Pianistin Judith Wegmann wagt das Solo-Projekt

Kaum veröffentlicht, wird schon das nächste Album erwartet

Die Pianistin Judith Wegmann in ihrem Element.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Mit «Le Souffle Du Temps» erschien im Herbst das Soloalbum der Pianistin Judith Wegmann. Am Vorabend der Plattentaufe in Zug traf sich zentralplus mit ihr auf ein Gespräch über das Klavier, freie Improvisation und die Schönheit präparierter Saiten.

Wir treffen die Pianistin am verregneten Freitag Mittag in ihrer verwinkelten Wohnung in Biel. Ursprünglich aus Menzingen, hat es Wegmann vor fünfzehn Jahren in die Uhren-Metropole verschlagen. «Biel mit seiner Off-Space-Kultur ist für mich als Künstlerin der ideale Ort zum Arbeiten», erzählt Wegmann, während sie am Herd die Kürbissuppe rührt.

Existenz im Moment

«Wer wie ich in einem Nischen-Genre zu Hause ist, braucht eine Umgebung, die Unbekanntes mit offenen Armen empfängt.» Das Nischen-Genre in diesem Fall ist die freie Improvisation – die komplette Auflösung der Eckpunkte, unter denen Musik definiert wird: Rhythmus, Harmonie, Melodie und Takt. Ein frei improvisiertes Stück lebt davon, während seines Spiel-Moments kreiert zu werden, und nicht reproduzierbar zu sein. Eine Musik also, die nur im Moment existiert.

«Ich merkte schnell, dass mir das ‹Eigene› fehlt, dass meine Suche noch nicht zu Ende ist.»

Judith Wegmann, Pianistin

Auf diese Art von Musik ist Wegmann am Ende ihrer Studienzeit gestossen. Als Jungstudentin noch im Jazz beheimatet, studierte sie als Erwachsene Klassisches und Zeitgenössisches Klavier. «Während meiner Studien habe ich meinen Rucksack mit Techniken und Stilen gefüllt, bis er fast überquoll», lacht die Pianistin. «Aber ich merkte schnell, dass mir das ‹Eigene› fehlt, dass meine Suche noch nicht zu Ende ist.»

Ein gut gemeinter Schubs in die richtige Richtung

Als freie Improvisatorin trat Wegmann aber erst Ende 20 an die Öffentlichkeit. «Das Improvisieren, das ich ja schon von meinen Jazzstudien her kannte, war für mich immer ‹nur› etwas für das stille Kämmerchen, wo ich mich ausleben konnte», erinnert sie sich. «Eine gute Freundin hat mich dann sozusagen gezwungen, ein Impro-Konzert zu spielen, und seither bin ich angefressen.»

«Ich wusste genau, wie die Musik zu klingen hatte, welche Materialien für die Präparationen notwendig waren.»

Plattentaufe in der Zuger Shedhalle

Morgen, 16. Dezember, findet in der Shedhalle in Zug das Konzert «Le Souffle Du Temps» statt.

Zeit: 19.30

Künstler: Judith Wegmann (p), Rea Dubach (voc), Hannes Prisi (dr), Tobias Meier (sax)

Support: «Sediment» – Simon Berz (dr)

Bis heute spielte sie hunderte Impro-Konzerte in ganz Europa, am liebsten gemeinsam mit anderen Musikern. «Die Interaktion zwischen Musikern während eines Konzertes lässt sich schwer mit Worten beschreiben.» Wegmann zögert und versucht es dann doch: «Es ist eine Art von Kommunikation, welche nur funktioniert, wenn die Musiker aufeinander eingestimmt sind.»

Und wenn es dann funktioniere, dann sei es bereichernd, wie man es von keiner anderen Art der Kommunikation kenne. Man sei auf genau derselben Wellenlänge und erreiche so einen Zustand, in dem der Mensch, oder besser sein Körper, sich auflöse, gleichzeitig aber enorm wichtig sei, weil er ja die Klänge produziere. «Weisst du, wie ich meine?»

Das längst überfällige Soloalbum

Mit «Le Souffle Du Temps» schlägt Judith Wegmann nun ein neues Kapitel auf. Die zehn Retrospektiven auf dem Album sind während eines längeren Krankenhausaufenthaltes entstanden. «In dieser Zeit kam mein Leben zum ersten Mal zum kompletten Stillstand – ich konnte nicht üben, nicht spielen», erinnert sich Wegmann zurück. «Ich glaube, diese Musik schlummerte schon lange in mir drin und hat auf den richtigen Moment gewartet, um hervorzukommen.» Nach ihrer Entlassung ging die Pianistin direkt in ihr Atelier, stellte ein Mikrophon auf und begann, die Musik aufzunehmen. «Ich wusste genau, wie die Musik zu klingen hatte, welche Materialien für die Präparationen notwendig waren.»

Innert sechs Wochen waren die Stücke zu Ende konzipiert und aufgenommen. Diese Zielstrebigkeit hat sich für die Pianistin auf jeden Fall gelohnt. «Le Souffle Du Temps» ist nicht einfach ein Soloalbum einer umtriebigen Pianistin. Es ist eine Hommage an das Klavier und seine Möglichkeiten, an die Dimensionen, die sich mit diesem Instrument erschaffen lassen. Aber vor allem ist es eine Auseinandersetzung mit der Empfindung von Zeit.

Neugierig geworden? So klingen die Improvisationen von Wegmann:

Hinter jedem Stück eine andere Idee

Als Interpretin ist Wegmann vertraut mit Stücken, die den Pianisten an die Grenzen seiner physischen und psychischen Belastbarkeit bringen. Ob vierstündige Morton-Feldman-Stücke, aggressiv-virtuose Julius-Eastman-Werke oder komplexe Stockhausen-Kompositionen, es gibt nicht viel für zeitgenössisches Klavier, das Wegmann noch nicht gespielt hat. «The creative improvisor does not declare Year Zero on all previous performances. Instead they bring the accumulated knowledge of a lifetime […] and make them meaningful in that moment», schrieb der schottische Jazz-Kritiker Brian Morton in seinem Text über das Album.

Am Arbeitsgerät wird hantiert: Die Pianistin Judith Wegmann widmet sich ihrem Flügel.

Am Arbeitsgerät wird hantiert: Die Pianistin Judith Wegmann widmet sich ihrem Flügel.

(Bild: Pierre Palliez)

Und genau diese Spielerfahrungen werden innerhalb der sechzig Spielminuten kumuliert. «Die Stücke selber würde ich als Konzept-Kompositionen beschreiben – sie sind weder frei improvisiert noch genau definiert. Hinter jedem Stück steckt eine Idee, ein Moment, den ich wiedergebe. Dies ist reproduzierbar und klingt doch mit jedem Konzert anders.»

Ein grosser Erfolg

Mit lobenden Kritiken in grossen Musikmagazinen im In- und Ausland liessen die Anfragen nicht lange auf sich warten. «Ich wurde bereits für Festivals und Residenzen für 2018 angefragt und das Label würde gerne eine nächste CD von mir sehen», lacht Wegmann, mittlerweile beim Kaffee angekommen. Die nächste CD ist dann auch bereits in der Planungsphase.

Anstatt alle Stücke wieder selber zu konzipieren, arbeitet sie diesmal mit sieben Komponisten zusammen, welche basierend auf Wegmanns eigenen Stücken neue Kompositionen entwickeln. «Da freue ich mich extrem drauf, zu hören, wie meine Kompositionen sich verändern und bearbeitet werden und neue Handschriften bekommen.»

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