Luzerns oberste Konkursbeamtin blickt zurück

Vier Jahrzehnte lang war sie eine «der Bösen»

Isabelle Bachmann schliesst die Tür zum Konkursamt zum letzten Mal – und sie tut es gerne.

(Bild: jal)

Wer in der Stadt Luzern pleite ging, kam nicht an ihr vorbei: 39 Jahre lang arbeitete Isabelle Bachmann beim Konkursamt Luzern, davon fast 30 Jahre lang als Leiterin. Ein Gespräch über Geld, Scham, Drecksarbeit und Drohungen.

Das Konkursamt dürften die meisten Luzerner nicht kennen – glücklicherweise. Der Gang dorthin ist ein schwerer, bedeutet er doch, dass man pleite ist. In all diese Geschichten und viele der Gesichter blickte Isabelle Bachmann.

Die Luzernerin hat fast 40 Jahre lang die Konkurse in der Stadt Luzern abgewickelt. Seit 1979 arbeitete sie auf dem Konkursamt, seit 1989 leitete sie die Stelle. Nun, Ende März, ist sie nach 39 Jahren in Rente gegangen.

zentralplus: Konkursbeamtin – das klingt sehr trocken. Was hat Sie 39 Jahre in diesem Beruf gehalten?

Isabelle Bachmann: Der Beruf der Konkursbeamtin ist unglaublich abwechslungsreich. Man hat mit vielen Branchen, Fällen und Menschen zu tun. Zudem ist man keineswegs nur im Büro. Im Gegenteil, ich war praktisch die Hälfte meiner Arbeitszeit unterwegs. Besonders am Anfang eines Verfahrens ist es enorm wichtig, dass man schnell handelt.

zentralplus: Wieso?

Bachmann: Wir müssen vor Ort sein, bevor der Schuldner die Aktiven der Konkursmasse entzieht. Deshalb wird uns das Dekret vom Gericht jeweils nicht geschickt, sondern direkt vorbeigebracht, weil der Postweg zu lange dauert. Dann muss man sofort los – auch wenn es wie aus Kübeln regnet.

zentralplus: Das klingt nach abenteuerlichen Arbeitstagen. Wie läuft eine Konkurseröffnung in der Regel ab?

Bachmann: Am Morgen wusste man jeweils nicht, was der Tag bringt. Kam ein Dekret bei uns an, haben wir vor Ort neue Schlösser montieren lassen, damit die Verantwortlichen nicht mehr ins Gebäude konnten. In einem zweiten Schritt ging es darum, die Aktiven zu verkaufen, um noch möglichst viel Geld zu generieren. Der Erlös wurde dann unter die Gläubiger verteilt. Vielmals erhielten sie nur noch einen Verlustschein.

«Es war auch sehr viel Drecksarbeit dabei. Da überlegt man sich morgens gut, was man anzieht.»

zentralplus: Was trafen Sie vor Ort in der Regel an?

Bachmann: Man wusste zwar, um welche Branche es sich handelt, also ob über ein Restaurant, ein Baugeschäft oder einen Schuhladen der Konkurs eröffnet wurde. Aber abgesehen davon war vieles eine Überraschung. Wir wussten zum Beispiel auch nicht, wie viel Personal noch beschäftigt war.

zentralplus: Können Sie das konkret beschreiben?

Bachmann: Wir kamen zum Beispiel in ein Restaurant und haben den Gästen gesagt: «Ihr könnt jetzt noch zahlen und müsst dann gehen.» Anschliessend mussten wir aufräumen: Die Küche putzen, Abfall entsorgen, Aschenbecher leeren, Kühlschränke und Tiefkühler räumen – es war also auch sehr viel Drecksarbeit. Da überlegt man sich morgens gut, was man anzieht (lacht).

Vom KV zur Chefin – auf der Harley zum Nordkap

Isabelle Bachmann hatte am 31. März 2018 ihren letzten Arbeitstag beim Konkursamt Luzern. Die 64-Jährige startete ihre berufliche Karriere mit einer kaufmännischen Lehre bei einem Sachwalter. Später absolvierte sie selber die Sachwalterprüfung. 1979 fing sie beim Konkursamt Luzern an, 1989 wurde sie zur Vorsteherin gewählt. Absolvierte das Amt damals noch 89 Konkurse, waren es im Spitzenjahr 2015 über 200 Verfahren.

Nun schlägt sie ein neues Kapitel auf. Im Sommer fährt sie mit ihrem Mann auf der gemeinsamen Harley zum Nordkap.

Das Kantonsgericht hat den Juristen Patrick Müggler zu ihrem Nachfolger gewählt. Der Jurist war zuvor als stellvertretender Konkursbeamter beim Konkursamt Schaffhausen tätig.

zentralplus: Sie überbrachten in der Regel schlechte Neuigkeiten. Welche Rolle spielte psychologisches Geschick in Ihrem Beruf?

Bachmann: Sicher braucht es psychologisches Geschick, mit doch oft schwierigen Kunden umzugehen. Das Personal zum Beispiel war oft sehr brüskiert. Die Angestellten wissen in der Regel nicht, dass das Geschäft schlecht läuft oder der Chef Probleme hat. Wenn man vielleicht noch die Finken einpacken und innert zehn Minuten das Büro verlassen muss, ist das schon hart. Vor allem für Familienväter und -mütter, oder in einer Branche, wo man nicht schon am nächsten Tag wieder einen Job hat.

zentralplus: Hat man das manchmal auch an Ihnen ausgelassen?

Bachmann: Wir waren immer die Bösen, das ist klar. Aber gerade dem Personal konnten wir jeweils schnell vermitteln, dass wir ihnen helfen können, beispielsweise beim Ausfüllen von Formularen für die Arbeitslosenkasse.

zentralplus: Ans Existenzielle geht es auch den Geschäftsinhabern, die konkurs gehen. Wie reagieren die?

Bachmann: Die müssen jeweils zur Einvernahme vorbeikommen. Denn für unsere Arbeit brauchen wir die ganzen Geschäftsakten, die Buchhaltung, die Debitoren und Kreditoren. Da kam manchmal ein riesiger Berg an Akten zusammen, sodass man sich im Büro kaum mehr bewegen konnte. Wer trotz Vorladung nicht erschien, und das waren einige, wurde von einem Polizisten morgens um 5 Uhr zuhause abgeholt, was die Laune auch nicht gerade gehoben hat (schmunzelt).

zentralplus: Inwiefern ist Konkursbeamtin ein gefährlicher Job?

Bachmann: Wir mussten mehrmals Polizeihilfe in Anspruch nehmen. Wenn wir bedroht wurden oder ein alleiniges Ausrücken gefährlich gewesen wäre. Aber das ist durchaus üblich, das kennen alle Konkursämter. Meistens gibt es im Vorfeld Anzeichen dafür. Wenn die Betroffenen bereits im Voraus am Telefon Drohungen aussprachen, zum Beispiel.

Blickt freudig der Zukunft entgegen, die unter anderem mehr Zeit verspricht für ihren Garten.

Blickt freudig der Zukunft entgegen, die mehr Freizeit verspricht, zum Beispiel für den Garten.

(Bild: jal)

zentralplus: Konkursgehen – dem haftet das Stigma des Scheiterns an.

Bachmann: Scheitern ist ein Grund, es gibt aber auch schwierige wirtschaftliche Situationen, welche ein Geschäft in den Konkurs führen können.

zentralplus: Besonders in der Baubranche ist die Zahl der Konkurse hoch. Doch wer pleite geht, kann am nächsten Tag eine neue Firma gründen. Ein Fehlanreiz?

Bachmann: Es ist gesetzlich nicht verboten, sofort wieder eine neue Firma zu gründen. Oft schiesst eine Drittperson die nötigen 20’000 Franken für eine GmbH ein und holt das Geld sofort nach der Gründung wieder ab. So wird man die Schulden der Vergangenheit los, hat aber eigentlich von Anfang an kein Kapital zur Verfügung – das sind schlechte Voraussetzungen, dass die neugegründete Firma florieren kann.

zentralplus: Wer ist besonders gefährdet, um in die Schuldenfalle zu tappen?

Bachmann: Sparen ist heute nicht mehr modern. Sicher sind nicht alle jungen Menschen so, aber gerade bei jungen Männern erlebe ich oft, dass sie sich Statussymbole leisten, die sie eigentlich nicht vermögen. Und heute kommt man einfacher an Geld, etwa durch Leasings, Konsumkredite oder Darlehen. Wenn dann etwas schiefgeht, kommt man so schnell nicht wieder raus. Das ist wie ein Teufelskreis. Frauen sind tendenziell vorsichtiger.

zentralplus: Sie waren auch nahe dran, als der FCL 2001/2002 massive finanzielle Probleme hatte. War das ein spezieller Fall, weil mit dem Fussball und dem Verein viele Emotionen verbunden sind?

Bachmann: Aufgrund des Amtsgeheimnisses darf ich zu einzelnen Fällen keine Auskunft geben, auch nicht zu jenem vom FCL.

zentralplus: Sie waren Chefin zu einer Zeit, als Frauen in leitenden Positionen noch seltener waren als heute. Wie war das?

Bachmann: Es kam ein paar Mal vor, dass ich Männern am Telefon die Situation erklärte, und es plötzlich hiess: «Fräulein, jetzt reicht es mir, ich will mit dem Chef sprechen.» Dann musste ich jeweils sagen: «Dann sind Sie goldrichtig – ich bin die Chefin.» Umgekehrt, etwa bei Frauen aus dem horizontalen Gewerbe, war es zum Teil ein grosser Vorteil, eine Frau zu sein.

«Manchmal kam mir mitten in der Nacht etwas in den Sinn.»

zentralplus: Der Kanton spart an allen Ecken und Enden. Wie haben Sie den finanziellen Druck gespürt?

Bachmann: Lassen Sie mich das mit einem Vergleich illustrieren: 1989 hatten wir fast doppelt so viel Personal, aber nur halb so viele Konkurse. Wir waren zuletzt drei Vollzeitangestellte, dazu kam ein 30-Prozent-Pensum für die Buchhaltung. Wir bräuchten mindestens eine Stelle mehr. Zurzeit hat man allerdings kaum eine Chance, beim Kanton mehr Personal zu beantragen. Deswegen waren wir immer im Stress. Wenn gleichzeitig 150 Fälle hängig sind, muss man sehr darauf achten, nirgends eine Frist zu verpassen. Mir kam manchmal mitten in der Nacht etwas in den Sinn, dann bin ich aufgestanden und habe es mir notiert.

zentralplus: Kam nie der Gedanke: Jetzt ist Schluss, das tue ich mir nicht mehr an?

Bachmann: Nein, ich habe den Rhythmus zwischen Arbeit und Freizeit trotz allem gefunden. Und ich hatte ein supertolles Team. Alle haben am selben Strick gezogen, nur dadurch konnten wir so effizient arbeiten.

zentralplus: Gehen Sie persönlich anders mit Geld um, nachdem Sie so viel mit Schulden zu tun hatten?

Bachmann: (lacht) Nein, ich war immer der sparsame Typ. Ich habe noch nie ein Leasing abgeschlossen oder etwas gekauft, das ich nicht sofort bezahlen konnte. Aber das ist meine Erziehung, das kommt nicht durch die Arbeit.

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