Was Teilnehmer vom kritisierten TV-Krimi halten

Der Arzt, der im Luzerner «Tatort» den Statisten spielt

Arzt im «Tatort» und im richtigen Leben: Daniel Marfurt aus Luzern vor dem KKL.

(Bild: hae)

Der neuste Schweizer «Tatort»: 90 Minuten aus dem KKL, in einem Dreh ohne Schnitt gefilmt, am Sonntag am TV. Mehr als 1’000 Statisten nahmen teil, die meisten sind graue Masse. Zwei Luzerner ragten heraus. Darunter ein Arzt – der einen Arzt spielt.

Er verwirft die Hände, schreit: «Chönd si bitte uusegooh, mier müend do schaffe!» Dann versucht er, die Ohnmächtige mit einer Herzmassage wiederzubeleben. In einer anderen Szene macht er gar einen Luftröhrenschnitt. Das Blut spritzt, der neue «Tatort» ist am Puls des Lebens.

Alles geht schnell in der 63. Spielminute des neusten Luzerner Tatort-Filmes «Die Musik stirbt zuletzt», und Daniel Marfurt (54) weiss gar nicht mehr genau, wie er all den Stress überhaupt überstanden hat. Er, der als Lebensretter im neusten Luzerner «Tatort» scheitert, spielt die Rolle seines Lebens: Denn Marfurt ist auch im richtigen Leben Spezialarzt für Intensivmedizin, Anästhesie und Reanimation.

Leben retten: Daniel Marfurt weist bei seinem leidenschaftlichen Einsatz gar die Kommissarin in die Schranken.

Leben retten: Daniel Marfurt weist bei seinem leidenschaftlichen Einsatz gar die Kommissarin in die Schranken.

(Bild: Screenshot hae)

Marfurt war einer der 1’500 Statisten, welche die Tatort-Produktion vor einem Jahr an vier Abenden ins KKL geladen hatte (zentralplus berichtete). Am Sonntag ist der Film am TV zu sehen.

«Bitte nicht in die Kamera winken!»

Oberstes Gebot für die Statisten

Wie Motten das Licht umtanzten damals Hobby- und Möchtegernschauspieler sowie «Tatort»-Groupies den Dreh des neuen Luzerner TV-Krimis. Beim vielen Rumstehen im KKL fanden sie genug Zeit, Lokalprominenz, die Bachelorette oder auch James Bond zu treffen. Einzige Bedingung für die Laien: «Bitte nicht in die Kamera winken!»

Auch Arzt Daniel Marfurt hatte sich als VIP-Statist gemeldet, weil er damals, Mitte Juli 2017, in einer schlechten Lebensverfassung war und Ablenkung suchte: «Vier Abende im Anzug im KKL unter lauter schicken Menschen rumzustehen, das war Verlockung genug.» Doch weil Dani Levy (60), der Solothurner Regisseur, quasi in letzter Minute eine Reanimationsszene haben wollte und kein Arzt zur Verfügung stand, war es naheliegend, dass der ärztliche VIP-Herumsteher Marfurt ins Rampenlicht gelangte.

Alles andere als realistisch

«Man liess mir eine Abschrift der neu vorgesehenen Szene zukommen – und ich erschrak: Denn so, wie sich die Filmer eine Wiederbelebung vorstellten, war das alles andere als realistisch.» Also nahm er Levy beiseite und erklärte ihm, dass ein junger Mensch, der reanimiert werde und versterbe, in keinem Fall schon vor Ort für tot erklärt werde, sondern immer erst im Spital, wenn alles Mögliche versucht wurde.

Filmemacher Levy, der schon grosse Kinokisten wie «Meschugge» oder «Alles auf Zucker!» geschrieben und gedreht hat, war nicht begeistert, weil er während der Nacht das Drehbuch umschreiben musste und am nächsten Tag, dem ersten Drehtag, ziemlich fertig aussah. «Doch Levys Team hatte auf mich gehört, wenn auch murrend. Ich fuhr also selber schnell ins Spital, holte mir im Operationssaal die wichtigsten Utensilien. Und die Szene kam gut, sehr realistisch.»

«Ich konnte beobachten, wie sich Männer um die glamourös gekleideten Damen bemühten und oft abblitzten.»

Daniel Marfurt zu übereifrigen Statisten

Daniel Marfurt erlebte den Dreh als sehr kurzweilig: «Da war für uns VIP-Statisten, die nah an den Hauptdarstellern dran waren, nichts mit stundenlangem Rumstehen. Ich konnte beobachten, wie sich Männer um die glamourös gekleideten Damen bemühten und oft abblitzten.»

Er sah auch, wie sich gewisse Herren – durchaus mit Bond-Qualitäten, zumindest was das Aussehen betraf – dermassen fehl am Platz benahmen, dass sie am zweiten Drehtag von der VIP-Entourage zum Fussvolk der normalen Statisten degradiert wurden. Ab in die zweite Reihe der grauen Masse im Konzertsaal.

Hose schlabberte

Es gab auch Pannen, aber darüber schweigt Gentleman Marfurt. Nur so viel: «Weil ich damals aus Kummer wenig ass und acht Kilos abgenommen hatte, schlabberte mir der Anzug – und immer wenn ich dann mit den Sanitätern mit der Bahre um die Ecke springen musste, fiel mir die Hose runter …»

Das ist im Film allerdings nicht zu sehen. Immerhin sorgte es für Erheiterung bei dem ansonsten sehr ernsten und hektischen Dreh. «Grundsätzlich muss ich sagen: Chapeau! Diese TV-Equipe hat viel gewagt und Grosses geleistet, mir gefällt der Film sehr gut. Diese Dynamik, die da dank der Handkamera entsteht, ist unglaublich packend.»

Grosse Wundertüte

Lob findet auch Marcel Zischler, Luzerner Manager aus der Optikerbranche. Den 55-Jährigen sieht man zweimal bei einem Kameraschwenk in der Runde. Der VIP-Statist, der als Double von Bundesrat Didier Burkhalter angeheuert war, sagt: «Mein Respekt für die Arbeit der Filmemacher ist gross, denn dieser Dreh in einem Take war eine Herausforderung. Und für alle Beteiligten eine grosse Wundertüte, was dabei rauskommt.»

Weit vorne dabei: Marcel Zischler und Daniel Marfurt (beide hinten links) stehen Spalier unter dem Dach des KKL.

Weit vorne dabei: Marcel Zischler und Daniel Marfurt (beide hinten links) stehen Spalier unter dem Dach des KKL.

(Bild: Screenshot hae)

«Tatort»-Fan Zischler zumindest ist zufrieden: Er findet den Film gelungen und freut sich, war er bei allen Drehs am Set im KKL. Auch aus Neugier, mal Kinoluft zu schnuppern. Zischler ist sich gewohnt, an Empfängen kultureller, politischer oder geschäftlicher Art präsent zu sein: «Ein Smoking ist ein Kleidungsstück wie jedes andere. Und zu einem Konzertbesuch im KKL gehört er oft mit dazu.»

«Ich kriege jetzt noch Gänsehaut.»

Statist Marcel Zischler

Marcel Zischler sagt: «Die ganzen Proben verliefen äusserst professionell ab, und auch die Stimmung im engeren Kreis der Statisten war kollegial und leidenschaftlich: Man war mit Leib und Seele dabei. Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich die Titelmusik höre und mich an die Momente im KKL erinnere.»

Anzugträger aus Passion: Marcel Zischler ging als Bundesrat Didier Burkhalter durch.

Anzugträger aus Passion: Marcel Zischler ging als Bundesrat Didier Burkhalter durch.

(Bild: zvg)

Zischler sagt: «Ich freue mich auf die Vorpremiere im KKL und werde ganz bestimmt vor Ort sein, um mein Déjà-vu geniessen zu können!» Er hat allen Grund zur Freude, denn sein Einsatz wurde belohnt. Andere, die sich an den Drehs um die Plätze balgten, fielen dem Schnitt zum Opfer, so etwa Peter Joho (zentralplus berichtete).

Ab auf den Roten Teppich: Peter Joho mit Begleitung Marie Therese Sütterle.

Ab auf den roten Teppich: Peter Joho mit Begleitung Marie Therese Sütterle.

(Bild: hae)

Mit Penelope Cruz auf dem roten Teppich

Dabei an der sonntäglichen KKL-Premiere ist auch Daniel Marfurt. Ob er nach seinen gut zehn Sätzen im Film – damit hat er fast so viel Redezeit wie die zweite Garde der Hauptakteure – auf weitere Rollen aspiriert? Der Arzt scheint Blut geleckt zu haben: «Naja, ich hab mich schon gefreut, in Cannes an der Seite von Penelope Cruz und Regisseurin Sofia Coppola über den roten Teppich zu turteln …» Aber sie haben sich bislang noch nicht gemeldet.

Spass beiseite, er verwirft die Hände. Er lacht, er sei nicht der Hobby-Clooney. «Ich bewundere Bond-Darsteller Daniel Craig für seine Männlichkeit, Leonardo Di Caprio für seine Darstellerkunst und Richard Gere für seine Entwicklung zum reifen Künstler. Und ich bin froh, wenn ich die Fotografin wieder treffe, die mich nach einem der Drehs nach Hause gefahren hatte, nachdem sie einen aufdringlichen Musiker aus dem Orchester abgewimmelt hatte.» Das sei Marfurt sein liebstes Honorar für die vier Abende Statistendasein.

Kein Hobby-Clooney, aber Fan von Sofia Coppola und Penelope Cruz: der «Tatort»-Statist.

Kein Hobby-Clooney, aber Fan von Sofia Coppola und Penelope Cruz: der «Tatort»-Statist.

(Bild: hae)

Hinweis: «Die Musik stirbt zuletzt» läuft am Sonntag, 5. August, ab 20 Uhr auf SRF, ARD und ORF. Lesen Sie bereits am Sonntag ab 17 Uhr die zentralplus-Filmkritik zum Luzerner Tatort und am späteren Sonntagabend die Reaktionen auf Social Media.

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