Luzerner Starkoch schreibt neues Buch

Pionier Chrüteroski: «Die Natur hat immer Recht»

Oskar Marti weiss, was uns die Minze in seinem Garten in Meggen sagen will.

(Bild: jal)

Frisches Grün statt Foie Gras, Kräuter statt Kaviar: Was heute Trend ist, predigte Oskar Marti bereits vor 45 Jahren. Weil er seiner Zeit voraus war, erntete er den Spitznamen «Chrüteroski». Später wurde er zur Marke. Seine Philosophie reicht weit über den Tellerrand hinaus: Sie ist auch eine Kritik an der heutigen Konsumgesellschaft.

«Die Natur gibt uns die Rezepte, wir müssen sie gar nicht suchen.» Bei Oskar Marti landete schon vor 45 Jahren auf dem Teller, was Wald und Wiese hergeben. Brennnesselrisotto, Leber mit Gänseblümchen oder Heusuppe – «Chrüteroski» war Trendsetter wider Willen.

Denn inzwischen ist die Natur vielerorts auf den Teller zurückgekehrt. Beizen verwerten wieder ganze Tiere und Pflanzen – Stichwort «Nose-to-Tail» und «Leaf-to-Root» –, auf jeder Frühlingskarte findet sich Bärlauch und im Sommer schlecken die Städter Basilikumsorbets. Entwicklungen, die dem Vorreiter Oskar Marti gefallen. «Man muss aber aufpassen, dass man nicht jemandem auf den Leim geht.»

Heute werde vieles als saisonal verkauft, was bei uns noch gar nicht reift. «Wir leben leider in einer Zeit, in der es häufig darum geht, aufzufallen und der Schnellste zu sein.» Ein Restaurant, das bereits Ende August die Wildkarte präsentiert, oder ein Detailhändler, der schon bei der ersten Frühlingssonne die Spargeln im Angebot hat: für Marti «fertiger Blödsinn».

Der Kreislauf der Natur

Oskar Marti, 71-jährig, aufgewachsen im luzernischen St. Urban, ist einer der berühmtesten Köche des Landes. Jahrelang hat er auf Spitzenniveau gekocht, im «Drei Könige» im Entlebuch und danach in der «Moospinte» im bernischen Münchenbuchsee. Vor acht Jahren hängte er die Kochschürze an den Nagel und zügelte nach Meggen. Nun serviert der «Pionier der Naturküche» sein Wissen in einem 300-seitigen Buch (siehe Box).

«Das Verbrechen liegt in meiner Generation.»

Wenn er in seinem Zuhause, hoch über dem Vierwaldstättersee, von seiner Kochphilosophie erzählt, wird schnell klar: Das geht über den Topf hinaus. Da ist vom Ursprünglichen die Rede, von Kreisläufen, von Werten. Essen ist für Chrüteroski mehr als Nahrung, es ist Kultur, Gesellschaft und es ist auch Heimat.

Er kreierte die Heusuppe, lange bevor Naturküche en vogue wurde: Chrüteroski.

Er kreierte die Heusuppe, lange bevor Naturküche en vogue wurde: Chrüteroski.

(Bild: Winfried Heinze)

«Der Mensch ist Teil der Natur, nur hat er das vergessen.» Ginge es nach ihm, würden Kinder in der Schule lernen, wie ein Apfel entsteht und wann eine Tomate reif ist. Denn dieses Grundwissen, das er noch von den Eltern mitbekommen hat, sei verloren gegangen.

Das Buch

«Chrüteroski – Pionier der Naturküche», so lautet der Titel des neusten Buches von Oskar Marti. Es ist eine Mischung aus Kochbuch und Kräuterfibel. Auf über 300 Seiten, organisiert nach Jahreszeiten, gibt es Wissenswertes über Pflanzen und passende Rezepte dazu, zum Beispiel panierte Kuttelstreifen auf Salat, gebackener Kalbskopf oder kandierte Hagebutten. Zwei handliche Pflanzenführer für unterwegs laden zum Sammeln ein. Es ist das 18. Buch von Oskar Marti, herausgegeben von Schweizer Landliebe, und kostet 68 Franken.

Oskar Marti ist in St. Urban bei Pfaffnau aufgewachsen. Er führte von 1974 bis 1985 das Restaurant «Drei Könige» in Entlebuch, danach 25 Jahre lange die «Moospinte» in Münchenbuchsee, wo er mit 17, später 16 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet wurde. Heute lebt er mit seiner Frau in Meggen, leitet Kräuterwanderungen, schreibt Kolumnen und hält Vorträge.

Er lächelt kurz, denn er weiss wohl, dass das klingt wie die typische Leier von «früher war alles besser». Doch er sagt: «Das Verbrechen liegt in meiner Generation.» Der Wohlstand, er frohlockte. Da waren auf einmal die süssen, vormals unerschwinglichen Versuchungen in den Regalen. Das machte es überflüssig, sich im Wald nach Beeren zu bücken, müh- und armselig Eicheln zu Kaffee zu rösten oder Tannentriebe zu Sirup zu verarbeiten.

Wie er zum Chrüteroski wurde

Gerade deshalb hatte er zu Beginn – wie so viele Pioniere – keinen einfachen Stand. Als er 1974 im Entlebuch mit Bärlauch, Kerbel und Co. zu kochen begann, stiess er nicht nur auf Begeisterung. «Im Entlebuch freute man sich zu dieser Zeit: Endlich sind die schlechten Zeiten vorbei, in denen der teure Nüsslisalat mit Löwenzahnblättern gestreckt werden musste. Dass ich genau mit solchem ‹Unkraut› kochte, geriet gewissen Leuten in den falschen Hals.»

So entstand sein Spitzname: Chrüteroski. Ein paar Entlebucher wollten ihn damit ärgern. Doch Chrüteroski setzte sich mit seiner Naturküche durch; der Name aber blieb und wurde national zur Marke. Heute geniesst Chrüteroski Kultstatus; er hat mit seiner Philosophie zahlreiche Köche geprägt, zum Beispiel den «Hexer vom Entlebuch», der die Naturküche weiterentwickelt hat (zentralplus berichtete).

Oskar Marti, bekannt als «Chrüteroski» streift regelmässig durch Wald und über Wiesen, um seine Zutaten zu sammeln.

Oskar Marti, bekannt als «Chrüteroski» streift regelmässig durch Wald und über Wiesen, um seine Zutaten zu sammeln.

(Bild: Winfried Heinze)

Für den 71-Jährigen hat die Natur immer Recht. Dass die Apfelminze jetzt reif ist: weil Menthol erfrischt. Dass das Gänseblümchen im Frühling blüht: weil es entschlackt. Dass der Basilikum im April auf dem Balkon verfriert: weil er uns sagen will, dass er als Hochsommerpflanze unseren Körper abzukühlen hilft. Manches klingt esoterisch angehaucht, doch dahinter steckt ein enormer Wissenschatz über die heilende Wirkung der chemischen Inhaltsstoffe von Kräutern und Pflanzen. Und eine tiefe Liebe zur Natur. Nie isst Chrüteroski im Stehen, aus Respekt gegenüber dem Tier oder der Pflanze, «die sich für mich aufopfert». 

Wieso Wasabi statt Meerrettich?

Essen ist zum Politikum geworden. Gerade auch in Luzern, wo im September darüber abgestimmt wird, ob die Stadt in der Küche mitmischen soll (zentralplus berichtete). Oskar Marti hat ebenfalls eine politische Botschaft: besser konsumieren statt mehr. Bewusster konsumieren. «Ich glaube, mehr als ein Drittel der Lastwagen auf den Strassen würde verschwinden, wenn man saisonal essen würde.»

«Die heutige Jugend ist auf der Suche und hat ein besseres Bauchgefühl.»

Chrüteroski spricht von der «Ketchup-Generation» und bedauert, dass heute jeder auf Wasabi abfährt, aber kaum mehr jemand den einheimischen Meerrettich kennt. Dabei schwingt nebst der Sorge um die Traditionen eine Portion Kritik an der Globalisierung mit. «Die Veränderungen beim Essen und Trinken haben weitere Folgen: Kleine Lebensmittelläden müssen Uhrenshops und globalen Kleidergeschäften Platz machen. Alles wird uniformiert.»

Als Missionar will er sich aber nicht sehen. «Mit dem erhobenen Finger erreicht man nur das Gegenteil.» Lieber streut er seine Botschaften in den Büchern, auf seinen Kräuterwanderungen oder im direkten Gespräch. Er spürt, dass die Debatte in Bewegung kommt. Die Vegetarier bezeichnet er als «Revolutionäre», weil sie Konsumgewohnheiten hinterfragen. Und schwarzmalen will er keineswegs. «Die heutige Jugend ist auf der Suche und hat ein besseres Bauchgefühl.» Deshalb ist er überzeugt, dass eine Kehrtwende kommen wird, wenn nicht morgen, so doch in der nächsten Generation. «Das Einheimische wird zum Exotischen, weil das Exotische schon einheimisch ist.»

So sammelt Oskar Marti seine Zutaten:

 

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon