40-Jähriger von Zuger Strafgericht verurteilt

Unübliche Berührungen und eine hochnotpeinliche Situation

Am Strafgericht Zug hat der Prozess gegen die Verantwortlichen der Invest Energy Group AG wegen gewerbsmässigen Betrugs und weiterer Delikte begonnen.

(Bild: Archiv)

Ein ehemaliger Sportfunktionär aus dem Kanton Zug ist zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden. Ihm wird vorgeworfen, das Vertrauen eines 16-jährigen Clubmitglieds missbraucht und sexuelle Handlungen versucht zu haben. Der Mann meinte, der Jugendliche wolle sich nur an ihm rächen. Doch das Gericht glaubte ihm nicht.

«Ich bin 100 Prozent hetero und stehe auf Frauen», sagte der 40-jährige Schweizer am Prozess vor dem Strafgericht. Sein Verhältnis zu dem Jugendlichen, der ihn angezeigt hat, sei «kumpelhaft» gewesen. «Sexuelle Absichten habe ich nie gehabt.»

Wie alles anfing, war am Prozess unbestritten: Sandro* war 14 Jahre alt, als er den 24 Jahre älteren Sportfunktionär, nennen wir ihn Rolf*, in einem Sportverein kennenlernte. Mit 15 durfte der Jugendliche bereits in einer Mannschaft mit älteren Sportlern spielen.

Gleichzeitig hatte er Krach mit den Eltern und Probleme in der Schule. Rolf hörte ihm immer geduldig zu, gab Nachhilfeunterricht in Englisch und Mathematik, nahm Kontakt zu den Eltern auf. Er wurde zu einer Art Mentor für den Jugendlichen, zu dem dieser allmählich mehr Vertrauen entwickelte als zu Vater und Mutter.

Jugendlicher fühlte sich unter Druck gesetzt

Kurz vor den Sommerferien 2016 eskalierte die Situation zwischen Sandro und seinen Eltern. Die Mutter entschied, dass ihr Sohn in eine psychologische Abklärung muss, Rolf begleitete ihn. Daraufhin übernachtete er das erste Mal beim Angeklagten. Zuerst auf dem Sofa, später im zirka 1,80 Meter breiten Brett von Rolf. Letzterer habe ihm die Wahl gelassen. Die beiden gingen oft auswärts essen, schauten TV. Sie rauchten auch einmal einen Joint zusammen, den der Ältere besorgt hatte – ein Nebendelikt am Prozess.

Laut der Anklageschrift begann damals das «Chräbbele». Der Sportfunktionär habe Sandro am Kopf, den Händen, den Armen und Beinen «chräbbelet». Sandro seien die Berührungen unangenehm gewesen. Er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt. Rolf habe ihm gesagt, dass er dankbar sein müsse für all das, was er für ihn tue. Ansonsten werde er nicht mehr für ihn da sein.

Streicheln, Küssen und Masturbation

Angeklagt ist der Mann wegen Ereignissen in einer Nacht im Juni 2016, als der Jugendliche eine ganze Woche bei ihm verbrachte. Beide konnten nicht einschlafen. Gegen 3 Uhr nachts blickte Sandro auf die Uhr und realisierte, dass Rolf ihn am Kopf streichelte. Danach habe dieser ihn auf die Wange geküsst und sich mit dem Mund immer näher zum Mund des anderen bewegt. Sandro sei schockiert gewesen, habe sich weggedreht.

Der Ältere habe darauf hinter ihm masturbiert und gleichzeitig mit der anderen Hand das Gesäss des Jugendlichen berührt. Er sei dann «gekommen» und ins Bad gegangen. Der Jugendliche habe alles über sich ergehen lassen und sich nicht gewehrt. Zu weiteren Vorkommnissen kam es nicht. Doch das Verhältnis der beiden verschlechterte sich. Später brach Rolf den Kontakt zu Sandro abrupt ab. Dieser reichte Strafanzeige ein, was die Sache ins Rollen brachte.

Handyaufnahme als Beweismittel zugelassen

Sexualdelikte sind oft «Vier-Augen»-Delikte, es gibt keine Zeugen, deshalb steht oft Aussage gegen Aussage. Es gibt jedoch in diesem Fall eine Tonbandaufnahme: Das Gericht hat eine vom Jugendlichen mit dem Handy gemachte Aufnahme als Beweis zugelassen, in welcher dieser Rolf ziemlich aggressiv ins Kreuzverhör nimmt.

«Er war zwischen Kollege und grossem Bruder für mich, aber kein Vaterersatz.»
Der jugendliche Privatkläger

Der jugendliche Privatkläger wurde als Auskunftsperson im Gerichtssaal befragt, ohne dass der Beschuldigte im Saal anwesend war, um eine Begegnung von Opfer und Täter zu vermeiden. Mit einer Videokamera filmte man die Befragung und übertrug sie in einen Raum, wo der Beschuldigte und sein Anwalt sassen.

Mutter war immer skeptisch

Der heute 18-jährige Sandro meinte, zuerst sei das Verhältnis zu Rolf sportlich gewesen. Dann wurde es zunehmend privater. «Meine Mutter war aber nie mit dem Kontakt einverstanden.» Rolf sei zu einer Vertrauensperson geworden und immer für ihn da gewesen. «Er war zwischen Kollege und grossem Bruder für mich, aber kein Vaterersatz.»

Zur Frage des Einzelrichters Marc Siegwart, warum er sich gegen das «Chräbbele» nicht gewehrt habe, meinte er, er habe einen Streit befürchtet und den Verlust seiner Vertrauensperson. Zur besagten Nacht im Juni 2016 meinte der Jugendliche: «Es war mir peinlich, ich fühlte mich erbärmlich. Man kann nichts machen und ist einfach starr.»

Dann wurde im Saal die Tonbandaufnahme abgespielt. Siegwart meinte, er könne sich die Diskrepanz nicht erklären zwischen dem bestimmten Ton von Sandro im Gespräch und dem Verhalten in dieser Nacht, wo er sich nicht gewehrt habe.

Neue Freundin weiss nichts vom Verfahren

Der Beschuldigte wurde danach separat befragt. Er erklärte, er habe seit vier Wochen eine neue Freundin. «Sie weiss nichts von diesem Verfahren.» Er sei 100 Prozent «hetero». Was aufhorchen liess: Er hat momentan einen 21-jährigen Untermieter in seiner Wohnung, der ebenfalls Probleme hat. Als Sportfunktionär habe er im Verein gehen müssen, fügte er hinzu.

«Ich habe mich gefragt, ob er schwul ist.»
Der Beschuldigte

Auf die Frage, warum er zu dem 24 Jahre jüngeren Jugendlichen Sandro ein solches Vertrauensverhältnis hatte, meinte er, er sei früher Juniorentrainer gewesen. «Da war ich gewohnt, dass mich die Jungen etwas fragen und mit mir reden wollen.» Der intensive Kontakt sei von Sandro ausgegangen. Der Junge habe ihm immer wieder komische Fragen gestellt. «Im Club wollte er zum Beispiel nur duschen, wenn ich auch duschte. Ich habe mich gefragt, ob er schwul ist», sagte er.

Alpträume und Frau aus Moskau

Zu den Vorwürfen in besagter Juni-Nacht, die er am Anfang geleugnet hatte, meinte er, der Junge habe Alpträume gehabt. Er wollte ihn «trösten und beruhigen» und habe ihm einen Kuss gegeben. «Auf die Wange, nicht auf den Mund.» Sexuelle Handlungen habe er keine vornehmen wollen. Der Junge lüge in diesem Punkt. Das sah der Richter anders. Es sei sein Eindruck, der Ältere habe eher ausloten wollen, wie weit er gehen könne, bis der Junge sich wehre.

Zur Masturbation meinte der Beschuldigte, er habe an eine Frau gedacht, die er auf einer Reise nach Moskau kennengelernt habe. Aus Rücksicht sei er aber ins Bad gegangen.

«Kein Mensch würde einen Jungen küssen, weil er Alpträume hat. Höchstens die Eltern.»
Die Staatsanwältin

Die Staatsanwältin erklärte in ihrem Plädoyer, der Jugendliche habe sehr klar und widerspruchsfrei ausgesagt und sich auch zu unangenehmen Fragen geäussert. Der Beschuldigte hingegen habe sich laufend in Widersprüche verstrickt. «Kein Mensch würde einen Jungen küssen, weil er Alpträume hat. Höchstens die Eltern.»

Dass sich der Jugendliche gegen die Übergriffe nicht gewehrt habe, sei nicht aussergewöhnlich. Er habe das Verhältnis nicht zerstören wollen. Später sei der Frust aber hochgekommen und er habe den Täter zur Rede stellen wollen.

Die Verteidigerin des Jugendlichen meinte, wegen des grossen Altersunterschieds könne man hier nicht von einer «Männerfreundschaft» sprechen. Es sei immer ein Mentoren- oder Vaterersatz-Verhältnis des Älteren zum Jüngeren.

Der Verteidiger des Beschuldigten sagte, Sandro wollte sich an seinem Klienten rächen, weil dieser den Kontakt abbrach. Der Jugendliche habe sich verletzt gefühlt. «Er drohte ihm daraufhin, er würde alles erzählen und mein Mandant müsste sich dann aus der Ortschaft verpissen.»

Freispruch für sexuelle Handlungen

Der Verteidiger bestritt sexuelle Handlungen, und ein Abhängigkeitsverhältnis habe auch nicht bestanden. Er forderte einen Freispruch und nur eine Bestrafung für den Joint-Konsum.

Sexuelle Handlungen mit Abhängigen werden mit drei bis vier Jahren Gefängnis bestraft. Nach neuer Rechtssprechung seien drei Jahre die Regel, so die Staatsanwältin. «Das Verschulden wiegt in diesem Fall eher leicht», meinte sie, der Mann sei auch nicht vorbestraft. Deshalb forderte sie nur eine bedingte Geldstrafe und Bussen.

Richter erhöhte die Strafe

Einzelrichter Marc Siegwart verurteilte den Beschuldigten wegen versuchter sexueller Handlungen mit einem Abhängigen zu einer bedingten Geldstrafe. Diese fällt höher aus, als sie die Staatsanwältin gefordert hatte: 130 statt geforderte 90 Tagessätze zu 270 Franken, die Probezeit beträgt zwei Jahre. 100 Franken ist die Strafe für den Joint. Der Mann muss aber eine Verbindungsbusse von 2’500 Franken und dem Jugendlichen eine Prozessentschädigung von 7’258 Franken bezahlen.

Siegwart erklärte zur Begründung seiner höheren Strafe, die Aussagen des Jugendlichen seien glaubhafter als diejenigen des Beschuldigten. «Er hat immer das Gleiche erzählt, hat weder unter- noch übertrieben. Ausserdem belastet er Sie nicht übermässig.» Wer jemand anschwärzen wolle, erzähle ganz andere Sachen.

Der Beschuldigte habe seine Aussagen immer der jeweiligen Situation angepasst und Schutzbehauptungen vorgebracht. Er zeige keinerlei Einsicht und beschuldige stattdessen den Jugendlichen. Das sei hinterhältig. «Der Vorwurf der Lüge muss deshalb auf Sie zurückfallen», sagte Siegwart.

*Namen geändert

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