Chamer Fagottrohrbauer, Hausmann und Stadtführer

Bruno Birrer: «Ich mache vieles, was in der Gesellschaft als unmännlich gilt»

Bruno Birrer hat was zu erzählen. Der Chamer ist ein Hansdampf in allen Gassen und hat viele Geschichten auf Lager. (Bild: wia)

In seiner Wohngemeinde Cham ist Bruno Birrer bekannt wie ein bunter Hund. Und das aus gutem Grund. Der 74-Jährige ist ein Tausendsassa. Operationsfotograf, Fagottrohrbauer, Sigrist oder Ortsführer. Es gibt kaum etwas, was der Chamer nicht schon gemacht hätte. Ausserdem war er als Vollzeitpapa ein Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung.

Dass Bruno Birrer gute Geschichten auf Lager hat, das weiss man, noch bevor er angefangen hat zu reden. Die rotgefasste Brille, der üppige Schnauzer, der Ohrstecker, der wache Blick: Seine ganze Erscheinung passt zu Birrers Leben, zu den Anekdoten, die er aus dem Ärmel schüttelt. Dann beginnt er zu erzählen und wird den Erwartungen mehr als gerecht.

«Vor Jahrzehnten habe ich einmal während der Fasnacht ein Fagott im Müll gefunden. Es war bemalt und beschädigt, dennoch habe ich es mit nach Hause genommen.» – Neugier sei für ihn grundsätzlich sehr wichtig, fügt er beiläufig an. Als er erkannte, dass unter der Farbe ein wertvolles Instrument steckte, sandte er es nach Ostdeutschland zur Restauration. «Drei Leute haben während eines Jahres daran gearbeitet», sagt er. Er begann daraufhin, das Instrument zu spielen. Und irgendwann auch selber Fagottrohre zu bauen. Bis in die Ostschweiz hinaus hat er Kunden. Ganz ohne Webseite, wie Birrer betont.

 

So sehen sie aus, die fertigen Fagottrohre.

So sehen sie aus, die fertigen Fagottrohre.

(Bild: wia)

Diesem Rohrblatt komme nämlich eine tragende Bedeutung zu, erklärt er. «Der Ton des Fagotts steht und fällt mit dem Rohrblatt.» So sitzt der Chamer regelmässig in der kleinen Werkstatt, die er in seiner Wohnung eingerichtet hat, und baut in präziser Handarbeit aus Draht, Schilfrohr und Garn solche Mundstücke. «Hundert Stück schaffe ich pro Jahr», sagt Birrer. «Wovon etwa 20 Prozent nicht verkäuflich sind. Denn ob die Rohre etwas taugen, merkt man erst am Schluss beim Test», so der bald 75-Jährige.

«Die Damen, die im Nähladen arbeiten, sind jeweils ganz begeistert, wenn ich als Mann in ihren Laden trete.»

Bruno Birrer, Fagottrohrbauer

Sein Markenzeichen ist das zweifarbige Garn, mit dem er die Rohre einfasst. «Die anderen Bauer gebrauchen nur eine Farbe.» Dabei zeigt er eine Kiste, in der es nur so von bunten Fäden wimmelt. «Die Damen, die im Nähladen arbeiten, sind jeweils ganz begeistert, wenn ich als Mann in ihren Laden trete», sagt der Chamer. «Ich mache vieles, was in der Gesellschaft als unmännlich gilt», sagt er, und er ärgert sich ein wenig darüber.

«Auch im Gedächtnistraining, das ich jeden Montag besuche, sind abgesehen von mir nur Frauen», sagt er. Und überhaupt, als Hausmann sei er damals einer von ganz wenigen gewesen, erklärt Birrer.

In Birrers Werkstatt baut er unter anderem Bauernwagen und Fagottrohre.

In Birrers Werkstatt baut er unter anderem Bauernwagen und Fagottrohre.

(Bild: wia)

Vom Cheflaboranten zum Hausmann

Dahinter, wie der gebürtige Luzerner vom Vorgesetzten zum Hausmann und Vollzeit-Papa wurde, steckt ebenfalls eine gute Geschichte. Eine, die Birrer bereitwillig erzählt. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof in Reiden, obwohl seine Eltern selber keine Landwirte waren. Als Jugendlicher begann Birrer eine Lehre als Elektromotorenbauer.

«Seit meinem Unfall höre ich übrigens besonders gut. Fast zu gut.»

Bruno Birrer, ehemaliger Cheflaborant des Zuger Kantonsspitals

Diese musste er durch einen folgenschweren Unfall abrupt beenden. Der Tritt auf einen rostigen Nagel, welcher seinen Fuss durchbohrte, führte «genau drei Wochen später zu einem Superinfekt, weshalb sie mir den Fuss amputieren wollten. Ich war eine Zeit lang schon fast im Jenseits.» Ein Jahr lang blieb der Jugendliche im Spital, musste alles von Grund auf wieder lernen, selbst das Sprechen. «Seither höre ich übrigens besonders gut, fast zu gut», sagt Birrer.

Vom Teilzeit- zum Vollzeit-Hausmann

Während dieses Jahrs lernte Birrer die Vorgänge im Krankenhaus gut kennen, worauf er wenig später eine Lehre als Laborant antrat. «Damals war das ein ziemlicher Frauenberuf», sagt er. Er wurde Cheflaborant im Kantonsspital Zug, heiratete und hatte zwei Kinder. «Später kam die Scheidung, und gemeinsam mit meiner Frau entschieden wir, dass ich die Kinder zu mir nehmen würde», sagt Birrer. Eine gelernte Kindergärtnerin schaute halbtags zu diesen, er während der anderen Hälfte. «Die Chefstelle musste ich natürlich aufgeben. Das wäre nicht gegangen.»

Bruno Birrer ist nicht nur ein Macher. Er und seine Frau sind auch eifrige Leser.

Bruno Birrer ist nicht nur ein Macher. Er und seine Frau sind auch eifrige Leser.

(Bild: wia)

Etwas später kam Yvonne ins Spiel, Bruno Birrers heutige Frau. Das Paar beschloss, dass es sinnvoller wäre, wenn sie als Lehrerin weiterarbeiten würde und er stattdessen Hausmann würde. «Als Lehrerin verdiente sie mehr als ich als Laborant», sagt er.

«Als ich mit meinem Kind ins MuKi-Turnen wollte, mussten die Frauen dort zuerst darüber abstimmen.»

Bruno Birrer, Stadtführer

Hausmann sein in den späten Siebzigerjahren? Kein einfaches Territorium. «Als ich mit meinem Kind ins MuKi-Turnen wollte, mussten die Frauen dort zuerst darüber abstimmen, ob ich auch teilnehmen darf», sagt Birrer lächelnd und etwas verständnislos. Die Mehrheit der Frauen stimmte dafür.

Abfallsammler, Sigrist und Wanderführer

Ausserdem sei es kaum möglich gewesen, dass Birrer mit seinem Sohn zu anderen Eltern nach Hause ging, damit die Kinder zusammen spielen konnten. «Das wurde überhaupt nicht goutiert. Es war schwierig, als Vater in Kontakt zu kommen mit anderen Erziehenden. Das war eine blöde Zeit, es war wohl zu früh. Dabei hätten diese Mütter und ich durchaus Dinge zu bereden gehabt. Etwa das Kochen.» So waren Birrer und sein Sohn häufig allein unterwegs, oft mit dem Velo.

Seine mittlerweile drei Kinder wurden älter, doch Birrer wollte nicht mehr zurück ins Labor. In den zehn Jahren, in denen er weg war vom Job, hatte sich zu viel verändert. Der Familienvater fand Anstellung bei einem lokalen Bildhauer, wurde später Sigrist in der katholischen Kirche Cham, begann, Stadtführungen sowie Wanderungen zu organisieren und Abfall in der Gemeinde einzusammeln. Mit letzterer Tätigkeit hatte es der Zuger «Güselkommissar» letztes Jahr in die SRF-Sendung «Aeschbacher» gebracht (zentralplus berichtete).

(Bild: wia)

Daneben baut er Miniaturbauernwagen und Fagottrohre, ausserdem zeichnet er mit Hingabe. «Häufig Tiere. Meine Fantasie ist nicht so gut.» Immer wieder, wenn Birrer erzählt, kommen, ganz beiläufig, weitere spannende Facetten zutage. Etwa wenn er von «meiner Zeit als Operationsfotograf» erzählt. «Das war äusserst spannend. Und etwas unschön, wenn mich freitags der Pathologe einspannte, um Leichen zu fotografieren. Je nachdem, wer gestorben war und vor allem wie.»

Bevor wir uns verabschieden, drückt uns Bruno Birrer einen Flyer in die Hand. Am 15. September ist Tag des Friedhofs. Der Chamer wird dann Interessierte für einmal nicht durchs Dorf führen, sondern durch den Friedhof Cham. Spannende Geschichten sind garantiert – und auch einige morbide, wie wir vermuten.

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