Wohnturm im Luzerner Schönbühl wird zur Baustelle

Nun verlassen die letzten Mieter das Aalto-Hochhaus

Die Kisten türmen sich: Trudi und Josef Baumgartner müssen ihre Wohnung im Hochhaus bald verlassen.

Seit 1970 hat das Ehepaar Baumgartner im Aalto-Hochhaus gewohnt. Nun packen sie die Kisten und wundern sich über all die verschwundenen Nachbarn. Ein Besuch im halb verwaisten Wohnturm, bevor die Baumaschinen auffahren.

Einige der 14 Stockwerke sind schon verwaist, viele langjährige Mieter bereits ausgezogen. Vor der Tür der Baumgartners im fünften Stock begrüsst den Besucher eine Heerschar an Zügelkisten. Säuberlich gestapelt und bereit für den Abtransport.

Josef und Trudi Baumgartner wohnen seit fast 50 Jahren in diesem Hochhaus, dem einzigen des visionären finnischen Architekten Alvar Aalto in der Schweiz. In der geräumigen 5-Zimmer-Wohnung hat sich einiges angesammelt, und das Ehepaar ist gerade ziemlich damit beschäftigt, zu entscheiden, was mitkommt und was ausgemistet wird: Geschirr, Möbel, Gläser und vor allem: viele Bücher.

«Ich dachte, das Zügeln machen wir so nebenbei, das haben wir etwas unterschätzt», sagt der 77-jährige Josef Baumgartner. Kein Wunder: «Wir sind es uns halt nicht gewöhnt, wir haben bisher nur einmal gezügelt in unserem Leben.» Kommt hinzu, dass ihn gerade ein Bandscheibenvorfall plagt, an Kistenschleppen ist nicht zu denken. Zum Glück helfen Verwandte und Kollegen aus der Musikgruppe mit. «Ich kann nicht mal gerade aufstehen, das ist blöd», klagt er, nimmt’s aber mit Humor. «Zu zweit wär’s ja eh langweilig», sagt die 79-jährige Trudi Baumgartner und lacht.

Abschied vom Seeblick

Vor einem Jahr haben wir das Ehepaar besucht, als es erfahren hat, dass es ihre geliebte Wohnung mit Panoramablick über See und Berge bald verlassen muss (zentralplus berichtete).

Nun rückt der Zügeltermin näher. Am 19. Juni fährt der Zügelwagen vor. Bis Ende Juli müssen sämtliche 84 Mieter draussen sein, auch die vielen Zwischenmieter, die hier eine spontane Bleibe gefunden haben. Das Hochhaus wird danach ausgehöhlt und komplett saniert.

Das Leben in luftiger Höhe ist begehrt: Aalto-Hochhaus im Schönbühl.

Das Leben in luftiger Höhe ist begehrt: Aalto-Hochhaus im Schönbühl.

(Bild: jwy)

Ab in den Neubau

Für die Baumgartners beginnt danach ein neues Kapitel auf der anderen Seite des Biregghügels im Boomquartier Luzern Süd. Sie beziehen eine 4,5-Zimmer-Wohnung im Schweighof in Kriens. Andere Mieter tun es ihnen gleich. «Es ist eine schöne Wohnung mit hohen Räumen», sagt er. Er holt den Plan hervor, in dem schon eingezeichnet ist, was wohin kommt – inklusive dem riesigen Büchergestell, das schon leergeräumt ist.

Sie wären gerne im Quartier geblieben, fanden aber nichts Passendes. Entweder war es zu teuer, zu wenig gut erschlossen oder der Grundriss habe nicht zugesagt. «Also haben wir weiter herumgeschaut und sind dann auf den Schweighof gekommen», sagt Josef Baumgartner. Statt aufs Seebecken blicken sie künftig vom vierten Stock auf Pilatus, Rigi und Bürgenstock.

Sie schauen nach vorn

Er ist Architekt, sie hat 10 Jahre lang für die Verwaltung des Gebäudes gearbeitet – beide haben nicht nur lange hier gewohnt, sondern eine spezielle Beziehung zu diesem Hochhaus. Gerne präsentieren sie die Räume, die Aussicht und erzählen über ihr Zuhause.

«Die meisten sind einfach so verschwunden.»

Josef Baumgartner, Hochhausbewohner

Sie hatten jetzt über ein Jahr Zeit, den Auszug vorzubereiten. Statt mit Wehmut nehmen sie es mit Humor und blicken nach vorn: «Ich freue mich und fertig», sagt sie. Und er ergänzt: «Nachtrauern bringt ja nichts, es ist, wie es ist.» Einzig, dass sie künftig eine Krienser Adresse haben, daran werden sie sich gewöhnen müssen. Die Baumgartners sind stolze Stadtluzerner Bürger.

Gute Durchmischung

Statt 150 haben sie künftig noch 115 Quadratmeter Platz. «Hier hatten wir so viel Platz, wir haben uns endlos vertan», sagt sie. Dafür erfüllt der Neubau die neusten Standards: schönes Parkett, Loggia, Fenster bis an den Boden, offene Küche. «Die Wohnküche gefällt mir nicht so, aber das ist halt heute so», sagt er.

Seit Frühling wurden im Schweighof die ersten Wohnungen vermietet. Bis 2025 soll die Überbauung mit Wohnen, Gewerbe und Dienstleistungen bis zu 1500 Personen anziehen – 600 Mietwohnungen entstehen.

Die Bücher sind schon aussortiert und verpackt, die Wohnung leert sich.

Die Bücher sind schon aussortiert und verpackt, die Wohnung leert sich.

(Bild: jwy)

Auf das neue, entstehende Quartier freuen sie sich: «Das gibt eine total neue Stadt, das ist doch spannend», sagt er. Und sie sind gern weiterhin an einem Ort, wo etwas geschieht, wo es «tschäderet»: «Wir müssen nicht an einen Ort, wo es totenstill ist», sagt Trudi Baumgartner. Und sie hoffen auf eine gute Durchmischung, so, wie es anfangs auch im Hochhaus der Fall war.

Alle Mieter müssen raus

Das 50 Meter hohe Hochhaus des finnischen Architekten Alvar Aalto wurde zwischen 1966 und 1968 gebaut. Ab Sommer wird das Haus bis 2020 für über 20 Millionen Franken innen und aussen komplett saniert. Das Haus gehört der Luzerner Familie von Schumacher.

Wichtig ist ihnen auch, dass das Gebiet gut mit dem ÖV erschlossen ist. Die S-Bahn-Haltestelle Mattenhof ist nah, zudem hält der Bus Nummer 14 direkt vor ihrem Quartier. «Der 14er fährt direkt in die Klinik Hirslanden», sagt sie trocken und sie lachen. «Das ist dann vielleicht einmal von Vorteil», so Josef Baumgartner.

Kein Abschied

Gab’s unter den vielen langjährigen Mietern Abschiedsszenen? Sie schütteln den Kopf, und man merkt die Enttäuschung etwas an. Denn viele Mieter waren von Anfang an da, man kannte sich im vertikalen Dorf. «Es war schon komisch, ich habe mir das anders vorgestellt», sagt er. Dass man an die Tür komme und sich verabschiede.

Trudi und Josef Baumgartner vor ihrer imposanten Bücherwand – von einigen werden sie sich trennen müssen.

Zum Vergleich: So gemütlich hatten es Trudi und Josef Baumgartner zuvor (Aufnahme von 2017).

(Bild: jwy)

Die festen Mieter sind fast alle schon weg, jetzt sind noch Zwischenmieter da. «Die meisten sind einfach so verschwunden», erzählt er und zuckt mit den Schultern. «Jetzt sind sie halt weg.» Und Trudi Baumgartner erklärt es so: «Es ist vielleicht wie bei einer Beerdigung: wenn man nicht weiss, ob man die Hand schütteln soll oder nicht.»

Einige Mieter werden nach der Renovation in zwei Jahren wieder ins Hochhaus zurückkehren, für die Baumgartners ist das nach jetzigem Stand aber kein Thema – sie wollen nicht nochmals zügeln. Zudem sei auch noch unklar, was die Wohnungen danach kosten werden.

Ganz abschliessen werden sie mit dem Hochhaus nie – und weiterhin verfolgen, was hier geschieht. «Wenn die Mieten attraktiv bleiben, wer weiss …», sagt er.

Hierhin zieht es das Ehepaar Baumgartner: das neue Quartier Schweighof.

Hierhin zieht es das Ehepaar Baumgartner: das neue Quartier Schweighof.

(Bild: zvg)

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