Immer wieder verschwinden Künstler an Festivals

Warum Musiker am Luzerner Strassenfestival nicht untertauchen

Hauptsache, schön bunt: 28 Trommler und Tänzerinnen aus Burundi sind in Freiburg illegal untergetaucht.

(Bild: zvg)

In Freiburg setzten sich an einem Folklorefestival 28 afrikanische Musiker auf illegale Weise ab. Am Strassenmusik-Festival, einem Rahmenprogramm des Lucerne Festival, schüttelt man darüber nur den Kopf. Exotik werde an vielen Festivals leider über Qualität gestellt.

In Freiburg fand letzte Woche ein internationales Folkloretreffen statt. Mit dabei war auch eine Musikband aus dem ostafrikanischen Staat Burundi: Perkussionisten des Ensembles «Ruciteme» wurden dabei von bunt geschmückten Tänzerinnen begleitet. Die Grossformation stammte aus dem drittärmsten Land der Welt mit einem durchschnittlichen Tageseinkommen von knapp 2 Dollar pro Tag.

Ursprünglich sollte die Gruppe 28 Mitglieder umfassen, doch bei den Veranstaltern in Freiburg meldeten sich nur noch 14. Nach und nach tauchten auch die restlichen Musiker unter. An der Schlussvorstellung spielten gar nur noch drei Musiker. Und am Ende waren alle verschwunden, wie die «Freiburger Nachrichten» berichteten.

In der Heimat verfolgt

Beim Freiburger Organisator hatten die Mitglieder der Gruppe erklärt, dass sie in ihrer Heimat verfolgt würden. Schon vor 20 Jahren war eine Gruppe aus Marokko am Folklorefestival in Freiburg untergetaucht.

«Veranstalter schmücken sich gerne mit bunten Truppen, bei denen die musikalische Qualität nicht so wichtig ist.»

Hugo Faas (72), Veranstalter des Festivals «In den Strassen»

Der Gründer und Veranstalter des Luzerner Festivals «In den Strassen», das am Sonntag zu Ende ging, kennt die Problematik. Hugo Faas (72) erklärt: «Dass sich sogenannte Künstler vor allem an Folktanz-, Folklore- und Blasmusikfestivals immer wieder absetzen, ist bekannt. Das hat damit zu tun, dass sich die Veranstalter gerne mit bunten und fröhlichen Truppen schmücken, bei denen die musikalische Qualität nicht so wichtig ist. Da wird Exotik verkauft!»

Hatte seine Künstler immer im Griff: «In den Strassen»-Veranstalter Hugo Faas.

Hatte seine Künstler immer im Griff: «In den Strassen»-Veranstalter Hugo Faas.

(Bild: hae)

Hugo Faas hingegen setzt mit seinem Festival «In den Strassen» vorwiegend auf Topformationen, die gerne wieder in ihre Länder zurückkehren. «Solche Künstler sind in ihrer Heimat respektiert und angesehen, leben meist auch gut – und wollen nach den Konzerten in Luzern auch gerne wieder nach Hause zurück», sagt Faas. Sein Strassenfestival war letzte Woche von Dienstag bis Sonntag auf verschiedenen Plätzen der Stadt Luzern gratis zu erleben; mit einer Hutkollekte wurde Geld gesammelt.

«Passen Sie aber auf!»

Tipp der Fremdenpolizei an Hugo Faas

Hugo Faas ist in seinen 13 Jahren als «In den Strassen»-Veranstalter bislang kein Musiker in den Untergrund entwischt, auch wenn ihm beim Visumeinholen für seine Künstler von der Fremdenpolizei oft ein Tipp gegeben wurde: «Passen Sie aber auf diese Menschen auf!» Er musste auch schon mit seiner Unterschrift dafür bürgen, dass die Gruppen dann ja wieder in ihre Heimat zurückkehrten.

Video vom Luzerner Weltmusik-Festival «In den Strassen»:

 

Es sei eher eine Frage der Polit- und Kulturkenntnisse denn eine Budgetfrage, gute Gruppen zu bekommen, sagt Faas. Der erfahrene Konzertorganisator kocht sein Luzerner Strassensüppchen auf sehr kleiner Flamme und setzt deshalb gern auf Kleinformationen (zentralplus berichtete). Faas weiss: «30 Trommler und Tänzerinnen aus Burundi wie in Freiburg einzufliegen, geht ziemlich ins Geld, auch wenn Unterkunft und Verpflegung dann vielleicht nicht mehr so viel kosten.»

Sportler und Musiker tauchen unter

Dass sich Künstler oder Sportler aus armen Ländern in Europa absetzen, kommt auch in der Schweiz immer wieder vor: Erst im April flohen zwei Sportler aus Algerien in Genf, nachdem sie an einem Schweizer Wettkampf teilgenommen hatten. Wie Faas sich erinnert, waren 2005 in Zürich 29 Teilnehmer eines Welt-Jugendmusik-Festivals untergetaucht.

Armut und Kriege können ein Grund zum Untertauchen sein. Laut einem Blog des Zürcher «Tages-Anzeigers», der derzeit in den Schweizer Medien für Aufregung sorgt, bekommen Asylbewerber in der Schweiz pro Tag 56 Franken Sozialhilfe – das wäre in Burundi glatt mehr als ein Monatslohn.

Exotik statt künstlerisches Niveau: Viele Festival setzen weniger auf musikalische Qualitäten.

Exotik statt künstlerisches Niveau: Viele Festivals setzen weniger auf musikalische Qualitäten.

(Bild: zvg)

Dagegen wendet Faas ein: «Diese Rechnung kann man so einfach nicht machen. Denn mit zwei Dollar kommt man mitunter in Burundi gut durch – der Kaufwert ist in Afrika vielleicht sogar grösser als 56 Franken in der Schweiz.»

Jahressalär von 300 bis 400 Franken

Faas hatte letzte Woche unter seinen acht Gruppen auch Künstler aus Usbekistan. «Die berichteten uns, dass viele Arbeiter mit einem Jahressalär von 300 bis 400 Franken durchkommen.» Doch auch die Gruppe Oxus, die im Übrigen sehr gefeiert wurde, ging gerne wieder nach Hause. «Weil sie in ihrer Heimat ein grosses Renommee hat.»

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