Abstimmung in Luzern gibt plötzlich zu reden

Bürgerliche kämpfen gegen «Blankoscheck» für Stadtrat

Unscheinbar, aber plötzlich doch noch umstritten: die Abstimmungsvorlage vom 26. November in der Stadt Luzern.

(Bild: jal)

In Luzern kommt unerwartet ein Abstimmungskampf auf. Denn nicht nur die SVP lehnt die HRM2-Vorlage ab, die am 26. November an die Urne kommt. Überraschenderweise wehrt sich auch die CVP dagegen, dass der Stadtrat mehr Spielraum für Landkäufe erhält. Damit vollzieht die Partei den zweiten Sinneswandel innert Kürze.

In anderthalb Wochen werden die Bürger an die Urne gerufen, doch von einem Abstimmungskampf war in Luzern bislang kaum etwas zu spüren. Kein Wunder bei Vorlagen mit so staubtrockenen Namen wie «Einführung des Harmonisierten Rechnungslegungsmodells 2 (HRM2) – Revision Finanzhaushaltsrecht» (zentralplus berichtete).

Doch genau dieses Geschäft hat nun die Bürgerlichen aufgeschreckt. Sowohl SVP als auch CVP und die Jungfreisinnigen haben für die Abstimmung vom 26. November die Nein-Parole beschlossen. Und das, obwohl es im September noch so aussah, als wäre alles in Butter. Die Vorlage wurde im Grossen Stadtrat mit 37 Ja- und nur 6 Nein-Stimmen klar gutgeheissen.

Es geht auch um günstige Wohnungen

Die HRM2-Vorlage umfasst ein Paket an Änderungen für eine transparentere Rechnungslegung, die im Grunde unbestritten ist (siehe Box). Zu reden gibt nur eine Frage: Über wie viel Geld soll der Luzerner Stadtrat frei entscheiden können, wenn er ein Grundstück erwerben will? Bislang darf der Stadtrat auf eigene Faust nur zwei Millionen für Landkäufe ausgeben. Alles, was teurer ist, muss dem Parlament vorgelegt werden. Doch mit diesem Prozedere vergehen in der Regel mehrere Monate – Zeit, für die mancher Verkäufer keine Geduld aufbringt.

Der Stadtrat selber wollte die Limite deshalb auf zehn Millionen Franken erhöhen. Doch Grüne, SP und Grünliberale haben im Stadtparlament durchgesetzt, dass der Stadtrat sogar über 30 Millionen frei entscheiden kann.

Was ist HRM2?

Alle Gemeinden der Schweiz werden ihre Finanzen nach einem neuen, einheitlichen Modell führen. Das schafft Transparenz und bessere Vergleichbarkeit – und ist unbestritten. Im Zuge dessen wird auch geregelt, wie viel Spielraum die Exekutive für Landkäufe hat. Der Kanton Luzern macht dazu keine Vorgaben: Ob eine Gemeinde überhaupt eine Limite festsetzt und in welcher Höhe, entscheidet jede für sich. In der Stadt Luzern soll die Grenze bei 30 Millionen liegen – sofern die Bevölkerung der HRM2-Vorlage am 26. November zustimmt. In der Stadt Luzern haben SP, Grüne, GLP, BDP und FDP die Ja-Parole beschlossen. CVP, SVP und die Jungfreisinnigen lehnen die Vorlage ab.

Da kommt plötzlich auch der genossenschaftliche Wohnbau ins Spiel, denn die Linken hoffen auf eine aktivere Bodenpolitik. «Wir erwarten, dass die Stadt Immobilien kauft, um sie der Spekulation zu entziehen und der Bevölkerung zahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen», sagt SP-Präsident Claudio Soldati. Die Bevölkerung hat 2011 an der Urne beschlossen, dass dessen Anteil bis 2037 auf 16 Prozent ansteigen muss – und die Umsetzung harzt bekanntlich (zentralplus berichtete).

SVP: Kein Umgehen des Volkswillens

Dass sich die SVP gegen die Änderung wehrt, war zu erwarten. Ihr sind selbst die vom Stadtrat vorgeschlagenen 10 Millionen zu viel. «Es kann in einer Demokratie nicht sein, dass nur drei Personen – das ist die Mehrheit im Stadtrat – Grundstücke kaufen können, ohne jemanden zu fragen», sagt SVP-Präsident Peter With.

Der Littauer streitet ab, dass die SVP damit die Wohnbauförderung durch die Hintertür bekämpfen will. Die SVP respektiere den Entscheid des Volkes, das 2011 der Erhöhung der Zahl der gemeinnützigen Wohnungen zustimmte. «Der Volkswille war aber nicht, dass die Stadt als Liegenschaftshändlerin auftritt oder gar selber baut.» Der Stadtrat solle entsprechende Projekte wie bis anhin dem Parlament vorlegen und so eine Diskussion ermöglichen.

«Die linke Seite wird Druck machen, damit die Stadt Land kauft, um es an gemeinnützige Wohnbauträger abzugeben.»

Mirjam Fries, CVP-Fraktionschefin

Seine Partei hat eine höhere Limite bereits im Parlament bekämpft. Damals noch allein auf weiter Flur. Doch nun hat auch die CVP die Nein-Parole beschlossen – was doch einigermassen überrascht. Im Stadtparlament hat die Partei die Vorlage noch gutgeheissen. Es ist nicht das erste solche Manöver der CVP (siehe Box am Textende).

Die CVP-Leaderinnen Andrea Gmür (links), Franziska Bitzi und Mirjam Fries.

Parteipräsidentin, Stadträtin und Fraktionschefin der CVP (von links): Andrea Gmür, Franziska Bitzi Staub und Mirjam Fries.

(Bild: zVg)

Doch nicht nur das: Mit dem Nein torpediert die CVP auch die erste Abstimmungsvorlage der eigenen Stadträtin. Dies habe nichts mit der Arbeit oder der Person von Finanzdirektorin Franziska Bitzi Staub zu tun, betonen sowohl Parteipräsidentin Andrea Gmür als auch Fraktionschefin Mirjam Fries. «Unsere Stadträtin hat einen super Job gemacht», sagt Gmür. «Es war ja das Parlament, das die Limite raufgesetzt hat.»

CVP fürchtet Druck auf Preise

Anders als die SVP geht es der CVP nicht nur um die Macht des Stadtrates. Sie fürchtet vielmehr die Konsequenzen für die Bodenpreise. «Die linke Seite wird sicher Druck machen, damit die Stadt Land kauft, um es an gemeinnützige Wohnbauträger abzugeben», sagt Fraktionschefin Mirjam Fries.

«Das ist einfach ein vorgeschobenes Angst-Szenario der CVP.»

Claudio Soldati, SP-Präsident

Die CVP glaubt, dass der Stadtrat deswegen tief ins Portemonnaie greift und höhere Preise zahlt als Private. «Landbesitzer werden ‹fürstliche› Preise lösen», schreibt die Partei in einer Mitteilung. Und dies schlage sich letztlich auch auf die Mietpreise nieder. «Das widerspricht der Idee des genossenschaftlichen Wohnungsbaus», sagt Parteipräsidentin Andrea Gmür. Für sie ist klar: «Die Limite von 30 Millionen Franken hat nur negative Konsequenzen.» Sie betont aber genauso wie die SVP, dass ihre Partei ansonsten mit der HRM2-Vorlage einverstanden wäre.

Für SP-Präsident Claudio Soldati sind die Bodenpreise jedoch kein stichhaltiges Argument. «Klar darf die Stadt nicht zu einem Player werden, der die Preise in die Höhe treibt.» Wieso das aufgrund der neuen Limite geschehen solle, sei aber schleierhaft. «Das ist einfach ein vorgeschobenes Angst-Szenario der CVP.»

FDP und Jungpartei nicht gleicher Meinung

In der Tat führen die anderen Kritiker nicht die Bodenpreise ins Feld, sondern demokratische Überlegungen. So auch die Jungfreisinnigen, die dem Stadtrat keinen «Blankoscheck» ausstellen wollen. Das Volk solle bei den Grundstückskäufen dem Stadtrat auf die Finger schauen und gegebenenfalls auch intervenieren dürfen, hält die Jungpartei in einer Mitteilung fest. Die Erhöhung sei insofern übermässig und nicht nötig, um mehr Flexibilität zu erhalten.

SVP-Präsident Peter With (links), FDP-Fraktionschefin Sonja Döbeli Stirnemann und SP-Präsident Claudio Soldati.

SVP-Präsident Peter With (links), FDP-Fraktionschefin Sonja Döbeli Stirnemann und SP-Präsident Claudio Soldati.

(Bild: zvg)

Trotz aller Kritik von Mitterechts: Eine breite bürgerliche Koalition ist nicht zustande gekommen. Denn anders als der Jungfreisinn spricht sich die Mutterpartei für das Geschäft aus. Zwar gab es auch an der FDP-Parteiversammlung Stimmen gegen die Vorlage, wie Fraktionschefin Sonja Döbeli Stirnemann sagt. Doch am Ende beschloss die Partei trotzdem die Ja-Parole.

«Der Mehrheit der FDP ist die Limite von 30 Millionen Franken lieber als gar keine Grenze», sagt Stirnemann. Da der Kanton keine Limite für Landkäufe vorgebe, wäre ein Nein in ihren Augen «noch der grössere Freipass».

Politisiert die CVP-Fraktion an ihrer Basis vorbei?

Mit der Nein-Parole zur HRM2-Vorlage vollzieht die CVP die zweite Kehrtwende innert weniger Monate. Bereits bei der Inseli-Initiative im Herbst drehte die Parteiversammlung die Zustimmung der Fraktion in eine Nein-Parole. 

Da stellt sich unweigerlich die Frage: Politisiert die CVP-Fraktion an der eigenen Basis vorbei? Fraktionschefin Mirjam Fries verneint. «Unsere Fraktion stimmte im Parlament ja auch für die vom Stadtrat vorgeschlagene Limite von 10 Millionen und gegen die 30 Millionen.» Am Ende hätten die Parteimitglieder die Prioritäten anders gelegt: Während die Fraktion das Gesamtpaket HRM2 höher gewichtete, habe die Basis umgekehrt entschieden. «Hier geht es darum, dass die Basis ein Zeichen setzen will.» Zudem verweist sie auf die seit jeher breite Meinungsvielfalt in der CVP.

Die spezielle Konstellation der CVP

Auch Parteipräsidentin Andrea Gmür bestreitet, dass die CVP-Fraktion innerhalb der Partei zu wenig Gewicht habe. «Die Fraktion leistet sehr gute Arbeit, auch wenn die Basis hie und da einen anderen Entscheid fällt. Das muss man aber nicht überbewerten.»

Unbestritten ist aber, dass es die anderen Parteien einfacher haben. Denn bei den meisten sitzt der Parteipräsident in der Fraktion und ist selber in die Parlamentsbeschlüsse involviert – und vertritt im Nachhinein an der Parteiversammlung kaum eine andere Haltung. Im Rahmen der Inseli-Initiative wurde das Gerücht kolportiert, die CVP-Spitze trimme die Partei auf ihre Meinung ein – was Präsidentin Andrea Gmür zurückwies (zentralplus berichtete).

Parteileitung und Fraktion hätten einen engen Austausch, versichert die Nationalrätin. So sitzt unter anderem Fraktionschefin Mirjam Fries in der CVP-Parteileitung. Allerdings räumt Gmür ein: «Es wäre sicher ein Vorteil, wenn die Parteipräsidentin selber auch in der Fraktion wäre.»

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