Neunte Literaturtage auf dem Kulm

Schwere Kost und junge Prosa auf der Rigi

Simone Lappert trägt ihre Gedichte erfrischend und leichtfüssig vor.

(Bild: Daniela Herzog)

Mit der nachhaltigen Tourismus-Charta Rigi 2030 hat sich der Rummel um die Rigi-Ausbaupläne etwas gelegt. Wie die Königin der Berge auch mit leisen Tönen auftrumpfen kann und dabei gleichzeitig an eine historische Tradition anknüpft, zeigen die zum neunten Mal stattfindenden Rigi-Literaturtage beispielhaft auf.

Das sanfte Trommeln des Regens auf dem Schirm begleitet uns auf dem Weg zur Rigibahn-Talstation in Weggis. Es ist nass, grau und kalt und die Erinnerung an die vergangene Sommerhitze scheint uns nicht mehr aufwärmen zu wollen.

«Schwingfest» steht mit grossen Buchstaben auf den orangen Wegweisern geschrieben. Wir gehen in die andere Richtung. Mit der Bahn geht es hinauf und hinein ins herbstliche Grau dieses ersten Septembertages. Das Wetter könnte nicht lyrischer sein. Mit «Lyrik in der Bergkirche» wird dann auch der zweite Tag der Rigi-Literaturtage 2018 unter dem Motto «Gegenüberglück» eröffnet.

Die gesellschaftskritische Reise beginnt

Der Journalist und Texter Pirmin Bossart beginnt die Lesung und nimmt uns gleich mit auf eine gesellschaftskritische Reise in die überzüchtete, kodifizierte und abgründig leere Nachwelt. Ausgehend vom zutiefst christlich geprägten frühen Hinterland, wo noch allabendlich der Rosenkranz gebetet wurde und die Gletscher noch talwärts flossen, geht es via Kefalonia in den buddhistischen Osten nach Tangar und Varanasi.

Pirmin Bossard geht vom zutiefst christlich geprägten frühen Hinterland aus.

Pirmin Bossard geht vom zutiefst christlich geprägten frühen Hinterland aus.

(Bild: Daniela Herzog)

Dort werden in halluzinativen Momenten dystopische Cyberschund-Fantasien über «synthetische Bewusstseinsprothesen», «Gewächshäuser der Gene» und «Gedankenfabriken in der Wüste» gesponnen. Orwell und Huxley lassen grüssen.

Die Verse sind dicht und Bossart liest schnell. Manche Übergänge sind ein wenig ruppig und zu schnell, so dass man der bildhaften Fülle nicht immer folgen kann.

Lieber Pastis statt Drogen

Mit einer stimmungsvollen onomatopoetischen Dichtung überzeugt die in Marseille lebende, gebürtige Urnerin Leonor Gnos. Ihre Verse machen den Makadam sinnlich erfahrbar. Gnos hat aber einen Hang zur nostalgischen Moralisierung. Beispielhaft dafür empfiehlt sie den Jugendlichen aus Serbien, Tschetschenien und Südafrika Pastis anstelle von Drogen.

Äusserst erfrischend und leichtfüssig trägt Simone Lappert ihre Gedichte über die schweren Themen der Vergänglichkeit und der verflossenen Liebe vor. Mit ihren ungewohnten Personifikationen und Wortkombinationen erzeugt sie besondere Bilder und bringt das Publikum gleichzeitig zum Nachdenken und Schmunzeln.

Die Natur im Zentrum

«Was kümmert die Hagebutte den Fortgang der Zeit?» fragt sie bald. Motive der Natur, im Speziellen des Waldes, tauchen in ihren Versen immer wieder auf. Das Kitschig-Romantische bricht sie dabei humorvoll mit banalen umgangssprachlichen Phrasen: «Ich hasse den Mond, der wahllos jeden Scheiss versilbert.»

Patric Marino setzt auf Spoken Word.

Patric Marino setzt auf Spoken Word.

(Bild: Daniela Herzog)

Den Abschluss des Lyrikteils bildet Lisa Elsässer. Sie liest aus ihrem neusten Gedichtband «Flussbewohner» und beeindruckt darin mit einem Sprachfluss, der die Zuhörer berührt und mitreisst. Auch sie bespielt die Natur mit all ihren Facetten und nimmt uns mit in eine frostige, weisse Schneelandschaft. Ganz so kalt ist es zwar auf der Rigi noch nicht, aber der Wind bläst uns gehörig um die Ohren, als wir uns in die Mittagspause begeben.

Zahlreiche Prosatalente

Der Nachmittag steht dann ganz im Zeichen der jungen Prosa. Mit Patric Marino, Julia Weber, Pino Dietiker und Meral Kureyshi lesen gleich vier Alumni des Schweizerischen Literaturinstituts Biel. Dass es sich dabei um mehr als einheitliche Institutsprosa handelt, stellen die vier eindrucksvoll unter Beweis.

Während Pino Dietiker und Patric Marino mit Spoken-Word-Darbietungen auftrumpfen, überzeugen Julia Weber und Meral Kureyshi mit leiseren Tönen, viel Feingefühl und ihren berührenden Erzählungen über ein von seiner Mutter vernachlässigtes Mädchen («Immer ist alles schön») und die Immigrationserfahrung einer jungen Frau («Elefanten im Garten»).

Schwermütig und nihilistisch

Schwermütig und nihilistisch geht es mit dem renommierten deutschen Redakteur Sebastian Kleinschmidt auf dem Kulm weiter. In seinem Essay «Vom Unheil des Erkennens. Hartmut Langes erster Novellenband» huldigt er den Schriftsteller Lange für seine gefühlvolle und sprachgewaltige Auseinandersetzung mit Nietzsches geistiger Umnachtung, dem Doppelselbstmord Heinrich von Kleists und Henriette Vogels und dem Selbstmord Alfred Seidels.

Meral Kureyshi überzeugte mit berührenden Erzählungen.

Meral Kureyshi überzeugte mit berührenden Erzählungen.

(Bild: Daniela Herzog)

Kleinschmidt verwebt in seinen Ausführungen gekonnt die biografischen Gegebenheiten Langes mit den ideengeschichtlichen Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts sowie den jeweiligen drei Schicksalen der behandelten Novellen.

Es ist keine leichte Kost, die uns da im grauen Nebeldickicht auf der Rigi serviert wird. Den abschliessenden Programmhöhepunkt mit Hanspeter Müller-Drossaart müssen wir auslassen, da wir ansonsten die letzte ÖV-Verbindung nach Luzern verpassen würden. Kleinschmidts aufgegriffene Fragen nach Anerkennung, Schuld, Reue und Vergebung sorgen jedoch für genügend Gesprächsstoff auf der Rückreise.

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