Luzerner Sexarbeiterinnen zu neuem Gesetz

«Ich bin eine Prostituierte. Ich mache nichts Illegales»

Die Luzerner Regierung will kontrollieren, wo überall Sex für Geld angeboten wird. Deshalb soll eine Bewilligungspflicht für Sexarbeiterinnen her.

(Bild: Adobe Stock)

Die Luzerner Regierung will ein Gesetz, das der Polizei erlaubt, jederzeit Sex-Etablissements zu kontrollieren. Damit will man gegen Zuhälterei und Menschenhandel vorgehen. Auch brauchen Prostituierte künftig eine Bewilligung. Was gut gemeint ist, stösst bei befragten Sexarbeiterinnen auf viel Unverständnis.

Die beiden Bulgarinnen Viktoria* (26) und Maria* (31) sitzen im Trainer am Küchentisch. Sie trinken Kaffee, während sie sich eine Zigarette anzünden. Es ist ein sonniger Tag, das Fenster ist geöffnet, die beiden Frauen blicken über die Dächer der Stadt. Viktoria und Maria bieten ihre Dienste auf dem Strassenstrich Ibach an. Und sie teilen sich eine Wohnung, in der sie gemeinsam wohnen und zugleich mit ihren Freiern schlafen.

Damit sie auch in Zukunft ihrer Arbeit nachgehen könnten, müssten sie sich um eine Bewilligung bemühen – dies fordert das neue Gesetz. Denn wo es in Luzern überall Sex gegen Geld gibt, weiss niemand so genau.

Früherer Versuch gescheitert

Konkret möchte die Luzerner Regierung, dass das Anbieten von Sexarbeit innerhalb von Räumlichkeiten, aber auch das Vermieten von Lokalitäten, in denen Prostituierte ihrer Arbeit nachgehen, bewilligungspflichtig wird. Denn wo etwas bewilligt wird, wird in der Regel auch kontrolliert. So wolle man gegen Schwarzarbeit, Zuhälterei und Menschenhandel innerhalb des Sexgewerbes vorgehen (zentralplus berichtete).

Fast alle Parteien begrüssen die Änderungen, wie die Vernehmlassung zeigte. Ausnahme sind die Grünen. Zur Erinnerung: 2015 scheiterte der Versuch, im Sexgewerbe eine Registrierungs- und Bewilligungspflicht für alle Sexarbeiter einzuführen. Die Luzerner Kantonsräte schickten das Gesetz mit 61 zu 51 Stimmen bachab (zentralplus berichtete).

Mehr Papierkram – Sexarbeiterinnen überfordert?

Zurück am Küchentisch: Viktoria nimmt sich einen grossen Schluck Kaffee. Sie ist seit vier Jahren in der Schweiz, Maria seit sechs Jahren. Bereits mit den Papieren rund um Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung hätten die beiden Frauen Mühe gehabt, wie sie erzählen. Dokumente und Briefe seien oftmals kompliziert geschrieben, sodass die beiden nur ein paar Brocken verstehen. Beim Verein «Lisa» (Luzerner Verein für die Interessen der Sexarbeitenden) holen sie sich Unterstützung. Alleine seien sie damit schlicht überfordert.

«Ich bin nur eine Prostituierte. Ich mache nichts Illegales. Wozu brauche ich das?»

Viktoria, eine Sexarbeiterin

Dass künftig noch mehr Büroarbeit auf sie zukommen könnte, stösst bei beiden auf Unverständnis. «Ich bin nur eine Prostituierte. Wir machen ja nichts Illegales», sagt Viktoria. «Wozu brauche ich das?» Zudem kommen die meisten Sexarbeiterinnen aus dem Ausland. «Andere können nicht einmal ihren Namen auf Deutsch schreiben – und sollen nun einen ganzen Businessplan verfassen?», fährt Viktoria fort.

Sie fragt sich, ob das neue Gesetz sie besser schütze – oder ob ihr damit nicht das Leben schwerer gemacht werde. «Wenn die Polizei wirklich etwas für Prostituierte machen will, dann sollen sie Bordellbetreiber genauer unter die Lupe nehmen.» Anhand von Papieren, wie einer Bewilligungspflicht und einer Arbeitsbewilligung, sei es schwer, auf die Gefühlslage einer Person zu schliessen. Besser sei es, wenn sich die Polizei auch die Zeit für ein Gespräch nehme, sich auf die Betroffenen einlasse.

Gesetz fordert Bordellbetreiber

Viktoria und Maria teilen sich zwar die Wohnung, arbeiten tut jedoch jede für sich. Dennoch schätzen sie es, die Kollegin unter demselben Dach zu haben. «Die Tür meines Schlafzimmers schliesse ich nie ab», sagt Maria. Viktoria erzählt, dass sie wisse, wie lange Maria mit ihren Freiern unterwegs sei. Sei sie nicht pünktlich zu Hause, vergewissere sie sich bei ihr, ob alles in Ordnung sei.

Das neue Gesetz und die geforderte Bewilligungspflicht setzen voraus, dass sich eine Person als Betreiberin kenntlich macht. Für Viktoria und Maria hätte dies zur Konsequenz, dass eine von ihnen zur Chefin – zur Bordellbetreiberin – würde.

«Das ist bestimmt kompliziert mit dieser Chef-Sache», meint Viktoria. Die beiden pflegen ein freundschaftliches Verhältnis zueinander. Sie können sich nur schwer vorstellen, wie es ist, wenn die eine hierarchisch plötzlich über der anderen stehen würde. Und daraus eine Abhängigkeit entstünde.

Aber auch pragmatische Fragen stellen sich. Zum Beispiel, wenn Viktoria Chefin wäre und ihre fünfjährige Tochter zu Hause besuchen möchte. «Dann bliebe Maria ja ohne Bewilligung zurück … dürfte sie dann noch anschaffen ohne mich?»

Wenn die Prostituierten keine Bewilligung bekommen, kann sich der Vermieter um eine bemühen und wird als Betreiber ersichtlich.

Wechseln zu grösserem Betrieb – sexuelle Selbstbestimmung in Gefahr?

Andere Kantone haben eine Bewilligungspflicht für Sexarbeiter bereits früher eingeführt – und schliesslich wieder angepasst, weil das neue Gesetz ungewollte Konsequenzen mit sich zog. In Zürich kam es zu einem rasanten Kleinsalonsterben. Dies, weil die administrativen Hürden für die Sexarbeiterinnen zu hoch gesteckt waren. Die Kantone Zürich und Bern führten deshalb eine Ausnahmebewilligung ein – Bern für Eine-Person-, Zürich für Zwei-Personen-Betriebe.

Kleinstbetriebe würden aufgrund des höheren Papierkrams schliessen – oder aber in einen grösseren Betrieb wechseln, in dem sie nicht mehr selbständig arbeiten, lautete der Tenor der Fachleute. Dass dasselbe in Luzern geschehen könnte, befürchtet auch der Luzerner Verein für die Interessen der Sexarbeitenden («Lisa»). Er fordert deshalb, dass Kleinstbetriebe bis zu zwei Personen von der geplanten Bewilligungspflicht befreit werden (zentralplus berichtete).

«Verlangt der Kunde etwas, das ich nicht möchte, lasse ich mich nicht auf ihn ein.»

Maria, eine Sexarbeiterin

Für Viktoria und Maria käme es nie in Frage, in einen grösseren Betrieb zu wechseln. Zu gross ist die Angst, abhängig von jemand anderem zu werden. Oder mit Freiern ins Bett gehen zu müssen, die ihnen nicht geheuer seien, Dinge tun zu müssen, die sie nicht wollen.

Prostituierte seien keine Marionetten, sagt Maria, die der Selbständigkeit einen hohen Stellenwert einräumt. Sie müssten nicht alles tun, was von ihnen verlangt werde, denn es sei ihr eigener Körper. «Bevor ich mit einem Freier mitgehe, verhandle ich zuerst jeweils über geforderte Dienstleistungen und den Preis. Verlangt der Kunde etwas, das ich nicht möchte, lasse ich mich nicht auf ihn ein.»

Polizei im Haus – Diskretion gefährdet?

Die beiden Prostituierten schicken einen Grossteil des verdienten Geldes an ihre Familie in Bulgarien. Dass die beiden Frauen anschaffen gehen, davon weiss die Familie nichts: «Ich schaffe in der Schweiz und nicht in Bulgarien an, damit meine Familie nichts davon erfährt.»

Dass durch das neue Gesetz die Polizei künftig unangekündigt Wohnung und Arbeitsort von Viktoria und Maria betreten könnte, stört die beiden nicht. Das liegt auch daran, dass die Familie weit weg ist und Nachbarn und Vermieter wissen, dass in den Räumlichkeiten Sex gegen Geld angeboten wird. Das Geheimhalten ihrer Arbeit sei durch das Eintreten der Polizei ins Haus nicht gefährdet. «Die Polizei kennt uns», meint Viktoria lachend.

Auf dem Strassenstrich werden ihre Papiere regelmässig auf ihre Gültigkeit hin überprüft. Die Polizei suchte einmal auch ihre Wohnung auf: «Einmal stand ein Polizist in zivil vor der Haustür», erzählt Viktoria lachend. «Ich habe ihm bereits an der Tür den Preis gesagt.» Dass der Mann ein Polizist war, habe er erst später verraten, nachdem er seine Fragen gestellt hatte.

Heute darf die Polizei nur dann einen Sexbetrieb kontrollieren, wenn dieser entweder gastgewerberechtlich bewilligungspflichtig ist oder die Staatsanwaltschaft aufgrund eines Verdachts eine Durchsuchung anordnet. Das heisst, dass Sexarbeiter heutzutage die Polizei abwimmeln dürfen, künftig jedoch Eintritt gewähren müssen.

Problematisch sei es dann, wenn eine Frau ohne das Wissen ihrer Familie und Nachbarn in ihrem Zuhause anschaffe, sagt Maria. Durch spontane Kontrollen sei die Diskretion offensichtlich gefährdet.

*Zum Schutz der Betroffenen wurden die Namen geändert. Es handelt sich um zufällig gewählte Vornamen.

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