Nach dem Knatsch: Warum Luzerner Hausarzt werden

«Hausärzte sind nicht zweitklassige Ärzte»

«Man muss als Hausärztin auch seine eigenen Grenzen sehen», meint die Krienser Hausärztin Claudia Erne.

(Bild: zvg)

Das Luzerner Kantonsspital stand letzte Woche arg in der Kritik. Grund war das Schreiben von 28 Hausärzten, die sich vom Gesundheitszentrum Mattenhof konkurrenziert fühlen. So verliere der Hausarztberuf an Attraktivität, lautet der Vorwurf. Junge und angehende Ärzte sehen das anders.

Das geplante Gesundheitszentrum Mattenhof erzürnte letzte Woche die Gemüter vieler Hausärzte aus den Gemeinden Kriens und Horw.

In einem Schreiben, das alle dort praktizierenden 28 Hausärzte unterzeichnet haben, wurde kritisiert, dass der Beruf eines Hausarztes wegen dem Vorpreschen des Luzerner Kantonsspitals ins ambulante Geschäft an Attraktivität verliere – und sich der Hausärztemangel in den ansässigen Praxen verschlimmern würde (zentralplus berichtete). Das Luzerner Kantonsspital hat nun das Gespräch mit den Ärzten und den Austausch mit der kantonalen Ärztegesellschaft aufgegleist, sagt Andreas Meyerhans, Leiter Unternehmenskommunikation.

Hat sich die Situation nach dem grossen Knatsch bereits ein wenig beruhigt? Weshalb sind junge und angehende Ärzte vom Hausarztberuf angetan?

Von vielen Vorurteilen geprägt

Denkt man an das Berufsbild eines Hausarztes, ist so manch einer von Vorurteilen und Klischees geleitet. Ein Hausarzt stellt den ganzen Tag nur Aspirin-Rezepte aus, kümmert sich vorwiegend um ältere Patienten mit Bluthochdruck. Der Alltag ist von wenig Action umgeben.

«Man muss als Hausärztin jedoch auch seine eigenen Grenzen sehen und respektieren.»

Claudia Erne, Hausärztin in Kriens

Claudia Erne will nichts von diesen Klischees hören. Sie ist eine der 28 Hausärzte, die das Schreiben an Spitaldirektor Benno Fuchs und Gesundheitsdirektor Guido Graf mitunterzeichnet hat. «Jeder Arzt, der jemals in einer Hausarztpraxis mitgearbeitet hat, sieht danach die Arbeit als Hausarzt mit anderen Augen.» Man geniesse in selbstständiger Praxistätigkeit viele Freiheiten: «Man muss als Hausärztin jedoch auch seine eigenen Grenzen sehen und respektieren, knifflige Fälle mit Fachärzten diskutieren und den richtigen Zeitpunkt für eine Weiterweisung an Spezialisten nicht verpassen.»

Organisatorische Herausforderungen und viel Papierkram gehören zum Alltag dazu: «Es ist nicht immer einfach, allen Anforderungen gerecht zu werden. Die Erwartungshaltung der Patienten und der Zeitdruck sind gross, die Arbeitsbelastung intensiv, der Kostendruck deutlich spürbar und die Bürokratie nimmt zu», so Erne.

Studenten sind vom Beruf angetan

Die Luzernerin Sarina Meier studiert im achten Semester an der Universität Zürich Medizin. Dass bei vielen ihrer Kommilitonen Vorurteile, Status, Prestige und Geld zu einem Abwerten des Berufes Hausarzt führen, kann sie sich gut vorstellen. Hausärzte verdienen deutlich schlechter als Spezialisten. Der Bruttolohn eines Hausarztes beträgt bis zu zehn Jahren Berufserfahrung durchschnittlich 170’000 Franken, der eines Kardiologen 700’000 Franken.

«Diese Grenzen sind sicher ein Faktor, der für viele meiner Kommilitonen eher abschreckend ist.»

Sarina Meier, studiert im achten Semester Medizin

Die 25-jährige Sarina Meier kann sich gut vorstellen, später Hausärztin zu werden. Vom breiten Allgemeinwissen, das sich ein Hausarzt aneignen muss, ist Meier fasziniert. Doch auch sie erwähnt die Grenzen eines Allgemeinarztes: «Diese Grenzen sind sicher ein Faktor, der für viele meiner Kommilitonen eher abschreckend ist. Kolleginnen von mir können sich nicht vorstellen, bei einem Patienten nicht mehr weiterzukommen. Sie möchten sich später lieber auf eine Sache spezialisieren, als von allem nur ‹ein wenig› zu wissen.»

Auch der 26-jährige Philipp Widmer zieht den Hausarztberuf in Betracht. Er befindet sich im zehnten Semester des Medizinstudiums an der Uni Zürich. Schon vorher habe er als Ziel gehabt, Hausarzt zu werden. Jedoch habe er während des Studiums auch spannende Einblicke in andere Fachrichtungen erhalten. «Nichtsdestotrotz ist für mich schon lange klar, dass ich vermutlich nicht mein ganzes Leben im Spital arbeiten möchte.»

«Hausärzte sind nicht zweitklassige Ärzte, die es nicht ins Spital geschafft hätten.»

Philipp Widmer, studiert im zehnten Semester Medizin

Widmer spricht den Aspekt an, dass einige Patienten an der Kompetenz ihres Hausarztes zweifeln und eine weitere Konsultation aufrufen. «Es ist schade, dass das Prestige der Hausärzte unter den Ärzten eigentlich zweitklassig ist und das Prestige gegenüber der Bevölkerung stark abgenommen hat. Hausärzte sind nicht zweitklassige Ärzte, die es nicht ins Spital geschafft hätten», so Widmer.

Für beide Studenten scheint das ambulante Spitalzentrum wie das Mattenhof kein Grund zu sein, von ihrem Berufswunsch abzukommen. Widmer stellt jedoch klar, dass das Spital bei seinen Kernaufgaben bleiben sollte, da die Patienten bei einem wachsenden Angebot auch schlechter differenzieren können, wer der richtige Ansprechpartner sei.

Vorurteile müssen abgebaut werden

«Wir sind engagiert, angehende Hausärzte auch wirklich für uns gewinnen zu können», sagt Philippe Luchsinger. Er ist der Präsident beim Verband «Haus- und Kinderärzte Schweiz». Bereits im Studium werden stärkere Anreize für die Allgemeinmedizin gesetzt, um Vorurteile abzubauen. Besonders das Institut für Hausarztmedizin nimmt sich dieser Herausforderung an. 

Davon merken im Alltag aber nicht alle etwas. Die Medizinstudentin Sarina Meier erklärt, dass während des Studiums nicht viel für die Hausarztmedizin gemacht wurde – im Bachelor durfte sie nur gerade während vier Tagen in eine Hausarztpraxis einblicken. «Die Hausärzte, bei denen ich ein Praktikum machte, schwärmten über ihren Beruf und machten so Werbung.» Die Universität habe hingegen nicht viel dafür getan.

Der schweizweite Hausärztemangel

Hausärzte sind gesucht und rar – der Mangel wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen. Gemäss Schätzungen des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums ist damit zu rechnen, dass im Jahr 2030 bis zu 40 Prozent der Konsultationen in der ambulanten Grundversorgung nicht mehr abgedeckt werden können, sofern nun keine entsprechenden Massnahmen getroffen werden. Für die nächsten zehn Jahre wird prognostiziert, dass 60 Prozent aller Hausärzte in Pension gehen.

Gesellschaft braucht auch in Zukunft einen Hausarzt

«Der Hausarztmedizin ist es zu verdanken, dass die Kosten im Gesundheitswesen einigermassen auf dem Boden gehalten werden können», sagt Claudia Erne, die zusammen mit einer Kollegin eine Gemeinschaftspraxis in Kriens führt. In den meisten Fällen könne ein Hausarzt die Patienten selbst beraten und behandeln, da er ein fundiertes Allgemeinwissen und zumeist langjährige Kenntnisse seiner Patienten habe, so Erne. «Hausärzte decken wohl den grössten Teil aller ambulanten Patientenbehandlungen ab, verursachen jedoch viel weniger Kosten als Spitäler und Spezialisten.»

Und genau das sei der springende Punkt, weshalb die Gesellschaft auch in Zukunft auf ihre Hausärzte angewiesen sei, so Erne. Ambulante Spitalzentren wie das Gesundheitszentrum Mattenhof seien zwar eine Konkurrenz für Hausärzte – jedoch verdrängten sie den Beruf nicht.

Wertschätzung der Patienten

Claudia Erne würde sich nach wie vor für ihren Beruf entscheiden. Sie hat den Beruf schätzen und lieben gelernt. Die Vielseitigkeit sei der Reiz und die Herausforderung, jeder Patient ein neuer Fall. Insbesondere schätzt Erne den persönlichen Kontakt zu ihren Patienten sowie das breite und abwechslungsreiche Tätigkeitsfeld. «Wir sehen oft ganzheitliche Zusammenhänge und sind nicht nur fokussiert auf ein einzelnes Problem eines Patienten.»

Es sei – trotz Herausforderungen – umso schöner, wenn sich ein zufriedener Patient für ihren Einsatz bedanke. «Ich wünschte mir insgesamt mehr Verständnis für den Hausarztberuf sowie mehr Unterstützung und Wertschätzung von Politik und Gesellschaft. Denn die Hausarztmedizin ist wichtig und wertvoll.»

Dem schliesst sich auch Philippe Luchsinger an. «Als Hausarzt begleitet und betreut man seine Patienten oft jahrzehntelang. Ich kontrolliere heute die Babys von den Eltern, die ich selbst schon als Babys untersucht habe.»

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