Als Luzern zur Versicherungshauptstadt wurde

Ein Wahrzeichen gegen den Luzerner Minderwertigkeitskomplex

Eine Postkarte Luzerns von 1917 mit dem noch nicht offiziell eröffneten Kuppelgebäude der Suva. Dieses wurde in den Jahren 1914/1915 erbaut.

(Bild: zVg)

Es thront seit 103 Jahren majestätisch über der Stadt Luzern. Die Kuppel des monumentalen Suva-Gebäudes ist heute aus dem Luzerner Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Doch dass sich die Luzerner Silhouette heute so präsentiert, ist keineswegs selbstverständlich. Denn auch weitere interessante Projekte lagen vor.

Das monumentale Kuppelgebäude der Suva auf der Fluhmatt gehört zum Stadtbild Luzerns wie die Kapellbrücke und die Museggmauer. Doch obwohl der Bau vergleichsweise jung erscheint, so ist er keineswegs weniger geschichtsträchtig. 

Denn er ist ein Denkmal für die Schweiz des beginnenden 20. Jahrhunderts. Einer für das Land bis heute wegweisenden Epoche. Für die Stadt Luzern hingegen war das Gebäude auch eine Genugtuung im Kampf um Anerkennung. Am 1. April jähren sich die offizielle Eröffnung des Monuments und die Betriebsaufnahme der Suva zum hundertsten Mal.

Der Knatsch um den Standort

Der Standort  des Gebäudes war in Luzern zu Beginn des letzten Jahrhunderts Gegenstand intensiver Debatten. Es entbrannte ein Kampf zwischen den Quartiervereinen Luzerns über den Zuschlag für das neue Gebäude. Schliesslich setzte sich die Fluhmatt gegen das Vögeligärtli durch. Heute steht dort stattdessen die Zentralbibliothek. Um den «eidgenössischen Brudersinn» zu demonstrieren, wurde der Standort auf einem Felssporn hoch über der Stadt gewählt.

Das Suva-Gebäude thront über der Stadt Luzern.

Das Suva-Gebäude thront über der Stadt Luzern.

(Bild: zvg)

Aber auch wie das Gebäude äusserlich daherkommen sollte, war längst nicht klar. Ursprünglich hatte die Suva eigentlich nicht die Absicht, einen städtebaulichen Akzent zu setzen. Man war «der Meinung, dass ein der Aufgabe und Zweckbestimmung entsprechendes, aber nicht luxuriöses oder palastähnliches Gebäude» genüge.

Doch als das Projekt immer mehr zu reifen begann, erkannte man die einmalige Möglichkeit, einen das Stadtbild prägenden Monumentalbau zu errichten. Schlussendlich beteiligten sich 30 Architekten am prestigeträchtigen Projektwettbewerb. 

Ein «Wahrzeichen» für Luzern

Durchgesetzt hatten sich letztlich die Brüder Otto und Werner Pfister aus Zürich. Der Name des eingereichten Projektes war Programm. Nichts Geringeres als ein «Wahrzeichen» sollte der Hauptsitz der Suva werden.

Die Gebrüder Pfister lehnten die Formensprache an den Stil der monumentalen Bundesbauten in Bern an. Mit einer Kuppel, auf der bis in die Dreissigerjahre noch eine Statue prangte, und einem Verwaltungsratssaal, der sogar das Sitzungszimmer des Bundesrates in Bern überstrahlt. In seiner städtebaulichen Prominenz sollte es das Suva-Gebäude als Bundesanstalt mit der ETH Zürich aufnehmen. Gekostet hatte das Gebäude damals 1,3 Millionen Franken.

So könnte Luzern auch aussehen: Das Projekt «Himmelreich».

So könnte Luzern auch aussehen: Das Projekt «Himmelreich».

(Bild: zVg)

«Front»

Der ebenfalls eingereichte Vorschlag «Front».

(Bild: zVg)

Dass das Luzerner Stadtbild sich heute so präsentiert, ist also keineswegs selbstverständlich. Wie Luzern aussehen würde, hätte sich ein anderes Projekt durchgesetzt, sehen Sie in der Bildergalerie am Ende des Textes.

Luzern blieb lange auf der Strecke

Dass man sich für das kapitolähnliche Gebäude entschied, hatte neben den architektonischen Aspekten allerdings auch einiges mit dem psychischen Empfinden der Luzerner zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu tun.

Luzern fühlte sich gegenüber anderen Städten schmerzlich vernachlässigt, als im Zuge der Schaffung und Ansiedlung neuer Bundesinstitutionen des noch jungen Bundesstaates von 1848 andere Städte Vorrang gegenüber der Leuchtenstadt erhielten.

Denn gerne hätte man beispielsweise die 1855 gegründete ETH oder das 1898 eröffnete Landesmuseum in Luzern gesehen. Mit der Ansiedlung der Suva erhielt Luzern dann endlich die lange ersehnte Genugtuung. «Eine Zierde der Stadt. Ein Denkmal eidgenössischen Brudersinns», war die Reaktion des Luzerner Stadtrates 1914, als die Wahl auf das Kuppelgebäude fiel.

Kriegslazarett statt Büroräume

Doch von der Fertigstellung bis zur Eröffnung des neuen Wahrzeichens vergingen nochmals rund drei Jahre. Europa versank im Chaos des 1. Weltkriegs, weshalb die Eröffnung des Gebäudes und die Betriebsaufnahme der Suva immer wieder hinausgeschoben wurden.

Das Lazarett im Suva-Gebäude von Juli 1916 bis Oktober 1917: Kriegsverletzte im französischen (links) und im deutschen Trakt.

Das Lazarett im Suva-Gebäude von Juli 1916 bis Oktober 1917: Kriegsverletzte im französischen (links) und im deutschen Trakt.

(Bild: zVg)

Das Monument stand in den ersten Jahren nach der Fertigstellung also leer. Doch der spätere Suva-Hauptsitz wurde unverhofft mit Leben erfüllt. Während zwei Jahren wurde das Gebäude zu einem Spital für internierte Kriegsverletzte aus den umliegenden kriegführenden Mächten. Deutsche und französische Soldaten wurden im Lazarett auf der Fluhmatt gleichermassen behandelt.

«Versicherungshauptstadt der Schweiz»

Offiziell eröffnet wurde das Gebäude schliesslich am 1. April 1918, ein halbes Jahr vor Kriegsende. Damit nahm auch die Suva ihre Arbeit auf. Die Gründung einer obligatorischen, vom Arbeitgeber finanzierten Unfallversicherung war 1912 vom Volk beschlossen und die Verfassung geschrieben worden.

Steht dem Sitzungszimmer des Bundesrates in nichts nach: Der Verwaltungsraatssaal in der Kuppel des Gebäudes.

Steht dem Sitzungszimmer des Bundesrates in nichts nach: Der Verwaltungsraatssaal in der Kuppel des Gebäudes kurz vor der Eröffnung 1918.

(Bild: zVg)

Die Suva wurde mit der Durchführung der Versicherung beauftragt. Sie war somit das erste Sozialwerk der Schweiz. Der Verwaltungsrat wurde aus Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und des Bundes, also der späteren Sozialpartner, zusammengestellt. Ein Zeichen der damaligen Zeit.

Bereits ein Jahr vor der Eröffnung des Gebäudes wurde in Luzern zudem das eidgenössische Versicherungsgericht angesiedelt, welches Streitigkeiten im Gebiet des Sozialversicherungsrechts regeln sollte. Bis 2006 beurteilte es Fälle im 1889 erstellten Verwaltungsgebäude der damaligen Gotthardbahngesellschaft am Schweizerhofquai.

Das ehemalige eidgenössische Versicherungsgericht am Luzernerhof. Gebaut wurde das Gebäude von der ehemaligen Gotthardbahn-Gesellschaft.

Das ehemalige eidgenössische Versicherungsgericht am Luzernerhof. Errichtet wurde das Gebäude von der damaligen Gotthardbahn-Gesellschaft.

(Bild: bic)

Mit der Ansiedlung der beiden Institutionen durfte sich Luzern ab sofort voller Stolz «Versicherungshauptstadt der Schweiz» nennen. Das Versicherungsgericht musste seinen selbstständigen Status als Spezialgericht allerdings aufgeben und wurde in die beiden sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts überführt. Die Rechtsprechung findet aber weiterhin in Luzern statt.

Sozialpolitischer Meilenstein

Die Suva markiert einen Meilenstein in der sozialpolitischen Entwicklung und den Umwälzungen in der Schweiz zur Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende. Weitere Höhepunkte erfuhr die Entwicklung unmittelbar nach dem Ende des 1. Weltkriegs und dem Generalstreik von 1918. Not und Armut hatten sich während des Kriegs auf weite Teile der Arbeitnehmerschaft in der Schweiz ausgebreitet.

Um den Frieden und die Ordnung in der Schweiz aufrechtzuerhalten, schienen sozialpolitische Reformen deshalb unumgänglich. So fällt ins Jahr der Eröffnung des Suva-Gebäudes zum Beispiel auch die Einführung der 48-Stunden-Woche, mit welcher die tägliche Arbeitsbelastung auf maximal acht Stunden gesenkt wurde (inklusive Samstag). Weitere wichtige sozialpolitische Meilensteine sollten schon bald folgen. Stolz und majestätisch erinnert der Kuppelbau auf der Fluhmatt heute an diese turbulente Zeit.

So könnte Luzern auch aussehen: die verschiedenen eingereichten Projekte in der Bildergalerie.

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