Mit 1'000 Statisten auf Mörderjagd

Komplimente von James Bond am Luzerner «Tatort»-Dreh

Komplimente von Bond, James Bond: «Tatort»-Fan Isabelle Wohlgemuth.

(Bild: zvg)

Wie Motten das Licht umtanzten letztes Wochenende Hobby- und Möchtegern-Schauspieler sowie «Tatort»-Groupies den Dreh des neuen Luzerner TV-Krimis. Beim vielen Rumstehen im KKL fanden sie genug Zeit, Lokalprominenz, die Bachelorette oder auch James Bond zu treffen. Einzige Bedingung für die Laien: «Bitte nicht in die Kamera winken!»

«Das ist ja wie beim Militär: Lange warten – und dann plötzlich Action!» Ernst Alder (60) aus Horw bringt es auf den Punkt. Dennoch ist der Familienvater, der sich am Sonntagabend für sechs Stunden mit schicker Fliege und feinem Anzug in den Pulk der Menschen gedrängt hat, mit einem Lächeln am Set des Filmdrehs dabei.

Der Dreh zum 12. Schweizer «Tatort» war nicht nur attraktiv, sodass viele aus weit entfernten Kantonen anreisten, sondern auch beängstigend gross: Fast 1’000 Statisten, 84 Mikrofone, ein 45-köpfiges Orchester, 1 Kommissar, 1 Mord. Und vor allem nur 1 Kamera. Sowie die unmissverständliche Anweisung: «Bitte nicht winken!» 

Zuerst Tanzen, dann «Tatort»: Familie Alder mit (von links) Katrin, Heidi, Ernst und Eliane.

Zuerst Tanzen, dann «Tatort»: Familie Alder mit (von links) Katrin, Heidi, Ernst und Eliane.

(Bild: hae)

Vielleicht ist Ernst Alder auch so happy, weil seine drei Begleiterinnen ebenfalls adrett herausgeputzt sind: seine Frau Heidi (57) mit den beiden Töchtern Eliane (24) und Katrin (27). Die Jungdamen sind an drei der vier möglichen Nachtshootings von «Alte Männer sterben nicht» dabei. «Sehr spannend, jeden Abend wieder anders – und besonders glamourös in diesem wunderbaren KKL», freut sich Katrin Alder auch noch beim dritten Durchlauf zwischen Staunen und von der Regie immer wieder geforderten Klatschen.

Tanzen, dann Krimi schauen

«Wir schauen die Luzerner Krimis immer an», gestehen die Töchter. Der Vater zeigt hingegen kein Interesse, denn er schwingt mit Mutter Heidi jeden Sonntagabend das Tanzbein. «Und ich schau mir den ‹Tatort› dann jeweils zeitversetzt an», so Mutter Heidi, die in ihrem gerüschten blauen Kleid allerliebst strahlt.

«Hier kann ich endlich mal meine Galakleider ausführen.»

Marie Therese Sütterle

Auch Isabelle Wohlgemuth (53) aus Meggen strahlt, allerdings ganz in edlem Schwarz. Ihr tiefdekolletiertes Designerkleid bewegt gar Geheimagent 007 zu Komplimenten, und gut gelaunt schmiss sie sich in die Arme des Helden mit der Lizenz zum Töten und Verführen. Bond? James Bond? Ja, ist der denn auch am Dreh? – Natürlich! Zwar nicht der echte 007, aber immerhin sein höchst passables Double, nämlich Martin Langanke (51) aus der Ostschweiz.

Cervelat-Prominenz will ihren Marktwert steigern

Neben weiteren Doubles von Halle Berry oder vom jungen Denzel Washington haben die TV-Macher auch Cervelat-Prominenz in die ersten drei VIP-Reihen des KKL eingeladen. Hier, wo die Action stattfindet, wo vielleicht auch die deutschen Zuschauer für einmal wohlwollend auf die schönen Schweizer herabblicken, und wo dann zum guten Schluss der Todeskuss zu erwarten ist. Denn Schweizer «Tatort»-Fans leiden darunter, dass die Luzerner Krimis von den deutschen Kritikern oft mit Häme als «hölzern» bezeichnet werden.

«So nah wie diesmal war ich noch nie am Dreh!»

Andy Wolf

Diese Promis hoffen darauf, ihren Marktwert mit der Präsenz im quotenträchtigen Krimi (gegen 10 Millionen Zuschauende in den deutschsprachigen Ländern) zu steigern: der Zuger Kickbox-Weltmeister und «Bachelor» Janosch Nietlispach (28) oder Ex-Miss Anja Burri sowie die «Bachelorette» Eli Simic (28).

Schon mal 0,5 Sekunden im «Tatort» gewesen: Andy Wolf mit «Bachelorette» Eli Simic.

Schon mal 0,5 Sekunden im «Tatort» gewesen: Andy Wolf mit «Bachelorette» Eli Simic.

(Bild: zvg)

Neben der St. Gallerin Simic schwebt Andy Wolf (49), Luzerner Event-Manager, DJ und Ex-Radio-Pilatus-Legende, noch so förmlich über den Roten Teppich. Der Wolf mit Fliege ist stolz. Auch ohne rote Rose. Über die neue Bekanntschaft und darüber, dass er bereits bei seinem zweiten «Tatort»-Dreh dabei war. «Seit Schimanski-Zeiten bin ich Fan der Sonntagabend-Krimis, da bietet es sich an, mitzumachen.»

Sonnyboy in der ersten Reihe

Andy Wolf macht beim viermaligen KKL-Dreh eine grosse Karriere durch: Anfangs von den oberen Rängen zuschauend und applaudierend, mischt sich der braungebrannte Sonnyboy bis am Sonntag in die erste Reihe unter die VIPs. «So nah wie diesmal war ich noch nie am Dreh!»

Doch Kenner wissen: Beim letzten «Tatort» lief Andy Wolf versehentlich Kommissar Flückiger (Stefan Gubser) ins Bild, und so war er 0,5 Sekunden zu sehen. Den Filmemachern schien das sympathische Ins-Bild-Stolpern zu gefallen.

Seine Chance für ein bisschen Luft aus der TV-Welt wittert ein anderer Luzerner schon seit Jahren. Peter Joho (68) weiss als PR-Mann, wie man sich in Szene setzt. Als die Sirene läutet zur Bekanntmachung, dass gleich scharf (mit Bildern) geschossen werde, nimmt er seine Begleitung Marie Therese Sütterle (71) am Arm: «Hier lang!» Und die zwei stürzen sich gleich nach den Hauptdarstellern – vermeintlich gut im Sichtfeld der Kamera – auf den Roten Teppich. Ob das fürs Prime-Time-Programm reicht, bleibt abzuwarten.

Ab auf den Roten Teppich: Peter Joho mit Begleitung Marie Therese Sütterle.

Ab auf den Roten Teppich: Peter Joho mit Begleitung Marie Therese Sütterle.

(Bild: hae)

Kurz vorher hat Joho noch erklärt, dass er bereits achtmal bei Drehs vom Schweizer Fernsehen dabei war. Er wisse, dass viele der Statisten mit falschen Erwartungen kämen und dann leider enttäuscht seien, wenn sie sich nicht im Film sähen. «Man muss sein Glück schon ein bisschen forcieren», sagt der trotz Armschlinge sportlich anmutende Joho augenzwinkernd.

12. «Tatort» im Frühling 2018

Der nächste Luzerner «Tatort» wird im Frühling 2018 unter dem Titel «Alte Männer sterben nicht» ausgestrahlt werden. Gleich zwei Neuigkeiten wird die Crew um Regisseur Dani Levy und Hugofilm-Produzent Christoph Neeracher beim 12. Schweizer «Tatort» präsentieren können: Am selben Abend gelangen auf SF 1 und auf ARD zwei ziemlich unterschiedliche Filme zur Ausstrahlung.

Nicht nur, weil der eine in Dialekt und der andere in Hochdeutsch gedreht wurde. Sondern weil man nach dem Stilprinzip «One Take» filmte: Kameramann Philip Zumbrunn war der Mann, auf dessen Schultern an den vier Drehnächten die grösste Belastung lag.

Ungeschnitten à la Handyfilm wurden die gesamten 88 Minuten an einem Stück abgefilmt. Das dürfte einiges an Action versprechen. Das erste und bis heute berühmteste Beispiel eines Langfilms als One-take-movie stammt vom Meister der Suspense, Alfred Hitchcock: «Rope», zu deutsch «Cocktail für eine Leiche» (USA 1948).

Verschwunden im Blitzlichtgewitter

Sehr locker nimmt es auch Johos Filmpartnerin – seine Frau trifft er erst anschliessend in der Bar –, die aus Mailand stammt. Die Wahlluzernerin Marie Therese Sütterle freut sich: «Hier kann ich endlich mal meine Galakleider ausführen. Bei sonstigen KKL-Konzerten bin ich ja oft hoffnungslos overdressed. So wie die Leute da heutzutage daherschlampen …» Und verschwunden sind sie im Blitzlichtgewitter der Fotografen. Doch auch sie sind nur am Rand des Roten Teppichs wie echt drapierte Darsteller.

A propos echt: Viele graue Mäuse und schwarz-weisse Pinguine gibt es unter den herausgeputzten Hundertschaften Herren zu sehen, und man merkt: Manch einen zwickt die Krawatte und kneift die Fliege allzu sehr.

Bei den Frauen hingegen ist mehr Coolness sichtbar und auch Farbe erlaubt. Schliesslich hatte man sich vor der Anmeldung zum Statisten-Casting mit einem Dresscode vertraut zu machen. Und allenfalls neu einzukleiden. Mindestens aber ein privater Coiffeur-Besuch war vielfach angesagt! Wohl viele Stunden wurden vor dem Spiegel investiert …

Schwerer Stoff

Ach ja, und worum geht es überhaupt? Es gibt noch eine Story im Film zu erzählen. Es ist keine leichtfüssige: Ein schwerreicher Mäzen lädt die Schönen und vor allem Reichen der Stadt zu einem Benefiz-Konzert ins KKL ein. Diese haben 10’000 Franken pro Ticket bezahlt und dürfen dem Jewish Chamber Orchestra lauschen.

Draussen vor den Toren der heiligen KKL-Hallen tobt eine Demonstration, denn der Mäzen, ein mittlerweile alter Mann mit Rollator, hat in der Judenverfolgung des Zweiten Weltkriegs eine unrühmliche Rolle gespielt. Was einen anderen Mann zum Mord im KKL anstachelt … Welch schwerer Stoff – hoffentlich gelang da die leichtfüssige Umsetzung im One-take-Verfahren (siehe Box).

Nicht alles, was glänzt, ist Gold

Gut, strahlen da vorab schon mal die aufgebrezelten Statisten. Wobei, den Glamour und die Mehrbesseren hinterfragt der Basler Regisseur Dani Levy («Aimée & Jaguar», «Alles auf Zucker») gerne.

Kleiner Sack, grosse Gefühle: «Ich war am Tatort!»-Goodie-Bag.

Kleiner Sack, grosse Gefühle: «Ich war am Tatort!»-Goodie-Bag.

(Bild: hae)

Doch nicht alles, was glänzt, ist bei genauem Hinschauen bekanntlich auch Gold wert. Das sah man an der Verpflegung: Cüpligläser gab’s zwar, doch die sind mit Süssmost gefüllt, dazu werden Äpfel und Cracker gereicht. Bestes Beispiel dafür waren auch die Goodie-Bags, welche die rund 1’000 Statisten an den vier Abenden mit nach Hause nehmen dürfen – und da sind wir wieder beim Militär: ein billiger Plastikrucksack mit Wasser, Kugelschreiber und einem Sack Chips.

So klein die Freude beim Aufmachen, so gross sind vermutlich die Gefühle von vielen nach dem Dreh. Mörderische Bilanz: «Ich war am Tatort!»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon