Paul Winiker übers 2017: Sparen und «Fall Malters»

«Schulbuchmässiger hätten wir es nicht machen können»

Der SVP-Regierungsrat an seinem Arbeitsplatz.

(Bild: les)

SVP-Regierungsrat Paul Winiker hatte dieses Jahr viel um die Ohren. Bei der Polizei hat man so stark gespart, dass andere Kantone über «Luzerner Zustände» spotten. Zudem war die Polizeispitze wegen des «Falls Malters» während Monaten an den Schreibtisch gebunden. zentralplus blickt mit Winiker zurück.

Politisch war das Jahr 2017 vom budgetlosen Zustand geprägt. Negativschlagzeilen über das Zurückfordern der Prämienverbilligung oder die Luzerner Polizei, welche täglich bis zu sieben Mal mangels Ressourcen nicht ausrückte, machten die Runde. Die Luzerner Polizei stand zudem wegen des Falls Malters im Rampenlicht. Bei einem missglückten Einsatz nahm sich eine 65-jährige Frau das Leben.

Regierungsrat Paul Winiker ist das amtsjüngste Mitglied der Luzerner Regierung. Seit zweieinhalb Jahren laufen bei ihm die Fäden des Justiz- und Sicherheitsdepartements zusammen. Und in diesem ist einiges los. 

zentralplus: «Dramatische Zustände» würden bei der Luzerner Polizei herrschen, gestand das JSD in der Antwort auf einen politischen Vorstoss diesen Dezember ein. Schuld seien die knappen finanziellen Mittel. Kann man sich im Kanton Luzern noch sicher fühlen?

Paul Winiker: Ja, die generelle Sicherheitslage ist befriedigend bis gut. Die Indikatoren wie Aufklärungsquote oder Polizeidichte sind gut. Ich möchte etwa an das Tötungsdelikt an der Baselstrasse erinnern, das innert weniger Tage aufgeklärt war. Wenn es um Bedrohungen von Leib und Leben geht, sind wir gut unterwegs. Die Folgen der Sparmassnahmen – etwa die geringere Patrouillendichte oder dass in gewissen Fällen nicht ausgerückt werden konnte – sind unschön. Wir müssten auch bei Nachtruhestörungen immer eine Patrouille zur Verfügung haben. Aber in diesem Sinne ist nicht die Sicherheit beeinträchtigt, sondern allenfalls Ruhe und Ordnung.

«Man sollte zwei Amtszeiten am Ruder sein, damit man mittel- und langfristig Projekte bewegen kann.»

zentralplus: Im Kanton Obwalden wurden Sparanstrengungen bei der Polizei abgelehnt, weil man sich vor «Luzerner Zuständen» fürchtete. Das muss schon zu denken geben.

Winiker: 2017 und 2018 sind für den ganzen Kanton Luzern sehr schwierig. Man darf aber nicht vergessen: Im Finanzplan ist im Polizeibereich ein Wachstum von rund sieben Prozent in vier Jahren vorgesehen. Wir werden mehr Geld zur Verfügung haben. Die Situation ist nicht so schlecht, wie sie zum Teil dargestellt wird.

zentralplus: Es gab wegen des budgetlosen Zustands einen Stau bei der Beschaffung neuer Polizeiautos oder neuer Handys für die Beamten. Kann man so an der Front arbeiten?

Winiker: Das ist das grösste Problem des budgetlosen Zustands: Projekte, die bereit sind, können nicht ausgelöst werden. Kann man keine Ersatzwagen beschaffen, muss man alte Wagen teuer reparieren. Dasselbe gilt für den Ersatz von Waffen und Geräten wie Handys. Selbstverständlich hat man seit September versucht, diese Lücken zu schliessen. Das Geld wäre ja da, nur reichte die Zeit leider nicht mehr.

zentralplus: Sie haben in Ihrem Büro diverse militärische Symbole aufgestellt. Das Thema scheint Ihnen zu liegen?

Winiker: Ja sehr, ich war ja als Milizoffizier jahrelang in diesem Bereich unterwegs und habe eine grosse Affinität. Mir gefällt es sehr und ich will meine Arbeit gerne weiterführen. Es sind einige Projekte und Investitionen aufgegleist, die ich auf den Boden bringen will.

zentralplus: Im Frühling 2019 werden Sie 63 Jahre alt sein. Sie wollen trotzdem nochmals antreten?

Winiker: Davon gehe ich aus. Nur vier Jahre im Regierungsrat wären zu wenig. Man sollte zwei Amtszeiten am Ruder sein, damit man mittel- und langfristig Projekte bewegen kann. Es gibt da zwei, drei Vorhaben, die mir am Herzen liegen. Etwa die Sanierung des Wauwilermoos, die Umsetzung des Polizeistützpunkts Sprengi oder die Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzzentrums des Zivilschutzes in Sempach. Wir sind überall in den Vorbereitungsarbeiten. Und ich will das unbedingt zur Entscheidungsreife bringen.

zentralplus: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Erstattet Ihnen Polizeikommandant Adi Achermann jeden Morgen Rapport?

Winiker: Keinesfalls. Ich bin nicht täglich ins operative Geschäft involviert. Fürs Tagesgeschäft sind die Leiter der Dienststellen zuständig. Neben der Polizei umfasst unser Departement ja auch die Staatsanwaltschaft, Militär, Zivilschutz und Justizvollzug, das Staatsarchiv und das Handelsregister, das Amt für Migration sowie das Strassenverkehrsamt. Es wäre auch nicht gut, wenn ich etwa bei der Motorfahrzeugkontrolle dreinreden würde. Und Dienstpläne will ich schon gar keine sehen (lacht). In der Regel habe ich mit den Dienststellenleitern alle zwei bis vier Wochen einen Dienststellenrapport. Sonst beschäftigt mich viel mehr meine politische Arbeit, dazu gehören etwa Gesetzesanpassungen, parlamentarische Vorstösse und nicht zuletzt die Medienarbeit.

zentralplus: Die Regierung wollte bekanntlich eine Steuerfusserhöhung. Dass diese scheiterte, haben Ihnen das Stimmvolk, aber auch Ihre Partei, die SVP, eingebrockt. Hat dies das Verhältnis zu Ihrer Partei belastet?

Winiker: Wissen Sie, eine Partei hat ihre Funktion, die sie wahrnehmen muss. Sie hat Werthaltungen und Prioritäten. Und als Regierungsmitglied habe ich meine Aufgaben. Jedes Gremium hat seine eigenen Spielregeln. Das war ich mir auch schon aus meiner Zeit als Gemeindepräsident in Kriens gewohnt.

zentralplus: Dennoch: Haben Sie sich bei Ihrer Partei für die Steuerfusserhöhung starkgemacht?

Winiker: Aufgrund der Budgetsituation wäre die Steuerfusserhöhung notwendig gewesen. Als Regierungsrat habe ich konstruktiv versucht, gewisse Sachen zu korrigieren. Am Ende gehört es dann auch dazu, den Gesamtentscheid – vielleicht gegen seine innere Überzeugung – mitzutragen. Ich habe mich etwa beim Gewerbeverband oder bei der SVP für höhere Steuern eingesetzt. Das Volk hat anders entschieden.

zentralplus: Definitiv auch für Aufsehen sorgte der «Fall Malters». Erinnern Sie sich noch an Ihr Tagesprogramm am 9. März?

Winiker: Ich war als Regierungsrat Gast an einer Übung im Führungssimulator in Kriens. Ich wurde dann über die Situation informiert. Am Nachmittag war ich als Gast an der Medienkonferenz anwesend und habe mich zuvor eingehend von den Beteiligten orientieren lassen.

zentralplus: Wie haben Sie sich in den ersten Stunden geschlagen?

Winiker: Ich wurde mir meiner persönlichen Rolle sehr rasch bewusst. Ich war nicht direkt involviert. Die Verantwortung lag bei der Einsatzleitung, sie sind unsere Profis in solchen Fällen. Ich wurde über die Lagebeurteilung informiert und kannte die Optionen.

Paul Winiker vor einem Kunstwerk in seinem Büro.

Paul Winiker vor einem Kunstwerk in seinem Büro.

(Bild: les)

 

zentralplus: Sie wussten also bereits da, dass der Polizeipsychologe vor einem möglichen Suizid warnte?

Winiker: Das war zu diesem Zeitpunkt kein Thema.

zentralplus: Haben Sie da schon damit gerechnet, dass der Fall so hohe Wellen schlagen könnte?

Winiker: Bei einem Einsatz mit Todesfolge ist klar, dass eine Untersuchung geführt und grundsätzlich eine Anklage erhoben wird. Letztlich entscheiden die Gerichte, ob ein Verschulden vorliegt oder nicht. So lauten die Spielregeln unseres Rechtsstaats. Die Staatsanwaltschaft ist zwar administrativ, nicht aber fachlich mir unterstellt. Deshalb hatte ich auch überhaupt keinen Einfluss auf die Untersuchung. Ebenso wenig, dass ein ausserkantonaler Staatsanwalt beigezogen wurde. Es ist vielleicht nicht ganz einfach zu verstehen, aber als Vorsteher des JSD hatte ich viel mehr eine erklärende Rolle nach aussen.

zentralplus: Sie zogen die beiden höchsten Polizisten von heiklen Einsätzen ab. War das keine Vorverurteilung?

Winiker: Das haben wir im Einvernehmen mit den beiden gemacht. Es wäre nicht gut und sachgerecht gewesen, sie während des Verfahrens mit der Einsatzleitung von heiklen Fällen zu beauftragen. Dieser Schritt war eine Entlastung für die beiden.

zentralplus: Sie haben sich dabei auf ein Gutachten von Hanspeter Uster gestützt, er hat – auch als Ausserkantonaler – den Auftrag einer Administrativuntersuchung erhalten und Ihnen diese Massnahme nahegelegt. Hatten Sie selbst keine Zweifel?

Winiker: Nein, gerade auch, weil ich eine externe Person eine Beurteilung vornehmen liess. Das war eine ausserkantonale, fachlich geeignete, erfahrene Persönlichkeit. Für mich war ganz klar: Eine Suspendierung kommt nicht infrage – das wäre wirklich eine Vorverurteilung gewesen. Und den beiden weiterhin die volle Verantwortung zu übertragen, während ein solches Damoklesschwert über ihnen schwebt, ging auch nicht. Die Gefahr hätte bestanden, dass sie über- oder unterreagieren. Deshalb bin ich fest überzeugt, dass wir richtig entschieden haben.

«Das Verfahren war für den Rechtsfrieden und die Glaubwürdigkeit unserer Institutionen essenziell.»

zentralplus: Die Führung der Polizei war an den Schreibtisch gebunden. Sicherlich keine einfache Situation.

Winiker: Aufgrund ihrer Funktion waren beide Offiziere auch vor Malters nicht als Pikettoffiziere in den Dienstplan eingeteilt. Der Kommandant hat seit seinem Amtsantritt weder Pikettdienst geleistet noch Einsätze geleitet. Das gehört auch nicht zu seinen Aufgaben. Der Kripochef seinerseits war vor dem Ereignis seit längerer Zeit nicht zum Pikettdienst eingeteilt. Mit der vorsorglichen Massnahme wurde die Leitung heikler Einsätze seinen beiden Stellvertretern übertragen. Der Fall ist komplex. In Leserbriefen etwa wurde wiederholt kritisiert, weshalb die Einsatzleiter vor Gericht müssen – eigentlich hätte der Sohn, der mit seinen Drogengeschäften die Hauptverantwortung trug, vor Gericht gehört.

zentralplus: Teilen Sie diese Meinung?

Winiker: Meine Aufgabe als Justizdirektor war wiederholt zu erklären, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Gegen den Sohn läuft in einem anderen Kanton ein Verfahren. Dieses hat jedoch nichts mit dem Tötungsdelikt zu tun. In Luzern wurde die Frage geklärt, ob der Einsatzbefehl verhältnismässig war oder nicht. Das Polizeigesetz verlangt ja explizit, man soll immer die mildeste aller Massnahmen zur Behebung einer Störung der Sicherheit anwenden. Dies ist keine exakte Wissenschaft.

zentralplus: Genau, darüber lässt sich streiten.

Winiker: Persönliche Meinungen sind jedoch nicht sehr relevant. Der Staatsanwalt befand, ein Gericht solle entscheiden. Bei einem öffentlichen Prozess legten die Parteien die Argumente auf den Tisch, das Gericht hat diese beurteilt. Ein guter und wichtiger Prozess.

zentralplus: Sie waren froh, mussten die beiden Polizeikader vor Gericht?

Winiker: Hätte der Staatsanwalt das Verfahren eingestellt, hätte es nie eine öffentliche Begründung gegeben. Man hätte uns vorwerfen können, wir hätten das Ganze unter den Tisch gewischt. Mit dem Verfahren hat man das öffentlich ausgetragen. Das Verfahren war für die Beschuldigten und das Korps erschwerend. Aber für den Rechtsfrieden und die Glaubwürdigkeit unserer Institutionen war es essenziell.

«Ich habe mich bewusst nie zu einer ‹Was-wäre-wenn-Äusserung› hinreissen lassen.»

zentralplus: Zitterten Sie vor dem erstinstanzlichen Urteil?

Winiker: Ich hatte Respekt. Ich – und auch das mag jetzt etwas komisch klingen – sah die Akten nie. Die stehen mir auch nicht zu, ich war ausserhalb der Verfahren. Es gab eine Medienanstalt, welche Details aus den Akten veröffentlichte. Über die Beweislage hatte ich indes keine Kenntnis. Deswegen war ich umso erleichterter, dass das Bezirksgericht zu einem Freispruch gekommen ist.

Paul Winiker blickt auf ein ereignisreiches Jahr zurück.

Paul Winiker blickt auf ein ereignisreiches Jahr zurück.

(Bild: les)

zentralplus: Der Privatkläger zieht das Urteil weiter.

Winiker: Es ist das Recht des Privatklägers. Der Fall geht jetzt ans Kantonsgericht und dann vielleicht ans Bundesgericht. Ich kommentiere dies nicht, bin aber zuversichtlich, dass das Urteil Bestand haben wird.

zentralplus: Hatten Sie einen Plan B, wie es mit den Polizeikadern weitergegangen wäre, fall es eine Verurteilung gegeben hätte?

Winiker: Ich habe mich bewusst nie zu einer «Was-wäre-wenn-Äusserung» hinreissen lassen. Das hätte nur Spekulationen hervorgerufen. Selbstverständlich hätten wir eine solche Ausgangslage neu beurteilen müssen.

zentralplus: Eine Kritik, die immer wieder auftaucht: Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und auch die Justizdirektion stecken unter einer Decke, eine unabhängige Beurteilung sei gar nicht möglich. Was sagen Sie dazu?

Winiker: Zum Fall Malters: Schulbuchmässiger hätten wir es nicht machen können. Es wurde ein ausserkantonaler Staatsanwalt eingesetzt, ich persönlich habe den noch nie gesehen. Wir haben einen ausserkantonalen und anerkannten Juristen für die Administrativuntersuchung eingesetzt – ich kannte den auch nicht. Dass einer, der jahrelang in diesem Bereich arbeitete, mindestens auf fachlicher Ebene Personen kennt, ist nicht zu vermeiden. Ein Theoretiker ohne Praxiserfahrung hätte zwar niemanden gekannt, aber kann so jemand die Situation beurteilen? Wir haben uns vorbildlich verhalten. Mehr kann man nicht machen. 

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