Luzernerin Zippora Marti lebt den Minimalismus vor

Seit dem 1. Januar trägt sie das gleiche Kleid

«Ich will nicht in Lumpen herumlaufen»: Zippora Marti und ihr eines Kleid.

(Bild: zvg)

Zippora Marti hat ihr Leben radikal vereinfacht: Jeden Morgen streift sie das gleiche Kleid über, ein Jahr lang. Mit diesem Projekt sendet die 25-Jährige eine klare Botschaft aus. Und: Sie verpasst seither morgens keinen Bus mehr.

Sie ist jung, legt Wert auf ihr Äusseres und dokumentiert ihr Leben auf Instagram. So weit, so normal. Das Einzigartige: Zippora Marti trägt immer das gleiche schwarze Kleid. Ein Jahr lang, seit dem 1. Januar dieses Jahres. Jeden Tag stellt sie ein Foto davon online und nennt das «One – The Project».

Die Idee ist simpel, erregt Aufsehen und regt Fragen an. Warum? Wie genau? Und wann wäscht sie es? (Kein Problem: Am Abend waschen, am Morgen wieder anziehen.)

Ihr Projekt ist die radikale Antithese zur Wegwerfgesellschaft. Das Gegenteil der Multioptionsgesellschaft – und damit trifft Zippora Marti einen Nerv.

Wir treffen die 25-Jährige zu einer Tasse Tee. Ohne Umschweife fällt das Gespräch auf Konsum, Verzicht und eine nachhaltige Lebensweise. Man merkt: Zippora Marti sieht ihr Projekt nicht als Gag, sondern als Teil eines Lebensstils.

zentralplus: Wie geht es Ihnen nach fast 100 Tagen im gleichen Kleid?

Zippora Marti: Ich habe am Morgen viel weniger Stress. Die Entscheidung, was ich anziehe, ist viel entspannter. Ich musste seither nie mehr auf den Bus rennen und ich habe mehr Zeit für das, was wirklich wichtig ist, das geniesse ich. Ich bin voll angekommen im Projekt.

zentralplus: Sie haben aber trotzdem noch andere Kleider im Schrank?

Marti: Ja, viele Leute meinen, dass ich immer genau das gleiche Outfit trage, aber das geht ja schon mal nicht wegen den wechselnden Temperaturen. Ich kombiniere das Kleid einfach mit ausgewählten Stücken.

«Jetzt hat’s grad Flecken.»

zentralplus: Ist das denn noch konsequent?

Marti: Ich finde schon, das Kleid ist das Centrepiece. Rundherum kombiniere ich es mit anderen Teilen, die alle das Kleid ergänzen müssen. Da kann ich nicht querbeet kombinieren, also reduziert sich die Anzahl Stücke automatisch.

zentralplus: Hält das Kleid eigentlich oder gab’s schon Flickaktionen?

Marti: Jetzt hat’s grad Flecken (lacht), ich wasche es nicht jeden Tag. Flicken musste ich es nicht, aber ich merke, dass der Stoff schneller zerknittert als zu Beginn. Aber das ist ok, ich bügle es regelmässig.

zentralplus: Woher haben Sie das Kleid, es ist ja nicht ab Stange?

Marti: Ich wusste schnell, dass ich nichts Passendes ab der Stange finden würde, und entschied mich dann für eine Zusammenarbeit mit einem Label. Es hat sich die Möglichkeit mit Etris, einem jungen Label aus Bern, ergeben. Das Kleid ist genau so, wie ich es wollte, und der Stoff wurde in Zürich hergestellt.

Die meisten Leute bemerken gar nicht, dass Sippora Marti. immer das gleiche Kleid trägt.

Die meisten Leute bemerken gar nicht, dass Zippora Marti immer das gleiche Kleid trägt.

(Bild: zvg)

zentralplus: Die Anforderungen an ein Kleid, das Sie jeden Tag tragen können, müssen gross sein.

Marti: Es war klar, dass es schwarz sein muss, weil es zu mir passt. Es durfte keine langen Ärmel haben und keinen extravaganten Ausschnitt. Die Länge würde ich jetzt jedoch ändern. Es ist recht kurz, im Winter mit Leggins ist das perfekt, aber im Sommer etwas gewagt (lacht).

zentralplus: Aber da müssen Sie jetzt durch?

Marti: Ja, und ich suche nach Lösungen. Ich kombiniere das Kleid mit Röckchen oder einem Jupe. Zudem hat das kurze Kleid den Vorteil, dass ich es «yhosne» kann, kennt man dieses Wort in Luzern? Es also in der Hose tragen wie ein T-Shirt.

Auf Instagram gibt’s jeden Tag ein Foto:


 

zentralplus: Wie sind die Reaktionen aus Ihrem Umfeld und von Freunden?

Marti: So und so. Wenn sie das erste Mal davon hören, verstehen die meisten es nicht genau. Aber wenn ich’s erkläre und sage, wie und warum ich das mache, sind alle Reaktionen sehr positiv bis hin zu: «Ah, das sollte ich auch mal machen.»

zentralplus: Erregen Sie viel Aufmerksamkeit, wenn Sie Ihr Projekt erwähnen?

Marti: Die Leute fragen danach, aber ich erwähne es nicht von mir aus, meist tun das andere. Ich merke aber, dass es die Leute beschäftigt und sie stellen Fragen, aber die sind dann auch recht schnell beantwortet. Und interessanterweise hat bis jetzt noch niemand von sich aus festgestellt, dass ich jeden Tag das gleiche Kleid trage.

Zur Person

Die 25-jährige Bernerin Zippora Marti lebt in Luzern und liebt nach eigenen Angaben «die Schönheit des Lebens». Neben Ökologie und Fairness achtet sie genauso auf Ästhetik, wie sie auf ihrem Blog schreibt. Die gelernte Schneiderin arbeitet als Schnitttechnikerin bei einer Bekleidungsfirma. «One – The Project» hat ein Vorbild: «The Uniform Project» wurde von einer New Yorkerin 2009 ins Leben gerufen, sie hat ebenfalls ein Jahr lang ein Kleid getragen.

zentralplus: Auch nicht Leute, die Sie regelmässig sehen?

Marti: Wenn sie’s wissen, fragen sie nach und es interessiert sie. Aber ohne vom Projekt zu wissen, spricht mich niemand auf das Kleid an. Vielleicht bemerken sie es auch gar nicht. In New York hatte eine Frau für ein Projekt von Montag bis Freitag immer haargenau das Gleiche an: schwarze Hosen und weisse Blusen. Niemand auf der Redaktion hat etwas bemerkt, bis es in den Medien kam. Dabei denken Frauen doch immer, dass sie genau deswegen ihre Kleidung nicht mehrere Tage tragen können.

«Ich will nicht missionieren, sondern vorleben.»

zentralplus: Was wollen Sie erreichen: wachrütteln, zum Nachdenken anregen, gar missionieren?

Marti: Ich will nicht missionieren, sondern vorleben. Es ist wichtig, dass wir zu unseren Ressourcen und zu unserem Leben auf der Welt Sorge tragen. Das ist meine Message. Ich will zeigen, dass es mit kleinen Schritten geht, man muss kein Superheld sein. Klar rutscht mir mal ein Kommentar raus, dann kann es vielleicht missionarisch wirken, die Leute reagieren sehr sensibel auf dieses Thema.

zentralplus: Ihre Message ist vereinfacht: Es geht auch mit weniger?

Marti: Ja klar. Ich habe vier Stichworte: «Fairness, Freedom, Minimalism, Simplicity.» Das ist mein Leitfaden. Es geht mir nicht nur ums Reduzieren, sondern auch ums Vereinfachen. Ich reduziere mit dem Kleid nicht nur, was ich habe, sondern vereinfache auch die Möglichkeiten und die Komplexität meines Lebens.

Tag 1 ihres Projekts:


 

zentralplus: Dumme Sprüche haben Sie auch schon gehört?

Marti: Live noch nie, es gab ein paar negative Kommentare im Internet. Es kommt drauf an, wie ich es ausdrücke: Wenn ich sage «365 Tage und ein Kleid», wirkt das erdrückend. Die Leute denken vielleicht, ich wasche es nie, ich stinke und hätte verfilzte Haare. Wenn ich aber sage, ich trage ein Jahr lang das gleiche Kleid, tönt das irgendwie schon anders.

«Um mich schön zu fühlen, brauche ich nicht jeden Tag etwas Neues.»

zentralplus: Sie legen also Wert auf Ihr Äusseres?

Marti: Ja, das ist mir wichtig. Ich will nicht in Lumpen herumlaufen, ich will mich schön fühlen und das tue ich meist auch. Doch dafür brauche ich nicht jeden Tag etwas Neues. Ich finde, ich habe meinen Stil gefunden und ich weiss, wie ich das Kleid kombinieren kann.

zentralplus: Haben Sie nie Lust zu shoppen?

Marti: Vor zwei Jahren habe ich entschieden, meinen Konsum zu reduzieren und nur noch faire und nachhaltige Kleider zu kaufen, ergänzt durch Ware aus zweiter Hand. Das Projekt ist ein Teil davon, ich nenne es auch den «Marsch der kleinen Schritte». Seit ich mich mehr informiere, habe ich gar keine Lust mehr, in Fast-Fashion-Ketten zu gehen.

zentralplus: Letzte Frage: Auf welches Kleidungsstück freuen Sie sich, das Sie nächstes Jahr wieder tragen können?

Marti: Ich liebe Jumpsuits im Sommer … und ja, ich freue mich schon, diese nächstes Jahr wieder zu tragen. Aber wirklich vermissen tue ich sie nicht.

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