Abstrakte Trockenübung statt Pilotversuch

Mobility Pricing: Kanton Zug greift dem Bund unter die Arme

Pendler, die morgens nach Zug an ihren Arbeitsplatz mit dem Auto fahren, produzieren Staus: Nun denken auch die Firmen um.

(Bild: woz)

Weil kein anderer Kanton Interesse zeigt, springt nun Zug in Sachen Mobility Pricing in die Bresche. Und auch wenn das ganze erst einmal eine Trockenübung zu werden scheint: Kann es sein, dass Zug hier eine Vorreiter-Rolle einnimmt. Oder geht es doch eher darum, gut Freund zu werden mit dem Bund?

Während der Stosszeiten füllen sich die Schweizer Strassen und Züge. Staus und Stehplätze in der S-Bahn sind an der Tagesordnung. Der Bund will deshalb prüfen, wie die bestehende Infrastruktur besser ausgelastet werden kann. Etwa auch mittels Mobility Pricing. Will heissen: Wer zur Primetime per Bahn und Auto unterwegs ist, der soll mehr zahlen.

Vor einem Jahr hat der Bundesrat das eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) beauftragt, zusammen mit interessierten Kantonen die Durchführung von Pilotprojekten zu prüfen.

Bloss: Bis auf Zug zeigte kein Kanton Interesse daran. Die einen sprachen sich eher für ein Road Pricing aus, die anderen schätzten den Aufwand für einen Pilotversuch als zu gross ein. Anfangs Juli wurde entschieden, dass erst einmal eine Wirkungsanalyse durchgeführt werde. Und zwar mit dem einzigen Kanton, der daran Interesse zeigte: Zug.

Keine «sinnlose Trockenübung»

Einen realen Pilotversuch will der Bundesrat derzeit nicht durchführen, denn dafür müsste die Gesetzeslage vorläufig geändert werden. Darum also eine Wirkungsanalyse, bei der Zug als Stellvertreter der Kantone in die Bresche springt. Der Zuger Baudirektor Urs Hürlimann erklärt: «Bei der Wirkungsanalyse handelt es sich um eine theoretische Vorgehensweise, um mögliche Wirkungen von Mobility Pricing besser verstehen zu können.» Der Lead beim Projekt liege beim Bund. Wie die Baudirektion betont, gehe es ausdrücklich nicht um eine Vorbereitung auf ein konkretes Pilotprojekt im Kanton Zug.

«Auch der Grad der Akzeptanz in der eigenen Bevölkerung lässt sich mit der Wirkungsanalyse testen.»

Urs Hürlimann, Zuger Baudirektor

Dennoch, so wird betont, «sind wir überzeugt, dass die Wirkungsanalyse keine sinnlose Trockenübung ist.» Es gelte nämlich zu beachten, dass Bund und Kanton Zug damit nicht nur die verkehrlichen Auswirkungen, sondern auch Auswirkungen auf die Bevölkerung, das Gewerbe und auf die räumliche Entwicklung besser verstehen möchten. «Auch der Grad der Akzeptanz in der eigenen Bevölkerung lässt sich testen», sagt Hürlimann.

Es soll zudem abgeklärt werden, wie hoch die Tarife für Verkehrsteilnehmer ausfallen könnten, wie gross der geografische Perimeter sein müsste, was ein Mobility Pricing für den Datenschutz von Privatpersonen bedeuten würde, und wie eine Erfassung zur Abrechnung aussehen könnte. «Die Analyse wird uns diese Erkenntnisse, respektive die Antworten dazu liefern», ist sich die Zuger Baudirektion sicher.

Die nötigen Daten existieren schon

Das klingt aufwendig. Auch finanziell. Wie Hürlimann erklärt, werden die Kosten aber vollumfänglich vom Bund übernommen. Und wieviel zahlt der dafür? Weiss man noch nicht, erklärt man uns beim Bundesamt für Strassen (Astra). «Die detaillierten Kosten werden zurzeit evaluiert», sagt Benno Schmid, der Bereichsleiter Information und Kommunikation.

Beim Kanton Zug erklärt man uns indes, dass die Grundlagen für die Analyse bereits vorhanden seien. Laut Urs Hürlimann etwa das Gesamtverkehrsmodell, das der Kanton Zug dem Bund im Rahmen der Wirksamkeitsanalyse zur Verfügung stellen werde. Aber auch die Daten bereits vorhandener Verkehrszählungen und öV-Nachfragedaten dürfe der Bund verwenden. «Des Weiteren stellen wir unser Know-how zur aktuellen Verkehrssituation im Kanton Zug, beziehungsweise aus ähnlichen Fragestellungen, zur Verfügung», so der Baudirektor weiter. Dazu gehörten etwa auch Erfahrungen im Zusammenhang mit der Umfahrung Cham-Hünenberg.

«Wenn der Kanton Zug mitmacht, bekundet er eine positive Grundhaltung gegenüber diesem zukunftsgerichteten Projekt.»

Urs Hürlimann

Auflagen habe der Kanton Zug für die Analyse keine zu erfüllen. Ganz im Gegenteil, so Hürlimann. «Für den Kanton Zug wird es darum gehen, aus möglichst vielen Arbeitsschritten, die er im Rahmen des anstehenden Gesamtverkehrskonzepts sowieso hätte erarbeiten müssen, Erkenntnisse zu gewinnen.»

Erhofft sich der Kanton durch die Teilnahme an der Wirkungsanalyse, auf Bundesebene eine Vorreiter-Rolle einzunehmen? Durchaus. «Wenn der Kanton Zug mitmacht, bekundet er eine positive Grundhaltung gegenüber diesem zukunftsgerichteten Projekt», sagt Hürlimann.

Politiker ist skeptisch

Und was meint die hiesige Politik dazu, dass der Kanton Zug dem Bund bezüglich Mobility Pricing unter die Arme greift? SVP-Fraktionschef Manuel Brandenberg sagt dazu: «Alles, was neue Gebühren verursacht, finden wir nicht gut. Insbesondere, wenn es die Strassen anbelangt. Meines Erachtens ist es Aufgabe des Staates, Strassen mit Steuergeldern zu finanzieren. Es entspricht jedoch der heutigen Tendenz des Staates, für alles Gebühren zu verlangen.» Und er fügt leicht spöttisch hinzu: «Ich weiss nicht, warum der Kanton das macht. Vielleicht, um denen in Bern zu gefallen.»

«Mit einem City Pricing, wie es etwa verschiedene skandinavische Städte bereits haben, würde die Zahl unnötiger Autofahrten massiv abnehmen.»

Andreas Lustenberger, ALG-Kantonsrat

Auch von der Linken kommen skeptische Worte. «Wir erachten Mobility Pricing nicht zwingend als gut», sagt Andreas Lustenberger, von der Alternative-die Grünen gegenüber zentralplus. «Viel eher würde ein City Pricing Sinn machen, wie es etwa verschiedene skandinavische Städte bereits haben. Damit würde die Zahl der unnötigen Autofahrten ins Stadtzentrum massiv abnehmen», ist sich der Kantonsrat sicher.

Road, City oder Mobility?

Als Road Pricing wird die Erhebung von Gebühren für die Nutzung von Strassen bezeichnet. Sie wird häufig als Massnahme zur Reduktion des Stadtverkehrs diskutiert. Etwa, in dem man Strassengebühren in bestimmten Zonen erhebt. Dies etwa mittels Vignette oder elektronischer Mautstationen. Handelt es sich explizit um Gebühren, die man erhebt, um ins Stadtinnere zu gelangen, wird auch der Begriff City Pricing verwendet. Städte, welche diese Massnahme bereits umsetzen, sind etwa Stockholm oder London. In Stockholm zahlen beispielsweise Autofahrer, die zwischen 7:30 und 8:29 Uhr ins Stadtinnere fahren, umgerechnet fast vier Franken. Beim Mobility Pricing indes werden nicht nur die Automobilisten zur Kasse gebeten, sondern auch öV-Nutzer. Ziel aller genannter Massnahmen ist es, Verkehrsspitzen zu brechen und eine gleichmässigere Auslastung der Verkehrsinfrastrukturen zu erreichen.

Dass sich der Kanton Zug nun vorerst für eine Wirkungsanalyse bereit erklärt hat, findet Lustenberger jedoch nicht «per se negativ. Das kann man durchaus ausprobieren.»

Hoffnungen in Carsharing und Home Office

«Die Gesellschaft wird nicht drum herumkommen, sich früher oder später mit dem Thema zu befassen», sagt Pirmin Frei auf Anfrage. Und der kantonale CVP-Parteipräsident ergänzt: «Eine flächendeckende Kostentransparenz bezüglich Mobilität würde meines Erachtens durchaus Sinn machen.» Es dürfe dabei jedoch mitnichten darum gehen, verschiedene Mobilitätsformen gegeneinander auszuspielen.

Frei ist optimistisch, dass in der Bevölkerung langsam ein Umdenken stattfinde, «selbst in bürgerlichen Kreisen», und Mobilität künftig anders gestaltet werde. «So etwa mittels einer Stärkung des Carsharings oder auch vermehrtem Home Office. Die Zeit wird langsam reif dafür, in diese Richtung zu denken», so Frei.

Noch ist das Ganze sehr abstrakt

Abschliessend lässt sich also festhalten: Kanton und Bund bewegen sich bist dato auf abstraktem Terrain. Zu vielen wichtigen Fragen will man sich derzeit noch nicht äussern: Wie könnte sich Mobility Pricing finanziell auf den Verkehrsteilnehmer auswirken? Auf welche Art würden Automobilisten und öV-Nutzer zur Kasse gebeten? Welche Gebiete wären genau betroffen und welche technischen Massnahmen müssten dafür geschaffen werden?

Benno Schmid vom Astra betont jedoch: «Für den Bund ist Mobility Pricing ein Instrument zur Lösung von Kapazitätsproblemen und nicht zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur.»

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