Fragwürdiges Verkehrsreglement in der Stadt Zug

Tempo 30 aufgehoben – weil Autos zu schnell gefahren sind

Ausgelöscht: Tempo 30 gilt hier in Zug plötzlich nicht mehr, obwohl es flott bergab geht – und am Ende eine unübersichtliche Kurve und ein Zebrastreifen folgen.

(Bild: woz)

In der Stadt Zug wurden im Loreto-Quartier jüngst zwei Tempo-30-Zonen verkürzt. Die Begründung lässt aufhorchen.

Die schwarze 30 auf dem Asphalt wirkt düster. Die Zahl erinnert an ein böses Omen. Denn das ausgefräste und wieder zugeteerte Verkehrszeichen auf dem Boden signalisiert quasi ex negativo, dass hier am Ende des Loreto-Wohnquartiers in der Stadt Zug einmal Tempo 30 gegolten hat.

So sieht das neue Tempo 30-Reglement im Loreto-Quartier aus.

So sieht das neue Tempo-30-Reglement im Loreto-Quartier aus.

(Bild: Grafik woz/Google Map)

Seit den Herbstferien können Autofahrer nämlich nun die abschüssige Strasse Richtung Kantonsschule mit 50 Sachen runterbrausen – obwohl unten am Ende des Hangs beim Rüschenhof nach rund 150 Metern eine unübersichtliche Kurve rechts ums Eck biegt. Und wo zur Steigerung des Unfallrisikos auch noch ein Zebrastreifen die Strasse mitten in der Kurve quert. Früher galt die 30er-Zone den ganzen Hang runter bis zur Kreuzung mit dem Lüssiweg.

Auch auf der Loretostrasse wurde 30er-Zone verkürzt

Das gleiche Szenario bietet sich Autofahrern, wenn sie von der Ägeristrasse in die steile Loretostrasse abbiegen, um die Abkürzung nach Baar zu nehmen. Hunderte von Autofahrern nutzen diesen äusserst beliebten Schleichweg zwischen Zug und Baar – und dies nicht nur morgens und abends im Berufsverkehr (zentralplus berichtete).

Auch in der Loretostrasse, über die täglich Hunderte von Autofahrern von Zug nach Baar «schleichen», wurde die Tempo-30-Zone verkürzt.

Auch in der Loretostrasse, über die täglich Hunderte von Autofahrern von Zug nach Baar «schleichen», wurde die Tempo-30-Zone verkürzt.

(Bild: woz)

Hier können neuerdings Autofahrer quasi zuerst 150 Meter mit Tempo 50 den Hang hinuntersausen, bis sie von einer minimen Schwelle sanft darauf aufmerksam gemacht werden, dass nun auf der Höhe des Loreto-Schulhauses die neue, verkürzte Tempo-30-Zone beginnt.

Früher reichte die Zone für den Langsamverkehr bis an die Ägeristrasse hoch – was durchaus sinnvoll war. Schliesslich handelt es sich bei diesem Strassenabschnitt um einen Schulweg. Auch die Kindertagesstätte Wölkli ist hier direkt am neuen «50er-Strich» beheimatet.

Was soll das Ganze und was bringt es für die Sicherheit?

Die Frage, die sich angesichts dieser Änderung stellt, ist nicht nur, was zum einen der Sicherheitsgewinn sein soll, indem man eine Tempo-30-Zone verkürzt – um davor oder danach einen 150 Meter langen Tempo-50-Abschnitt zu gewähren, dessen Ende mit einer neuen Schwelle markiert ist.

Wobei es sich, wie gesagt, bei den beiden neu installierten Strassenschwellen eher um «Schwellchen» denn um wirksame «Sleeping Policemen» handelt – weil man über die beiden Minierhebungen locker mit Tempo 50 drüberpreschen kann. Beim Selbstversuch auf dem Velo bei Tempo 40 hob es den Radfahrer nur sachte aus dem Sattel. Sie sind übrigens aus Rücksicht auf die Feuerwehr so flach geraten.

Fast so flach wie ein Blatt: Dieser «Sleeping Policeman» hat keine Muskeln und schreckt deshalb auch keinen Autofahrer in Sachen Temporeduzierung wirklich ab.

Fast so flach wie ein Blatt: Dieser «Sleeping Policeman» hat keine Muskeln und schreckt deshalb auch keinen Autofahrer in Sachen Temporeduzierung wirklich ab.

(Bild: woz)

Dabei haben es die Stadtzuger Verkehrsplaner sowohl in der benachbarten Tempo-30-Zone in der Löberenstrasse als auch im Lüssiweg direkt vor der Kantonsschule Zug fertiggebracht, deutlich effizientere, sprich für die Autofahrer «schmerzhafte» Schwellen, zu installieren.

Die Autofahrer haben sich einfach nicht an Tempo 30 gehalten

Die Gründe für die Verkürzung der beiden Tempo-30-Zonen, wie sie Stadtrat Urs Raschle darlegt, wirken indes höchst kurios. Wie der Departmentsvorsteher für Soziales, Umwelt und Sicherheit erklärt, wurden die beiden 30er-Zonen in der Loretostrasse und in der Alten Baarerstrasse gerade deshalb verkürzt, weil die Autofahrer sich dort nicht an die Geschwindigkeitsbeschränkung hielten.

Aber dann hätte die Polizei doch einfach Radarkontrollen machen können – andernorts in Zug fällt sie auch nicht direkt durch Zurückhaltung diesbezüglich auf. «Damit eine Tempo-30-Zone definitiv eingeführt ist und die Zuger Polizei auch wirklich Kontrollen machen kann, muss die Zone von der Gemeinde zuerst nachkontrolliert werden», sagt Raschle. Und hier lag der Hase im Loreto-Quartier im Pfeffer.

«Man hat sogar versucht, eine abweichende Höchstgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern einzuführen.»

Urs Raschle, CVP-Stadtrat Zug

Während sich nämlich die Autofahrer auf der bereits 2006 in der Löberenstrasse eingeführten Tempo-30-Zone mit den hohen, stark umstrittenen Rampen an die gesetzliche Vorgabe halten, sprich: Dass 85 Prozent der gemessenen Fahrzeuge dort nicht schneller als 38 Stundenkilometer sein dürfen, sei die Sache in der oberen Loretostrasse und in der Alten Baarerstrasse völlig aus dem Ruder gelaufen.

«Trotz Nachmarkierungen von zusätzlichen Tempo-30-Symbolen, trotz Velostreifen und Rechtsvortrittsmarkierungen konnte dieser Wert auf der Alten Baarerstrasse nicht unter 40 Stundenkilometer und im oberen Teil der Loretostrasse nicht unter 44 Stundenkilometer gedrückt werden», berichtet der CVP-Politiker.

Seit vier Jahren beschäftigt sich Stadtrat Urs Raschle schon mit dem nicht funktionierenden Tempo 30 im Loreto-Quartier. Nun wurde die Zone verkürzt.

Seit vier Jahren beschäftigt sich Stadtrat Urs Raschle schon mit dem nicht funktionierenden Tempo 30 im Loreto-Quartier. Nun wurde die Zone verkürzt.

(Bild: mam)

Weitere bauliche Massnahmen zur Tempodrosselung seien nicht infrage gekommen. Deshalb habe die Stadt Zug sogar noch versucht, dort «eine abweichende Höchstgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern einzuführen, bevor man die Zone verkleinert hat», so Raschle. Also quasi Tempo 40 in der 30er-Zone.

Doch auch das erwies sich als nicht praktikabel. Raschle: «Damit das seit vier Jahren dauernde Verfahren endlich abgeschlossen werden konnte, blieb als Ultima Ratio nur noch die Verkleinerung der Tempo-30-Zone auf den eigentlich besiedelten Teil des Gebiets.»

Beschwerde des VCS wurde abgewiesen

Die Zuger Sicherheitsdirektion hat ihren Segen dazu gegeben. Der Verkehrsclub Schweiz hat zwar Beschwerde gegen diesen Entscheid eingelegt – diese wurde jedoch vom Verwaltungsgericht vollumfänglich abgewiesen. Die beiden Tempo-30-Zonen wurden somit jüngst verkürzt, ohne jedoch wirklich einen Gewinn an Sicherheit zu bescheren. Raschle räumt selbst ein: «Es geht hier rein um den Abschluss des Verfahrens. Die leichte Verkleinerung ist ein Kompromiss, der nun hoffentlich zum Erfolg führt.»

«Gemäss der Unfallanalyse in den Gutachten ist der Fussgängerstreifen beim Rüschenhof völlig unauffällig.»

Urs Raschle

Und was ist mit der gestiegenen Unfallgefahr durch neu Tempo 50 an den beschriebenen Stellen – vor allem am Fussgängerstreifen beim Rüschenhof?

«Gemäss der Unfallanalyse in den Gutachten ist der Fussgängerstreifen beim Rüschenhof völlig unauffällig. Es gab dort in den letzten fünf Jahren keinen Unfall, obwohl er ja auch nicht mit 30 Stundenkilometern passiert wurde», erklärt Raschle. Auch in der Loretostrasse sei es in den letzten fünf Jahren zu keinen polizeilich registrierten Unfällen mit schwächeren Verkehrsteilnehmern gekommen.

Was nicht ist, kann ja noch werden. Zumal die Autos nun ganz offiziell schneller an den beiden Stellen fahren dürfen – so sie denn können.

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