«Das andere Zug» – Remo Hegglins Besuch in Detroit

Zug Island – eine Reise zum dreckigen Namensvetter in den USA

Nein, wohnlich ist es hier nicht. Dafür hat's womöglich dank der Luftverschmutzung auch keine Mücken mehr.

(Bild: Remo Hegglin)

Zug, das liegt nicht nur am Zugersee. Nein, Zug ist auch eine Insel, die im Detroit River liegt und vor allem eines ist: sehr schmutzig. Der Zuger Kunstschaffende Remo Hegglin hat Zug Island kürzlich besucht. Oder, er hat es zumindest versucht. Denn die Industrieinsel ist für den Normalsterblichen kaum zugänglich.

Zug ist eine Insel. Eine Finanzinsel, ein Briefkastenparadies, ein fruchtbares Eiland für Cryptofirmen. Doch gemeint ist in diesem Fall nicht das unsrige, schweizerische Zug, sondern ein fernes. Zug Island liegt in der Nähe von Detroit und ist alles andere als ein Bijou. Für das Kunstprojekt «Das andere Zug» hat sich der Zuger Remo Hegglin kürzlich auf die Spuren dieser Insel begeben (zentralplus berichtete). Es ist das erste Zug, das Hegglin im Rahmen seines Projektes besucht hat.

Nun ist er zurück, sitzt uns im Café gegenüber, mitgebracht hat er einen leichten Jetlag und ein paar rostige Nägel, die auf dem Tisch liegen. Zwölf Tage verbrachte Hegglin in der Stadt Detroit, um dieses andere Zug kennenzulernen. Auch mit der leisen Hoffnung, die heutige Industrieinsel Zug Island zu besuchen. Dazu kontaktierte der Zuger die betroffenen Firmen, etwa United States Steel und die Stadt Detroit. «In meinen Anfragen schrieb ich relativ nüchtern von meinem Projekt und schickte jeweils das offizielle Schreiben der Zuger Direktion für Bildung für Kultur mit. Leider blieben meine Anfragen allesamt unbeantwortet. Somit konnte ich Zug Island nicht besuchen, obwohl ich nur einen Steinwurf davon entfernt stand.»

Wurde einst vom Guinness Buch der Rekorde zur dreckigsten Insel der Welt gekürt.

Wurde einst vom Guinness Buch der Rekorde zur dreckigsten Insel der Welt gekürt.

(Bild: Remo Hegglin)

Enttäuscht sei Hegglin darüber jedoch kaum. «Mir war von Anfang an klar, dass es aus Sicherheitsgründen ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen ist. Denn an gewissen Stellen ist der Boden der Insel kontaminiert. So stellte ich mich entsprechend darauf ein. Klar war da der Ehrgeiz, als normaler Mensch auf die Insel zu kommen und sich dabei ein wenig wie der erste Mensch auf dem Mond zu fühlen.»

Warum macht er das überhaupt?

Zug ist Weltstadt

Ende 2016 erhielt Remo Hegglin vom Zuger Amt für Kultur ein «Atelier Flex»-Stipendium über 20’000 Franken. Damit plant Hegglin die Zugs, die auf der Welt existieren, physisch zu besuchen. Und deren gibt es einige. Etwa im Iran, in Russland oder der Westsahara. Was daraus entsteht, ist noch offen. Um Interessierte jedoch nicht allzu lange warten zu lassen, gibt Hegglin heute bereits einige Rechercheergebnisse in seinem Blog preis.

Hegglin begann, sich umso stärker auf den historischen Aspekt der Insel zu konzentrieren. Auf seiner Suche nach Informationen klapperte der Zuger Bibliotheken, historische Museen, Buchantiquariate und Trödelläden ab und hörte sich in Bars um. Fast überall wurde ihm dieselbe Frage gestellt: «Warum kommt jemand wie du hierher?»

Dies nicht zuletzt, weil Detroit alles andere als eine Reisedestination ist. «Zwar hat man während der letzten Jahre versucht, den Stadtkern neu aufzubauen, doch kaum entfernt man sich ein paar hundert Meter davon, ist alles heruntergekommen, unzählige Flächen liegen brach.» So erklärte der Kunstschaffende denn jedes Mal aufs Neue, was ihn nach Detroit oder besser gesagt zur Zug Island brachte. «Einige Leute aus der unmittelbaren Nähe hatten noch nicht einmal von der Insel gehört.»

«Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass die Insel einst vom Guinness Buch der Rekorde als dreckigste Insel der Welt ausgezeichnet wurde.»

Remo Hegglin, Zuger Kunstschaffender

Doch worum handelt es sich denn nun eigentlich bei Zug Island? «Auf der Insel wird heute Stahl produziert. Das Guinness Buch der Rekorde betitelte Zug Island einst als dreckigste Insel der Welt.» Die ganze Industrie wirke sich auch auf die umliegenden Gegenden aus. «So habe ich gelesen und in Gesprächen erfahren, dass die Feinstaubbelastung ein ziemliches Problem darstellt für Leute, die in der Nähe wohnen.»

Zug auf US-amerikanisch.

Zug auf US-amerikanisch.

(Bild: Remo Hegglin)

Vom Sumpfland zur Stahlfabrik

Dabei fing alles lieblich an. «Zug Island hat seinen Namen vom Buchhalter Samuel Zug, der 1816 geboren wurde und die damalige Halbinsel 1859 kaufte, um darauf einen herrschaftlichen Wohnsitz zu erstellen. Die Gegend war jedoch ein Sumpf, insbesondere Mücken waren zu der Zeit eine Plage.» 1888 gab Samuel Zug grünes Licht für die Erstellung eines Kanals, die den River Rouge und den Detroit River an einer weiten Stelle verband.

«Über Nacht wurde aus der Halbinsel eine künstlich erschaffene Insel», erklärt der Künstler. Durch die zunehmende Industrialisierung, welche erst durch den Eisenbahn- und später durch den Autobau angekurbelt worden war, gewann das Land immens an Wert. Nach Zugs Tod verkauften seine Erben die Insel zu einem Preis von 300’000 US-Dollar an Industriefirmen, welche die Insel als Schutthalde brauchten. Heute werde auf Zug Island primär Stahl produziert, so Hegglin.

«Dank der Mithilfe von Bibliotheksmitarbeitern gelangte ich an Dokumente und Karten aus dem 19. Jahrhundert und dem frühen 20. Jahrhundert. Immer wieder stellte ich dasselbe fest: Die Insel war meist als blanker Fleck eingezeichnet. Zug Island scheint also schon lange ein Mysterium zu sein», sagt Hegglin und ist sichtlich fasziniert.

Der Zufall brachte ihn ans Grab

Nicht nur mit dem Ort, auch mit der tragenden Figur dahinter begann sich Hegglin intensiv zu befassen. «Bis ich dann irgendwann vor dem Grab von Samuel Zug stand und mich wunderte, was ich hier eigentlich mache. Denn nur dieses eine Wort Zug hat mich quasi zufällig dorthin gebracht», sagt der Kunstschaffende.

Von oben gesehen ist Zug Island tatsächlich ziemlich schwarz.

Von oben gesehen ist Zug Island tatsächlich ziemlich schwarz.

(Bild: Google Maps)

Einen Schlachtplan, wie er in der Causa Zug Island vorgehen wolle, hatte Hegglin indes nicht. «Ich tendiere dazu, solche Projekte sehr offen anzugehen, ohne mir im Vorfeld zu viele Gedanken zu machen», sagt Hegglin. «Ich bin einfach da hingereist, mit einem Koffer, gefüllt mit Hilfsmitteln wie Foto- und Videokamera, Mikrophon und Notizbuch.» Schnell sei er denn auch mit Menschen in Kontakt gekommen.

«Auf anfängliches Desinteresse folgte häufig grosses Erstaunen und die Bereitschaft, mitzuhelfen bei der Suche nach Material.»

Sei das in einer Bar, in der lokalen Bibliothek oder im Trödelladen. «Auf anfängliches Desinteresse folgte häufig grosses Erstaunen und die Bereitschaft, mitzuhelfen bei der Suche nach Material. In der Bibliothek kannte man mich bald», sagt Hegglin schmunzelnd. «Ohne zu Zögern händigte man mir historische Papiere von 1850 aus.» Manchmal spielte auch der Zufall mit. «So landete ich einmal bei einem Antiquariat, und als ich dem Händler sagte, weshalb ich da war, hellte sich sein Gesicht auf. Vor einigen Tagen habe er gerade ein Tischchen gekauft, das von Samuel Zugs damaliger Möbelmanufaktur stammte. Tatsächlich, als ich es mir ansah, entdeckte ich darauf den Firmenstempel von Stevens & Zug.»

Arbeitslose, Barkeeper, Immobilienmogule

Schaut der Künstler zurück auf das Experiment, spricht er von einer «Schnitzeljagd» durch Detroit. «Auf meiner Suche bin ich auf Arbeitslose gestossen, auf Barkeeper, Leute, die sporadisch auf Zug Islands arbeiten, auf Immobilienmogule und auf einen Angehörigen der US Army, der mir überhaupt nichts hätte erzählen dürfen, dann aber doch ins Plaudern geraten ist.» Eines habe Hegglin sehr stark zu spüren bekommen: «Wertschätzung, dass jemand von so weit her kommt und sich für sie interessiert.»

Der Weg über die Brücke auf die Insel blieb dem Zuger Kunstschaffenden verwehrt.

Der Weg über die Brücke auf die Insel blieb dem Zuger Kunstschaffenden verwehrt.

(Bild: Remo Hegglin)

Nun ist der Zuger zurück in einem ganz anderen Zug. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Orten? «Dort wird Stahl produziert, hier wird mit Rohstoffen gehandelt.» Dass Präsident Trump ausgerechnet während Hegglins Besuch in den USA Strafzölle auf Aluminium- und Stahlimporte verhängte, nahm natürlich nicht nur Hegglin zur Kenntnis. «Im Rust Belt der USA, in jener Region also, in der ich zugegen war, begrüsste man diese Massnahme sehr.» Gross sei dort die Hoffnung der vielen Arbeitslosen, dass Trump für Arbeit und Wohlstand sorgen werde. «‹Detroit is coming› back wurde an einer Tankstelle in grossen Lettern verkündet», erzählt der Zuger Kunstschaffende.

Bleibt ein Wehrmutstropfen, zurückgekehrt zu sein, ohne den Fuss auf Zug Island gesetzt zu haben? «Nein», sagt Hegglin. «Der Mythos und die Faszination rund um diese Insel hat sich nur noch mehr verstärkt.»

Noch ist unklar, was aus den Recherchen wird

Was passiert nun mit den Erkenntnissen, den Bildern, den Tonaufnahmen und den Videos, die Hegglin gemacht hat? «Das kann ich noch nicht sagen. Zug Island war quasi der Startschuss des Projekts. Nun muss ich erst abwarten, was die Recherche an den weiteren Standorten ergibt.»

Denn die nächsten Destinationen stehen bereits fest: «Zuerst geht’s nach Zug in Deutschland, danach nach Österreich. Und später nach Russland, an einen Ort, der bis etwa 1930 Zug hiess. Dafür brauche ich jedoch einen Guide oder zumindest einen Dolmetscher.»

Ach ja. Was hat es eigentlich mit den rostigen Nägeln auf sich, die vor uns auf dem Tisch liegen? «In der Nähe von Zug Island bin ich immer wieder auf sie gestossen und habe ein paar eingesammelt. Die Nägel stehen für mich als Sinnbild. Für die ganze Industrie rund um die einst mächtig prosperierende Motor City Detroit, aber auch für die Geschichte und die Vergänglichkeit.»

Der Unterschied zwischen «unserem» zug und dem US-amerikanischen Zug Island könnte kaum grösser sein.

Der Unterschied zwischen «unserem» zug und dem US-amerikanischen Zug Island könnte kaum grösser sein.

(Bild: Remo Hegglin)

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