky-Bücher erzählen mehr

Und schon sind Stunden vorbei. Denn Brocky-Bücher erzählen mehr, sie haben Kaffeeringe, Tintenflecke, Eselsohren oder gar persönlichen Widmungen. Hier finden sich zwischen den Seiten manchmal Fotos, Postkarten oder gar kleine Briefchen – die wären allein schon eine Geschichte wert.

«Welch schönes Gefühl, zu blättern und nach dem Zufallsprinzip zu schmökern.»

Beat Roos, Geschäftsführer

«Nach einem Trend mit E-Readern lieben die Menschen wieder das gute alte Buch in den Händen», sagt Geschäftsführer Beat Roos (46), der von Littau aus mehrere Bücher-Brockys in der Schweiz mit 15 Mitarbeitenden leitet. Doch hier, in Regalen, die vor dicken Schmökern oft durchhängen, ist noch viel mehr zu finden. Sofern man bereit ist, Zeit mitzubringen und ausführlich zu stöbern. «Welch schönes Gefühl, zu blättern und nach dem Zufallsprinzip zu schmökern.»

Alle Bücher sind schon da: Krimis, Kunstbücher, Ratgeber oder preisgekrönte Romane von Lukas Bärfuss, Alice Munroe oder Robert Menasse. Taschenbücher gibt es hier für zwei Franken, Festeinbände kosten vier Franken, und auch Raritäten sind im Bücher-Brocky noch um einiges billiger als im Antiquariat. Zu haben sind auch Zeitschriften, Kinderbücher, Bildbände oder Lexika. In einer Ecke mit LPs und CDs findet man zudem auch musikalische Schnäppchen zu Flohmarktpreisen.

Auch Kinder können hier verweilen: Ecke mit Büchern für Junge.

Auch Kinder können hier verweilen: Ecke mit Büchern für Junge.

(Bild: hae)

Wer da aber an ein immer etwas muffig riechendes Brockenhaus mit Bücherbeigen in Bananenkisten denkt, irrt – das Bücher-Brocky überrascht mit hellen Räumen, an denen die Wände zwar bis oben hin mit Regalen vollgestellt sind. Die Ware wird genauestens geprüft, nach 29 Genres geordnet und gegebenenfalls aussortiert. «Alles was ‹ältelig› riecht, Risse hat oder angestrichen und beschriftet wurde, kommt schon im Vorhinein weg», erklärt Roos, «Staubfänger bleiben nicht lange bei uns.»

Unangemeldet kam ein Lastwagen mit 400 Bananenkisten

Roos ist auf Spenden in Buchform angewiesen, um die Preise seit Jahren günstig zu halten. Anfangs musste rund die Hälfte des Materials entsorgt werden, das waren dann gegen 500 Tonnen Papier jährlich. «Heute gibt bei uns noch rund 20 Prozent Ausschuss, vor allem viele dieser Einklebebücher von Mondo, Silva und Konsorten», erklärt Roos. Und manchmal werden sie förmlich überrannt, meist bei Zügelterminen. «Einmal brachte ein Lastwagen 400 Bananenkisten mit Büchern vorbei. Unangemeldet.»

Die Crew von Beat Roos kam ins Schwitzen und war mit Einordnen überfordert. Das sind dann schwarze Tage in einem ansonsten sehr inspirierenden Tagesablauf. Wer möchte nicht in einem Meer von Büchern arbeiten? «Wer das bei uns tut, braucht nie mehr Fitness zu machen – so viel Ware muss er täglich umbeigen», sagt Roos lachend.

Die Idee hinter der Bücher-Brocky war eine simple: Warum Bücher gleich wegwerfen, wenn man sie ein zweites Mal lesen kann? Der Luzerner Jungunternehmer Clemens Ribler glaubte daran und übernahm nach einem Jahr das 1996 eröffnete erste Bücher-Brocky in Luzern.

Der Bücker-Brocky-Gründer Clemens Ribler in einer Aufnahme aus dem Jahre 2003.

Der Bücker-Brocky-Gründer Clemens Ribler in einer Aufnahme aus dem Jahre 2003.

(Bild: Aura / Emanuel Ammon)

Beat Roos, der während seines Sinologie-Studiums zwei Jahre lang als Teilzeitler in Luzern arbeitete, ist mittlerweile seit acht Jahren Riblers Geschäftsführer und Chef über fünf Läden. Nebst dem Haupt- und Gründersitz Luzern gibt es einen Laden in einem alten Weinkeller in Aarau, weitere in einer ehemaligen Videothek in Basel, in einer Ex-Wäscherei in Bern und in einem Keller in Zürich.

Das erfolgreiche Konzept hat sich bereits über die Landesgrenzen hinaus verbreitet: In Deutschland gibt es einen ähnlichen Laden, «und oft fahren Deutsche auf dem Weg in die Ferien gen Süden bei uns auf einen Kaufstopp vorbei.»

«Wir sind auch Anlaufstelle für viele Sammler: Da gibt es beispielsweise Leute, die Kochbücher sammeln, aber dann doch nie kochen.»

Denn immer mal wieder gibt es schmucke Trouvaillen zu  machen: Einen Gedichtband von Gottfried Benn als signierte Erstausgabe konnte ein Sammler für 3500 Franken weiterverkaufen. «Wir sind auch Anlaufstelle für viele Sammler: Da gibt es beispielsweise Leute, die Kochbücher sammeln, aber dann doch nie kochen», weiss Roos.

Selbst Sammlerstücke, die sich stilgerecht in den dunklen Holzregalen im separaten Antiquariat reihen, werden hier zu günstigen Preisen verkauft. Und dazu gibt es Kafi aus dem Automaten und klassische Musik im Hintergrund.

 «Wow, dass es das gibt!»

Ein bald 90-jähriger Kunde

Und immer wieder sind Menschen überrascht, die erstmals im Bücher-Brocky auftauchen: Ein bald 90-jähriger Deutscher, der den Zweiten Weltkrieg miterlebt hatte und damals vor lauter Armut nichts lesen konnte, holt heute nach. Als er den Laden entdeckte, sagte er: «Wow, dass es das gibt!»

Geburtstagsgeschenk: 40 Bücher für 150 Franken 

Roos hat noch ein paar andere Anekdoten zu erzählen: Etwa jene eines Geburtstagskindes, das so viele Bücher kaufen durfte, wie es tragen konnte. Der Grosseinkauf von mehr als 40 Stück kostete knappe 150 Franken – dafür gibt es gerade mal vier neue gebundene Bücher.

Einst nah am Luzerner Bahnhof an der Kellerstrasse gegründet, lädt die Bücher-Brocky seit dem Abbruch des Gebäudes hinter den SBB-Gleisen seit acht Jahren in Littau zum Lustlesen ein. Im alten Gemeindehaus türmen sich aber nicht nur alte Schinken. Auch Bestseller gibt es hier, die Roos leicht teurer verkauft: Die Italien-Saga von Elena Ferrante, für Frauen vorwiegend die Bücher von Coelho, die Venedig-Krimis von Donna Leon oder Thriller des Starautors Ken Follet. Auch die Bücher der Schweizer Pedro Lenz, Martin Suter und Alex Capus sind sehr begehrt.

«Welch komische Vorstellung: ein Leben ohne Bücher.»

Roos, der jeden Tag in einer anderen Filiale nach dem Rechten schaut und die raren Werke mit Preisen versieht, hat auch eine leichte Déformation professionelle: «Bei Einladungen fällt es mir eigenartig auf, wenn ich in einer Wohnung mal keinen Lesestoff sehe.» Dann schüttelt Roos den Kopf. «Welche komische Vorstellung: ein Leben ohne Bücher.»

Herr über 500'000 Bücher: Beat Roos, Geschäftsführer der Bücker-Brockys.

Herr über 500’000 Bücher: Beat Roos, Geschäftsführer der Bücker-Brockys.

(Bild: hae)

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