Zuger Parteien von Wahlsystem überfordert

Wer ist die Nummer 1? Zuger Linke streiten um Zahlen

Wer ist nun die Nummer eins im Kanton? Barbara Gysel (SP) und Jo Lang (ALG) sind sich nicht einig.

(Bild: Bildmontage bic)

Nach den Wahlen ist in Zug noch lange keine Ruhe eingekehrt. ALG und SP balgen sich nächtelang um die linke Vorherrschaft und versuchen sich bei einem Rücktritt von Beat Villiger in Position zu bringen. Doch auch bürgerliche Politiker räumen kleinmütig ein, dass sie sich voreilig als stärkste Partei ausgerufen haben.

Auch Tage nach dem Verlust des linken Regierungssitz ist im Kanton Zug noch keine Ruhe eingekehrt. Nur dreht sich die Frage aber nicht darum, wie man diesen möglichst bald zurückerobern könnte. Vielmehr steckt man noch in der ersten Phase des Trauerprozesses, Wut und Schuldzuweisung.

Besonders auf den Zahn fühlen sich, wie so oft in den letzten Jahren, die beiden Linksparteien SP und Alternative Grüne (ALG). Die Frage, wer im Kanton mehr Wähler für sich reklamieren kann, führt in den sozialen Medien zu Zoff.

Ex-Nationalrat reklamiert Fehlinformation

Auslöser waren von zentralplus veröffentlichte Zahlen in einer Analyse zum Scheitern der Linken bei den Regierungsratswahlen. Dabei handelt es sich um die Prozentzahlen, welche die Parteien bei der Wahl des Kantonsparlaments erreicht haben (zentralplus berichtete). Sie sollten die Wähleranteile der beiden Linksparteien illustrieren. Die Aussage der Zahlen: Die SP hat einen grösseren Wähleranteil als die Alternativen Grünen (ALG). 

Dies animierte den grünen Ex-Nationalrat Jo Lang dazu, sich auf Twitter zu beschweren. «Gestern stiftete zentralplus Verwirrung mit falschen Zahlen. Heute verbreitet es, dass 11,9 Prozent mehr sei als 13,4 Prozent oder neu mehr als elf. Ist Rechnen noch schwieriger als Recherchieren?», so Lang sichtlich enerviert. 

Komplexes Zählverfahren führt zu Verwirrung

Der konkrete Vorwurf: Anstatt die einfachen Prozentzahlen der Wähleranteile zu verwenden, hätten in der Analyse die Ergebnisse gemäss der Berechnungsmethode des so genannten «doppelten Pukelsheim» herangezogen werden müssen. Dieser wurde bei den kantonalen Wahlen 2014 das erste Mal angewandt und soll seither eine gerechtere Sitzverteilung im Kantonsparlament ermöglichen.

Der «doppelte Pukelsheim» in 26 Minuten kurz erklärt (Video):

Interessant an der Sache: Füttert man den Computer nur mit den Prozentzahlen, haben die Alternativen ganze 1,5 Prozent mehr Wähler als die SP. Damit kommen sie im Parlament auf zwei Sitze mehr als ihre linken Kollegen. Wer die Nummer Eins im links-grünen Lager ist, scheint also klar.

Gysel: Zahlen sind korrekt

Diese Schlussfolgerung lässt SP-Präsidentin Barbara Gysel hingegen nicht gelten. Die Berechnung sei zwar richtig, aber nicht für den Regierungsrat, sondern für den Kantonsrat. Die Zahlen seien im Kontext der Regierungsratswahl in der Analyse von zentralplus daher sehr wohl korrekt verwendet worden.

«Bei der Regierungsratswahl spielt der doppelte Pukelsheim keine Rolle, weil die Regierung im Majorzverfahren gewählt wird und der ganze Kanton einen einzigen Wahlkreis bildet», so Gysel. Einzig die Anzahl der ungewichteten Stimmen bei der Kantonsratswahl könnten also für den Vergleich mit dem Regierungsrat herangezogen werden. Für Aussagen zum Kantonsrat wären sie umgekehrt nicht zulässig, sagt die SP-Politikerin. 

«Wer auf was anderem beharrt, kann sich nur blamieren.»

Jo Lang, Alt-Nationalrat

Wenn man folglich auf die einfachen Prozentzahlen (ohne Berücksichtigung der Gemeindegrösse wie es bei Pukelsheim zentral ist) schaue, würde sich zeigen, dass die SP deutlich mehr Stimmen (rund 2’000) machte als die ALG. Für den Stimmenvergleich könne man zudem auf die absoluten Zahlen aus der Exekutivwahl zurückgreifen, wo sie mehr Stimmen machte als Andreas Hürlimann von der ALG, erklärt Gysel.

Und sie schiebt nach: «Weil auch die Nationalratswahlen ohne Pukelsheim durchgeführt werden, lassen sich die Zahlen weiter mit diesen Urnengängen vergleichen.» Diese Gegenüberstellung ist für die SP insofern interessant, da sie bei den nationalen Wahlen vor drei Jahren 2,6 Prozent mehr Stimmen erreichte als die ALG.

Vermischt Jo Lang Äpfel mit Kiwis?

Gysel wirft Lang folglich vor «Äpfel mit Kiwis» zu vermischen. «Es ist falsch, mit den Zahlen der Parlamentswahl, die nach dem Pukelsheim-System erfolgen, die Wählerstärke im Regierungsrat analysieren zu wollen», sagt sie in Richtung des Ex-Nationalrates.

Zum Vergleich der Resultate der Kandidaten und ihrer Parteien im Regierungsrats-Wahlsystem dürfe lediglich auf die einfachen ungewichteten Prozentzahlen abgestellt werden. Will heissen: betrachtet man den Kanton Zug als einen einzigen Wahlkreis, wäre also die SP die linke Nummer 1.

Der Knatsch der Linken geht weiter

Von einem Disput möchte Joe Lang allerdings nichts wissen. Auf eine Diskussion lässt er sich gar nicht erst ein. «Es geht hier um mathematisch-wissenschaftliche Fakten.» Folglich seien die Resultate keine Ansichtssache, sagt Lang mit Nachdruck. «Behauptet jemand etwas anderes, befindet er sich ganz einfach im Irrtum.» Und weiter: «Wer auf was anderem beharrt, kann sich nur blamieren.»

Denn die Zahlen ohne den Pukelsheim sagten nichts über die tatsächliche Parteienstärke aus. Dies weil die Wahlkreise im Kanton Zug nicht gleich gross sind und sie deshalb eine unterschiedliche Anzahl Sitze im Parlament haben. Ein Stadtzuger hat daher 19, ein Steinhauser aber nur 6 Stimmen zur Verfügung. «Das mathematische Verfahren hebt diese Ungleichbehandlung auf und gibt jeder Stimme das genau gleiche Gewicht», sagt Lang.

«Die gewichteten Wählerzahlen bilden die Parteistärken genau ab.»

Ursula Uttinger, Generalsekretärin Direktion des Innern

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das komplexe Berechnungsverfahren die Arena für den Knatsch der Zuger Linksparteien noch weiter öffnet. Beide Seiten sind versucht, jene Berechnungsmethode heran zu ziehen, die für sie das günstigere Ergebnis liefert. Der Pukelsheim für die ALG, die einfachen Prozentzahlen für die SP.

Die Frage könnte schon sehr bald brisant werden. Sollte der angeschlagene Beat Villiger tatsächlich seinen Rücktritt einreichen, könnte die Linke der CVP ihren neu gewonnenen dritten Sitz gleich wieder abjagen.

Immerhin sagen auch bürgerliche Parteien, dass der Linken ein Regierungssitz zustünde. Der Erfolg in einer allfälligen Ersatzwahl wird sich aber nur dann einstellen, wenn ALG und SP mit einem gemeinsamen Kandidaten antreten. Ist dessen Ausmarchung also die wahre Triebfeder für den mit überraschender Intensität geführten Streit um das bessere Abschneiden?

Fragen wir eine neutrale Stelle, den Kanton. Welche Partei ist nun in Zug tatsächlich am stärksten? «Die gewichteten Wählerzahlen nach Pukelsheim geben die Parteistärken genau wieder», sagt Ursula Uttinger, Generalsekretärin der Direktion des Innern. Das bedeutet, dass die ALG die SP tatsächlich hinter sich lässt, was die Anzahl Wähler betrifft. Laut der Berechnung haben exakt 4’143 Personen die ALG und 3’683 die SP gewählt. 

Rauchende Köpfe bei der FDP

Doch die linken Streithähne sind nicht die einzigen, die am Zuger Wahlsystem an ihre Grenzen stossen. «Das eher komplexe Verfahren und die daraus resultierenden Zahlen führte im ersten Moment auch bei uns zu einigen Fragezeichen», räumt der frisch in Regierung berufenen FDP-Präsident Andreas Hostettler auf Anfrage ein. «Als wir auf die Prozentzahlen und die Sitzverteilung schauten, sind wir ziemlich erschrocken.»

«Alle vier Jahre fallen alle auf die Parteistimmen herein.»

Anastas Odermatt, Kantonsrat (Grüne)

Es habe auf den ersten Blick den Anschein gemacht, dass da etwas nicht korrekt abgelaufen sein könnte. «Die CVP erreichte vier Sitze mehr als die FDP, obwohl sie nur einen um 0,5 Prozent höheren Wähleranteil aufweist», erklärt Hostettler.

Aufgrund der im ersten Moment vermuteten Ungereimtheit habe man umgehend mit der Staatskanzlei Kontakt aufgenommen, um die Situation zu klären. «Hier wurde uns die Korrektheit des Ergebnisses bestätigt, welches aufgrund des doppelten Pukelsheims resultierte», sagt Hostettler. «Mathematisch und juristisch gibt es an den Wahlen also nichts auszusetzen», fasst er zusammen.

«Alle fallen auf die Zahlen rein»

Und auch bei der SVP liess man sich von den einfachen Prozentzahlen anfangs beirren. «Die SVP Zug ist mit 21,968 Prozent und 73’066 Stimmen knapp die stärkste Partei», schrieb, Kantonsrat Philip C. Brunner auf Facebook. Tatsächlich hat die CVP als stärkste Partei im Kantonsrat aber ganze drei Sitze mehr ergattert.

«Die Anzahl Parteistimmen sagt nichts über den Wähleranteil aus. Hierzu gibt’s die entsprechenden ‹Wählerzahlen›», so die Replik von Kantonsrat Anastas Odermatt (Grüne). «Alle vier Jahre fallen alle auf die Parteistimmen herein», moniert Odermatt.

«Es stellt sich die Frage, ob das angewandte System eine demokratisch faire Wahl ermöglicht.»

Andreas Hostettler, FDP-Präsident und gewählter Regierungsrat

Dass er sich bei seiner Aussage auf die «falschen» Zahlen stützte, gesteht Brunner auf Nachfrage ein: «Ich habe mich von den Zahlen ohne Pukelsheim in der Grafik bei zentralplus leiten lassen.» Er habe jedoch bereits zuvor von der Sitzverteilung gehört und deshalb gewusst, dass die CVP am besten abschnitt. «Die Unterschiede zwischen den beiden Ergebnissen mit und ohne Pukelsheim musste ich mir dann aber schon etwas genauer ansehen», so Brunner. Dass sie korrekt sind, bestreitet aber auch er nicht.

Ist das demokratisch?

Dennoch müssten nach dem jüngsten Urnengang einige dringende Fragen geklärt werden, sagt Andreas Hostettler von der FDP: «Es stellt sich die Frage, ob das angewandte System eine demokratisch faire Wahl ermöglicht.» Es müsse demnach diskutiert werden, ob man das Wahlsystem wieder anpassen müsste. «Als FDP können wir uns vorstellen, dass wir auf politischem Weg entsprechend tätig werden», blickt er voraus.

Einen Vorschlag, welcher das umständliche Verfahren überflüssig machen würde, hat auch Barbara Gysel parat: «Eine Möglichkeit wäre, im Kanton Zug mehrere Gemeinden zu grösseren Wahlkreisen zusammen zu ziehen. Dadurch würden die Unterschiede zwischen den grossen und kleinen Gemeinden automatisch aufgehoben.» Konkret schweben ihr dabei drei bis vier ähnlich grosse Wahlkreise vor.

Eines haben die jüngsten Wahlen gezeigt: In der Zuger Politik wird es auch in den nächsten Monaten und Jahren ganz sicher nicht langweilig.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Christian Hug
    Christian Hug, 14.10.2018, 08:04 Uhr

    Nachtrag zur Staatskanzlei: Die von Hanspeter Uster erwähnte Aussage zur Staatskanzlei fand In einem der zahlreichen Tweets zu diesem Thema statt, zentralplus twitterte: «Gysel und Staatskanzlei haben eine Sicht, ALG eine andere». Wir klären noch ab, auf welche Zahlen sich diese Aussage bezog. Denn die Verwirrung zur korrekten Zahlenbasis gab es seit dem Wahltag (siehe oben) und wurde nicht erst hier durch Claudio Birnstil ins Spiel gebracht. Vielmehr hat er dies im Artikel thematisiert. Die Aussage der Staatskanzlei definiert ja abschliessend: Laut ihrer Berechnung haben 4’143 Personen die ALG und 3’683 die SP gewählt.

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  • Profilfoto von Hanspeter Uster
    Hanspeter Uster, 13.10.2018, 12:50 Uhr

    Da gibt es eine ausführliche Diskussion um die Kantonsratswahlen und um den doppelten Pukelsheim, die ausgelöst wurde durch falsche Zahlen auf Zentralplus. Statt dass Zentralplus ihre Berichterstattung berichtigt und sich für die falsche Behauptung, die Staatskanzlei würde diese stützen, entschuldigt, bringt Claudio Birnstiel die Ebene Regierungsratswahlen ins Spiel; die Regierung wird im Majorz gewählt und hat nichts mit dem Kantonsratsproporz zu tun. Nicht wie unterstellt Josef Lang, sondern C. Birnstiel selber vermischt die Resultate der Exekutiv-Wahlen mit denen der Legislativ-Wahlen. Lang hat sich gar nie über die Regierungsratswahlen geäussert. Es war sein Verdienst, auf die falschen Zahlen und die falsche Behauptung aufmerksam gemacht zu haben. Dabei wurde er unterstützt von den beiden besten Kennern der Schweizer Wahlsysteme, Claudio Kuster und Daniel Bochsler, sowie dem zuständigen NZZ-Redaktor Erich Aschwanden.
    Fakten sind: Regierungsratswahlen drücken die Zahl persönlicher Stimmen aus, Kantonsratswahlen drücken die Parteistärken aus. Der wichtigste Satz im unnötig Verwirrung stiftenden Text von C. Birnstiel stammt von der Staatskanzlei: „Die gewichteten Wählerzahlen bilden die Parteistärken genau ab.“ Hanspeter Uster, Baar

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    • Profilfoto von Christian Hug
      Christian Hug, 13.10.2018, 21:58 Uhr

      Es ist korrekt, dass im Artikel http://www.zentralplus.ch/f/+duf9u für einige Stunden eine Grafik eingebunden war, die die Parteienstärke nicht korrekt abbildete, da die Prozentzahlen der Wähleranteile verwendet wurden. Dies bedauern wir. Der Fehler wurde behoben, nachdem wir von Josef Lang darauf aufmerksam gemacht wurden.

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    • Profilfoto von Mark Mathis
      Mark Mathis, 14.10.2018, 20:38 Uhr

      Nun, eigentlich kommt Anastas Odermatt das Verdienst zu, auf die Verzerrung der Parteistärke durch die Verwendung der Parteistimmen hingewiesen zu haben und dies auch nachvollziehbar begründet zu haben – nicht Josef Lang.
      Es sei gestattet an dieser Stelle den eigentlichen Sinn der umstrittenen Grafik zu erwähnen. Die erschien in einem Artikel zu den Regierungsratswahlen, der versuchte zu ergründen, warum die Linke, respektive die ALG, aus der Zuger Regierung geflogen ist. Sie sollte einfach zeigen dass SP und ALG zusammen einen Wähleranteil haben, der mindestens einen Sitz in der Regierung rechtfertigt.

      Interessanterweise hat es die FDP mit einem Anteil von 25 Prozent bei den Legislativwahlen geschafft in der Stadt Zug zwei von fünf Sitze zu besetzen, also zwei Fünftel der Stadtregierung zu stellen – 40 Prozent. SP und ALG haben bei den Regierungsratswahlen mit 25 Prozent Legislativanteil in der Exekutive null Prozent geschafft.

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