Zwei öffentliche Vermisstmeldungen in einer Woche

Täglich verschwindet im Kanton Luzern eine Person

Ein Spürhund wird bei einer Personensuche dann eingesetzt, wenn ein letzter Bezugspunkt der vermissten Person bekannt ist.

(Bild: Symbolbild: Fotolia/Benjamin Nolte)

Vergangene Woche machten zwei Fälle von vermissten Personen in Luzern die Runde. Beide Male tauchten die Personen wieder auf, nur einmal machte die Luzerner Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung. Polizeisprecher Urs Wigger erklärt, wann man auf dieses Mittel zurückgreift. Und er warnt vor einer selbstorganisierten Suche via Facebook. 

Seit vergangenem Freitag wurde in St. Urban ein 30-jähriger Mann vermisst. Die Polizei führte eine Öffentlichkeitsfahndung durch. Das heisst, via Medien wurden ein Foto und Signalemente des Vermissten verbreitet und Angaben zu seinem letzten Aufenthaltsort gemacht. Mit Erfolg: Am Sonntag konnte der Mann gefunden werden.

Ebenfalls letzte Woche: In Kriens wird eine 17-Jährige vermisst. Die Eltern lancieren via Facebook eine grosse Suchaktion. Ebenso treten die Eltern mit den Medien in Kontakt, die Polizei hingegen verzichtet auf eine Öffentlichkeitsfahndung. Auch in diesem Fall hat die Suche Erfolg, die junge Frau kehrt unversehrt zu ihren Eltern zurück.

In beiden Fällen war die Suche nach einer vermissten Person erfolgreich, die Luzerner Polizei verhielt sich jedoch nicht in beiden Fällen gleich. Wann wird eine öffentliche Fahndung gestartet? Und wie verhält man sich als Angehörige am besten?

zentralplus: Herr Wigger, angenommen, man vermisst jemanden und erreicht diese Person nicht: Wann sollte man zur Polizei gehen? Oft hört man von einer 24-Stunden-Regel.

Urs Wigger: Diese Frage kann man nicht generell beantworten. Es gibt keine 24-Stunden-Regel. Das ist von Fall zu Fall ganz unterschiedlich. Werden Kleinkinder vermisst oder hilfsbedürftige Menschen, so macht es keinen Sinn zu warten, sondern man sollte unverzüglich die Polizei informieren.

zentralplus: Wann und wie wird die Polizei aktiv?

Wigger: Die Polizei wird sofort nach Meldungseingang aktiv. Wie und in welchem Rahmen ist je nach Fall und Situation ganz unterschiedlich. Die Arbeit der Polizei beginnt in der Regel mit dem Erheben von ersten Fahndungshinweisen. Das wären Personalien, Signalement, Kleider, Fahrzeuge, Mobiltelefone, soziale Netzwerke, Ausweise und so weiter.

Urs Wigger, Polizeisprecher der Luzerner Polizei.

Urs Wigger, Polizeisprecher der Luzerner Polizei.

(Bild: Luzerner Polizei)

zentralplus: Das alles hat mit der vermissten Person zu tun, jedoch noch nicht mit einem konkreten Aufenthaltsort.

Wigger: Zu den weiteren Erhebungen und Massnahmen gehören Motivabklärungen, besondere Merkmale, Beschaffung aktueller Fotos, Adressen von Bezugspersonen, Bezugsorte, Mobiltelefon-Notsuche, Absuchen des Wohnorts, üblicherweise begangene Wege und Aufenthaltsorte.

zentralplus: Wann kommt beispielsweise ein Spürhund zum Einsatz?

Wigger: Ein Spürhund kann man dann einsetzen, wenn ein Bezugsort als Ausgangspunkt klar definiert werden kann. Zum Beispiel, wenn ein Wanderer vermisst wird und sein Auto aufgefunden wird. Dann kann ein Hund dort zur Spurensuche angesetzt werden.

«Eine Öffentlichkeitsfahndung sollte in jedem Fall der Polizei überlassen werden.»

zentralplus: Wie kann man eine solche Situation korrekt einschätzen? Wann liegen Hinweise auf ein Verbrechen vor, wann eine psychische Ausnahmesituation möglicherweise sogar mit Suizidgefahr?

Wigger: Das gehört zu einer Lagebeurteilung. Oft gibt es Hinweise zu Vermissten und deren Umfeld. Wenn ein Teenager nach einem Streit mit den Bezugspersonen verschwindet, steht ein Verbrechen nicht im Vordergrund. Wenn hingegen eine Person in Begleitung einer unbekannten Person nicht mehr auftaucht oder gar verdächtige Feststellungen gemacht werden, kann auch ein Verbrechen nicht ausgeschlossen werden. Psychisch Kranke haben meist eine Vorgeschichte in den Krankenakten.

zentralplus: Wann geht die Polizei mit einer Vermisstmeldung an die Öffentlichkeit?

Wigger: Die Polizei wägt anhand der Umstände des Falles sorgfältig ab, ob eine Öffentlichkeitsfahndung zielführend und auch von der gesetzlichen Grundlage her gegeben ist. Das ist nicht in jedem Fall so. Konkret steht im Polizeigesetz: Eine öffentliche Fahndung mit oder ohne Bild ist zulässig, wenn der Verdacht besteht, dass die gesuchte Person verunfallt oder Opfer eines Verbrechens geworden ist oder wenn sie sich selbst oder Dritte gefährden könnte. Es gibt auch Vermisstenfälle, bei denen die gesetzliche Grundlage fehlt, eine öffentliche Fahndung trotzdem Sinn macht. In solchen Fällen spricht man sich beispielsweise mit den Eltern ab. Sie müssen für eine öffentliche Fahndung dann auch die Erlaubnis geben.

zentralplus: Im Fall des vermissten Mädchens aus Kriens machten die Eltern den Fall publik. Ist das geschickt?

Wigger: Eine Öffentlichkeitsfahndung sollte in jedem Fall der Polizei überlassen werden. Nur so hat man auch die Gewähr, dass nur Fakten weiterverbreitet werden. Positiv an Fahndungen über die sozialen Medien ist, dass schnell viele Personen auf einen Vermisstenfall aufmerksam gemacht werden können. Es hat aber unter Umständen für die betroffene Person auch Nachteile, denn das Internet vergisst nie.

zentralplus: Können Sie ein Beispiel dazu machen?

Wigger: Auch nach Jahren findet man noch Personen und deren Namen in Suchmaschinen. Dies auch, wenn die damals Betroffenen längst wieder in ihrem normalen Umfeld sind und die damalige Krise überwunden haben. Dies kann beispielsweise bei Bewerbungen ein grosser Nachteil sein. 

zentralplus: Verfolgt die Luzerner Polizei, was mit solchen Meldungen in den sozialen Medien passiert?

Wigger: Es versteht sich, dass die Polizei auch solche Meldungen, soweit dies möglich ist, verfolgt. Es ist aber in jedem Fall sinnvoll, wenn private Personen die Polizei über geplante Eigenaktivitäten informieren. Verbieten kann dies die Polizei jedoch nicht. Die Verantwortung der öffentlichen Verbreitung liegt dann auch bei jenen Personen, welche die Meldung über soziale Medien an die Öffentlichkeit bringen.

zentralplus: In Kriens wurde eine Minderjährige vermisst. Hat es strafrechtliche Konsequenzen, wenn die Polizei eine Person suchen muss?

Wigger: Strafrechtlich gesehen hat dies in der Regel keine Konsequenzen. Es sei denn, es werden unterwegs irgendwelche Straftaten verübt. Privat kann dies allerdings schon Konsequenzen haben. Einerseits, wenn die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde eingeschaltet wird oder andererseits, wie vorher bereits erwähnt, eine Öffentlichkeitsfahndung gemacht wird.

«Die Auslöser für das Verschwinden sind oftmals Probleme im privaten Bereich.»

zentralplus: Wie oft sieht sich die Luzerner Polizei mit verschwundenen Personen konfrontiert?

Wigger: Letztes Jahr registrierten wir total 533 abgängige – also verschwundene – Personen. Die Polizei unterscheidet zwischen «vermisst», «entwichen» und «entlaufen». 2016 wurden 93 Personen vermisst, 393 sind entwichen und 47 entlaufen.

zentralplus: Können Sie diese Unterscheidung erklären?

Wigger: Vermisst wird jemand, wenn er aus dem gewohnten Lebensbereich verschwunden ist. Entweichen umfasst das Entfernen aus einer Anstalt (wie etwa einem Heim) und als entlaufen gelten unmündige Personen, die sich aus dem gewohnten Lebensbereich entfernen.

zentralplus: 533 in einem Jahr scheint relativ viel. Warum verschwinden so viele Personen?

Wigger: Im Schnitt sind es etwa 400 Personen pro Jahr. Die Auslöser für das Verschwinden können ganz unterschiedlich sein. Oftmals sind es aber Probleme im privaten Bereich. Auch finanzielle Sorgen oder Streitigkeiten innerhalb der Familie können Gründe sein. Möglich ist auch, dass eine Person Abstand braucht und sich eine Auszeit nimmt, ohne das Umfeld zu informieren.

zentralplus: Gemäss Recherchen von zentralplus gab es 2017 bisher drei öffentliche Fahndungen – alle Personen konnten gefunden werden. 2016 gab es vier Meldungen. Eine Person wurde tot aufgefunden, zwei unversehrt und die vierte Person wird noch immer vermisst. Wie erfolgreich sind öffentliche Fahndungen? 

Wigger: An die Öffentlichkeit gelangt die Polizei, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind oder wegen bestehender Gefahren eine Dringlichkeit besteht. Dies natürlich immer aufgrund gesetzlicher Grundlagen. Mit einer öffentlichen Fahndung gelangt die Polizei an Informationen, welche allenfalls Passanten beobachtet haben, die sonst nicht gemeldet würden. Solche Informationen können neue Ansatzpunkte für die Vermisstensuche beinhalten.

zentralplus: Wer bezahlt eine Fahndung?

Wigger: Die normalen polizeilichen Leistungen kosten nichts. Verrechnet werden jedoch Leistungen, die durch spezielle Leistungen Dritter anfallen. So zum Beispiel der Einsatz eines Helikopters oder auch Handy-Ortung. Dies wird den Bezugspersonen auch mitgeteilt.

 

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