Delikatessen und anderes bei der Pilzkontrolle Zug

«Riecht wie verbiselte Windeln»

Michel Schneider, Pilzkenner und Bioanalytiker.

(Bild: mam / wia)

Wir wollen selbst gesammelte Pilze zu selbst gemachter Pasta essen. Weil wir im Wald nichts finden, gehen wir auf die Pilzkontrolle. Dort finden wir Eierschwämme und Sachen, die fürchterlich stinken.

Eierschwämmli mit Nudeln oder Steinpilzrisotto – im Herbst lässt sich der Speiseplan mit Selbstgesuchtem aus dem Wald einfach aufwerten. Und das Ganze erst noch mit Fitness verbinden.

Voraussetzung ist freilich, dass man Pilze findet und die essbaren von den giftigen unterscheiden kann – und da beginnt das Problem. Nicht jeder hat ein Grosi, das seit 50 Jahren in die Pilze geht und freiwillig die besten Plätze im Wald herzeigt. Und fremde Pilzler verraten in der Regel gar nichts. Deswegen versuchen wir Plan B und begeben uns zur Pilzkontrolle in Zug. Vielleicht können wir dort etwas lernen.

Röhrlinge sind oft essbar

Am liebsten natürlich von den besten Pilzkennern im Land. Empfohlen wurde uns Michel Schneider, der als Biologielaborant und Lebensmittelkontrolleur für den Kanton arbeitet und nebenbei als Pilzexperte im Werkhof der Stadt Zug die guten von den schlechten Gewächsen trennt.

Mit geübter Hand trennt er die essbaren von den ungeniessbaren Pilzen – giftige sind nur wenige dabei. Drei jüngere Anfänger kippen ihr Fundgut auf eine Metallplatte und warten gespannt auf das Urteil des Gurus. Einige Pilze sind Goldröhrlinge und tatsächlich essbar.

Im Spital bei den Vergifteten

Aber was ist das? «Au, ein goldfarbener Glimmerschüppling!», ruft Schneider elektrisiert. Früher habe der als essbar gegolten, mittlerweile stufe man ihn aber als schwach giftig ein. «Ich wurde letztes Jahr sogar ins Spital gerufen, weil eine Familie ihre Pastetli ausschliesslich mit Goldschüppling gefüllt hatte und unter fürchterlichen Schmerzen litt», erzählt er.

Schneider hat eine Zusatzausbildung gemacht und ist nun einer jener Pilzkontrolleure, die bei Vergiftungsfällen die Ärzte im Spital beraten. Wir sind an den Richtigen geraten.

Finger weg: Goldfarbener Glimmerschüppling.

Finger weg: Goldfarbener Glimmerschüppling.

(Bild: mam)

Evolutionärer Vorteil der Väter

Als nächstes kommen zwei junge Wanderer aus dem Ennetsee an. Die scheinen mehr Ahnung zu haben, denn sie haben Parasol-Pilze gefunden – grosse und hervorragende Speisepilze. Aber auch sie haben einen Glimmerschüppling dabei. Schneider erklärt, warum er als giftig gilt und wie man ihn erkennt: «Er riecht nach verbiselten Windeln.» – «Entschuldigung, aber ich hatte noch nicht das Glück, diesen Geruch kennenzulernen», erwidert der Jung-Hippie aus Cham lakonisch.

Dann entspinnt sich ein Zwiegespräch unter Pilzbegeisterten. Schneider erzählt von der Ausbildung zum Pilzkontrolleur in Graubünden, bei der man morgens in den Wald geht und nachmittags die gefundenen Pilze bestimmt. «Da saugt man sich voll mit Pilzen», schwärmt Schneider über die Zeit mit Gleichgesinnten. «Nach einer Woche sieht man überall Pilze.»

Ende Oktober muss man oft anstehen

Der Samstagabend auf der Pilzkontrolle ist angenehm, es läuft immer etwas, aber eine Schlange bildet sich nicht. So bleibt Zeit für Gespräche. «Im Spätherbst stehen die Leute manchmal den ganzen Gang hinunter an», sagt Schneider. «Dann arbeiten wir hier zu zweit.»

«Im Spätherbst stehen die Leute den ganzen Gang hinunter an.»

Michel Schneider, Pilzkontrolleur

Nun kommen mehrere Leute, die einen lachsfarbenen Pilz im Angebot haben – einen Fichtenreizker. Schneider mag ihn nicht: «Der fischelt.» Aber in Italien sei er ein hochgeschätzter Speisepilz. «Suchen Sie sich im Internet ein Rezept mit viel Knoblauch und Käse», empfiehlt er den Besuchern.

Keine Saison für den Steinpilz

Feine Eierschwämmchen.

Feine Eierschwämmchen.

(Bild: mam)

Es folgen Glückliche, die einen ganzen Korb voller Eierschwämmchen gefunden haben. Nur der famose Steinpilz ist noch nicht aufgetaucht. «Keine Chance», meint Michel Schneider, «heuer war es zu lange heiss und trocken.»  Als später doch noch ein Exemplar auf dem Bestimmungstisch landet, ruft er begeistert: «Sensationell!»

So nimmt der Abend seinen Lauf. Wir lernen Wulstlinge kennen, Träuschlinge, Trichterlinge, Röhrlinge, Schleierlinge, Stäublinge. Und wir merken: Es gibt überraschend viele essbare Pilze. Eine Frau aus Unterägeri kommt mit einem ganzen Behältnis voller durchbohrter Leistlinge – sie sind bekömmlich.

Fotos machen statt alles ausreissen

Dann ein Aha-Erlebnis: Um den peinlichen Moment zu vermeiden, in dem der Pilzkontrolleur 90 Prozent der Beute als ungeniessbar brandmarkt und wegwirft, könnte man unbekannte Pilze auch erst mit dem Handy fotografieren. Schneider bestimmt auch die, wenn auch «ohne Gewähr», wie er betont.

Nun ist Dienstschluss und Michel Schneider hat es eilig. Er will in den Wald. Zum Pilzlen? «Nein, auf den Hochsitz, zur Jagd.» Schliesslich sollen Pilze auch ganz hervorragend zu Hirschpfeffer passen.

Pilzbestimmung per Handy: Welche App taugt etwas?

Viele Pilzler schleppen schwere Bestimmungsbücher durch die Gegend – aber es geht auch leichter (im Wortsinn): Mit Pilzbestimmungs-Apps. Die meisten dieser Tools funktionieren wie ein Büchlein, einige bieten als zusätzlichen Vorteil, dass man Funde etwa auf einer Karte speichern kann – oder sich mittels Quiz fortbilden kann.

Kostenlose Android-Apps wie der Pilzator, Pilzatlas oder Pilze app sind eher für Gelegenheitspilzler im Anfängerstadium gedacht – denn sie bilden nur wenige Pilzarten ab. Oft sind es polnische oder tschechische Apps in deutscher Übersetzung, aber fürs erste Herantasten reicht es. Die am besten bewertete heisst Book of Mushrooms, hat aber nur englische Texte. Pilzsammler heisst ein nettes Spiel, mit dem man üben kann.

Apps mit erweiterter Datenbank (250 bis 300 Arten) kosten etwas – und nehmen einiges an Platz ein. Gut bewertet werden etwa der Myco Pilzführer (4 Franken/94 MB).

Optische Erkennung funktioniert nicht gut

Der grösste Vorteil einer App gegenüber einem Büchlein ist eigentlich die Interaktivität. Mit der optischen Erkennung kann man Fotos online abgleichen lassen. zentralplus testete einige dieser Apps, war meist frustriert von der schlechten Funktionsweise und verlegte sich schliesslich auf Pilze app, obwohl die App aus unerfindlichen Gründen auf Englisch installiert wurde.

Aber die optische Erkennung liefert zuverlässig Resultate. Selbst wenn die meist nur mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn bis 40 Prozent als zutreffend beziffert und mit den lateinischen Namen gelistet werden, so erhält man doch eine ganze Reihe von bebilderten Vorschlägen und einen recht zuverlässigen Eindruck, ob sich ein Pilz zu pflücken lohnt.

Jedenfalls dachten wir das, bis wir mit den gesammelten Pilzen auf die Pilzkontrolle marschierten. Das Resultat war ernüchternd: Nur die sehr typischen, leicht zu erkennbaren und bekannten Speisepilze konnten zuverlässig genud erkannt werden, viele unbekanntere Arten stellten sich als ungeniessbar heraus.

Auf dieses Buch setzt man beim Pilzverein

Fortgeschrittene Pilzler greifen deshalb immer noch zu Büchern. Der Zuger Pilzverein setzt auf «Pareys Buch der Pilze» (1’500 Arten). Wem das nicht reicht, greift auf das sechsbändige Werk «Pilze der Schweiz» zurück (2’500 Arten).

Weder App noch Buch können indes abbilden, wie ein Pilz riecht oder sich anfühlt. Deswegen ist der beste Lehrmeister immer noch eine Kollegin oder ein guter Bekannter, der sich mit Pilzen auskennt.

 

Bildstrecke: Impressionen aus der Pilzkontrolle

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