Freilaufender 250-Kilo-Eber bekehrt die Wanderer

Das Glücksschwein der Rigi: Wie «Grill mich» zu Buddha-Anton wurde

Herr in der Farm der Tiere am Felsentor: Anton, der zwölfjährige und 250 Kilo schwere Eber, dirigiert die Schafe.

(Bild: hae)

Einst ein süsses Ferkel mit einem «Grill mich»-Schild um den Hals – heute die Attraktion am Südhang der Rigi: Anton ist vermutlich die älteste Sau Europas. Und sicherlich das glücklichste Schwein der Region. Nicht nur, weil es von der Nonne und Zen-Priesterin Theresia gefüttert wird. Vorhang auf für den Zen-Eber.

Wer in das spirituelle Zentrum Felsentor oberhalb von Weggis wandert, der kommt an einer kleinen Tierfarm vorbei. Dort, im «Gnadenhof», suhlt sich ein schweres Schwein friedlich grunzend im Neuschnee: Anton, der grosse Eber mit den kleinen Äuglein. Er schaut zufrieden drein, doch seine grimmigen Hauer zwischen den fleischigen Lippen deuten auf sein mögliches kräftiges Zubeissen.

Doch Anton ist meist gütig und gutgelaunt. Denn sein tierisches Schicksal änderte sich dank einsichtigen Menschen entscheidend: «Grill mich» hiess es vor zwölf Jahren auf einem Schild um den Hals des einst niedlichen Ferkels. Originell sein wollende Freunde hatten das Schweinebaby einem Hochzeitspaar aus dem Zürcherischen Bubikon zum Fest geschenkt.

Kein Schwein für den Spiess

«Schlechter Gag, fader Witz», dachte das beschenkte Paar wohl. Und weil es die Frischvermählten nicht fertigbrachten, das Schwein am Spiess zu braten, landete Anton nahe dem «Felsentor».

Achtung: Dieses Tier kann auch beissen!

Achtung: Dieses Tier kann auch beissen!

(Bild: hae)

Hier im «Gnadenhof», in diesem Retreat für verlorene Tierseelen, lässt es sich für Anton heute gut leben. Auf zehn Hektaren mit Blick auf Rigi und See kann der Eber frei rumlaufen. Auch Ruhesuchende kommen zu Zen-Meditationen und buddhistischen Seminaren, die der österreichische Unterwäsche-Unternehmer Vanja Palmers 1999 ins Leben rief (zentralplus berichtete).

«Tiere wollen frei von Schmerzen leben, akzeptiert und zugehörig sein – sie leiden genau wie wir.»

Theresia, Nonne und Zen-Priesterin beim Felsentor

Dort stapft Anton jetzt seit Jahr und Tag durch den Matsch, über die Wiesen und wird bewundert: von Besuchern, die oberhalb Weggis› via Felsentor nach Rigi-Kaltbad wandern und ihr Glück an der freien Luft suchen. «Auch Tiere suchen Glück», sagt Schwester Theresia, die ihre kleine Arche Noah hegt und pflegt. «Sie wollen frei von Schmerzen leben, akzeptiert und zugehörig sein – sie leiden genau wie wir.»

So herzlich lacht Schwester Theresia vom Cover ihres Buches.

So herzlich lacht Schwester Theresia vom Cover ihres Buches.

(Bild: zvg)

Theresia Raberger ist eine Franziskanernonne und Zen-Priesterin aus Österreich, die seit Jahren mit zehn anderen Geistlichen am Hang der Rigi lebt. Die moderne Mystikerin veröffentlichte darüber ein Buch mit Gesprächen unter dem Titel «Alles ist ein Leben». Ordensgründer Franz von Assisi ist Patron der Tiere, er sprach laut der Legende gar mit ihnen. Ähnlich wie Theresia, der seit Bekanntwerden der guten Institution die kranken und verletzten Viecher förmlich zuliefen: Vernachlässigte und kranke Hunde wurden gar aus Rumänien ins Felsentor gebracht.

Farm der Tiere

Auf dieser kleinen Farm der Tiere leben am stotzigen Hang rund zwei Dutzend Kreaturen, die aus ihrem elenden Schicksal gerissen wurden und heute zufrieden ihrem Ableben entgegenblicken. Theresia: «Tiere spüren auch etwas vom Sterben und vom Tod.» Wegen solchen Sätzen und ihrer unermüdlichen Arbeit für verstossene Tiere war das Schweizer Fernsehen schon hier und drehte eine «Sternstunde» über die tierliebende Geistliche.

Theresia kümmert sich um Schafe und Geissen, Enten und Truthähne, Hunde auch. Und eben: um Anton. Der Eber, heute mehr als 250 Kilo schwer, ist die grosse rosa Attraktion. Er ist ein glückliches Schwein, das ansonsten das Schicksal einer Mastsau geteilt hätte und schon lange verspiesen wäre: innert 100 Tagen auf 100 Kilo gemästet, kaum einmal die Sonne erblickt und vermutlich die Ohren und das Ringelschwänzchen von den Kolleginnen abgeknabbert. Vom vielen Stress im Zwinger ganz zu schweigen.

Freundlich wie ein Buddha: Anton, der sein «Grill mich»-Trauma überwunden hat.

Freundlich wie ein Buddha: Anton, der sein «Grill mich»-Trauma überwunden hat.

(Bild: hae)

Heute ist Anton die Ruhe selbst, er steht oft stoisch hinter einem offenen Gatter und betrachtet die Vorbeipilgernden mit seinen Schlitzaugen. Ob er wohl gar ein Zen-Schwein ist? Vielleicht. «Vermutlich das älteste aus einer Mastzucht stammende Schwein Europas», glaubt Theresia. Sicherlich aber ist Anton eine verdammt glückliche Sau.

«Nachdem wir Anton in die Augen geschaut haben, haben wir unsere Essgewohnheiten geändert.»

Fleischesser nach der Begegnung mit dem Zen-Schwein

Und zwar eine Sau, die in vielen Menschen etwas bewegt. Eine Gruppe von Lehrern und Medizinerinnen schrieb nach einem Meditationskurs mit Tieren: «Nachdem wir Anton in die Augen geschaut haben, haben wir unsere Essgewohnheiten geändert.» Einige Fleischesser kommen vom Berg als geläuterte Vegetarier oder Veganer herunter, die nächsten wohl nach der Woche «MediTiere» vom 23. bis 29. April (Kurskosten ab 570 Franken). Sie betrachten Tiere plötzlich nicht mehr als Lebensmittel.

Wenn die Schwester aus Innsbruck, die seit 2005 den Gnadenhof betreut, ihren Anton streichelt, hat sie das Gefühl, dass «das Los aller leidenden Schweine in ihm fühlbar ist». Das erleben auch ihre Kunden, wenn sie mitten in der schönsten Natur zwischen Schwein, Hund und Geiss in sich gehen.

«Essen Sie heute vegetarisch – Ihrer Gesundheit und den Tieren zuliebe», das steht auf einem gelben Schild an der Schüür auf rund 1100 Metern über Meer. Die Tiere geniessen den Winter meist über dem Nebelmeer. Weit, weit weg von Schlachthöfen.

«So lange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.»

Leo Tolstoi, russischer Schriftsteller

Schwester Theresia tut dafür gerne ihr Möglichstes und zitiert Leo Tolstoi: «So lange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.» Es gebe keine richtige Einheit und Spiritualität, so lange man andere Lebewesen ausklammere. Theresia sagt: «Gott hat stets die ganze Schöpfung im Blick.»

Antons Geschichte wird in einem kleinen Schrein erzählt.

Antons Geschichte wird in einem kleinen Schrein erzählt.

(Bild: hae)

Vor allem bei Anton, glaubt Theresia. Und sagt mit einem Lächeln: «Tiere können mit so wenig froh sein. Anton schiebt das Gras ein wenig weg, legt sich in ein Erdloch und lächelt in die Sonne. Er sieht dann so zufrieden aus. Wie Buddha.»

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