Enteignung wegen Strassenprojekt Spange Nord

Luzern verschacherte Grundstück – und bezahlt nun womöglich teuer

Das Grundstück reicht bis an die Reuss. Urban Frye zeigt, wo die Fluhmühlebrücke durchführen soll.

(Bild: les)

Falls die Spange Nord dereinst realisiert wird, kommt der Kanton nicht um teure Enteignungen herum. Dumm nur, wenn ein Grundstück schon einmal in Kantonsbesitz war. Der Besitzer könnte sich über einen Geldsegen freuen, doch er ärgert sich als Steuerzahler und sieht in der Posse Argumente gegen das Projekt – denn er ist auch Politiker.

Es war am 18. Januar 2002. Urban Frye setzt seine Unterschrift unter einen Kaufvertrag. Für 790’000 Franken kauft sich Frye vom Kanton ein Zweifamilienhaus mit Atelier und Garage an der St. Karlistrasse 71.

Der Kanton hatte das Grundstück 1970 für die Realisierung eines Strassenprojekts erworben. Im Zusammenhang mit dem Autobahnanschluss Nordtangente war seinerzeit geplant, über diese Liegenschaft eine Strasse mit anschliessender Brücke über die Reuss zu bauen. Inzwischen sei dieses aber nicht mehr aktuell, heisst es im Kaufvertrag von 2002.

Es droht eine Enteignung

2017: Die Planungen für die beiden Strassenprojekte Bypass und Spange Nord sind weit fortgeschritten. Die Spange Nord soll die Hauptverkehrsachse vom Schlossberg bis zur Fluhmühle werden. Dadurch soll der nördliche Teil der Stadt Luzern beim Anschluss Lochhof ans Nationalstrassennetz angebunden werden (siehe interessante Links). Wiederum ist das Grundstück an der St. Karlistrasse 71 betroffen. An dieser Stelle sollte nach heutigen Plänen die vierspurige Brücke über die Reuss hin. Urban Frye droht eine Enteignung – respektive ihm winkt eine finanzielle Entschädigung.

«Ich habe das Grundstück von zwei Gutachtern schätzen lassen und könnte bei einer Enteignung mit einer Entschädigung von knapp 4 Millionen Franken rechnen», sagt Frye. Doch er will das Geld gar nicht. Ihm gefällt es an der St. Karlistrasse und er würde gerne in das Grundstück investieren (siehe Box). Unabhängig davon, ob es ihn persönlich betreffe, schüttelt Frye den Kopf, dass der Kanton nun rund das Fünffache bezahlen muss. «Das ärgert mich als Steuerzahler. Ein sorgfältiger Umgang mit den Finanzen sieht definitiv anders aus.»

Das Grundstück von Urban Frye grün eingezeichnet.

Das Grundstück von Urban Frye grün eingezeichnet.

(Bild: les)

Frye plant temporäre Bauten

Seit Annahme der neuen städtischen Bau- und Zonenordnung an der Volksabstimmung vom 9. Juni 2013 könnte Urban Frye sein Grundstück dichter bebauen. «Die geplante Spange Nord verunmöglicht eine Bebauung vollkommen», sagt er jedoch. Dadurch entgehen Frye Mehreinnahmen. Er überlegt sich, Klage gegen den Kanton einzureichen, um eine Entschädigung zu erhalten. Die Stadt habe ihm Hand geboten für eine temporäre Baute mit einer vorläufigen Nutzungsdauer. Geplant ist ein vierstöckiges Gebäude mit rund 20 Wohnstudios. Über die genauen Pläne will Frye zu einem späteren Zeitpunkt informieren.

Ein «Mosaikstein» innerhalb des Projekts

Die Enteignung ist allerdings keineswegs in Stein gemeisselt. Daniel Ender, Projektleiter Dienststelle Verkehr und Infrastruktur, legt die Sicht des Kantons dar: «Grundsätzlich erfolgt der Kauf oder die Enteignung erst aufgrund eines bewilligten Projekts. Eine Enteignung erfolgt nur gegen volle Entschädigung.» Zahlen werden keine genannt. Das Grundstück sei ein Mosaikstein innerhalb des Gesamtprojektes Spange Nord/Bypass Luzern, sagt Ender auf Nachfrage. Er wehrt sich gegen die Kritik, der Kanton gehe fahrlässig mit seinem Geld um. «In der Zwischenzeit hat das Grundstück sicherlich eine Wertentwicklung erfahren, ob effektiv im genannten Ausmass, müsste in einem allfälligen Verfahren geprüft werden.»

Die Entscheidung zur Veräusserung sei 2002 aufgrund der damaligen Faktenlage getroffen worden. «Wie die Situation 15 bis 20 Jahre später aussehen würde, konnte damals niemand seriös vorwegnehmen», so Ender.

Der Kanton Luzern kauft im Zusammenhang mit Strassenprojekten nur Grundstücke oder Teilflächen von Grundstücken, wenn er sie für das konkrete Projekt benötigt. Dazu wird, wenn erforderlich, durch den Regierungsrat mit der Projektbewilligung das Enteignungsrecht erteilt, erklärt Ender. Für Urban Frye ist klar, dass er die Enteignung trotz Entschädigung anfechten wird. «Wenn nötig gehe ich bis vor Bundesgericht.»

«Man hatte damals mit dem Projekt abgeschlossen, weil es keine gute und keine mehrheitsfähige Lösung ist.»

Urban Frye, Kantonsrat Grüne

Urban Frye ist auch ein politischer Gegner des Projekts. Er sitzt für die Grünen im Luzerner Kantonsrat. Das Projekt Spange Nord missfällt ihm grundsätzlich: «Mit mehr Strassen lösen wir die Verkehrsprobleme nicht.» Aber auch aus seiner Anwohnerperspektive übt er Kritik. «Es ist schlicht eine Zumutung, eine solche Strasse mitten durchs Wohnquartier zu bauen.» Diese Haltung teilt übrigens auch der Luzerner Stadtrat (zentralplus berichtete).

Für Frye ist jedoch ein anderer Punkt ausschlaggebend. «Niemals hätte der Kanton ein solch strategisches Grundstück 2002 verkauft, wenn auch noch die geringste Chance bestanden hätte, dass man dieses noch braucht.» Für ihn ist klar: «Man hatte damals mit dem Projekt abgeschlossen, weil es keine gute und keine mehrheitsfähige Lösung ist.» Dass der Kanton mit der Spange Nord nun quasi ein identisches Projekt vorlege, kann er nicht verstehen. «Es ist völlig klar, dass man die Planungen nur wiederaufgenommen hat, weil man hofft, der Bund finanziere den Bypass.»

Eine nicht datierte Skizze des damaligen Projekts Nord-Tangente.

Eine nicht datierte Skizze des damaligen Projekts Nord-Tangente.

(Bild: les)

Veränderte Rahmenbedingungen

Beim Kanton Luzern erklärt man die Sachlage nüchtern. Daniel Ender sagt: «Zum Zeitpunkt des Verkaufs im Jahr 2002 ging man davon aus, dass der Anschluss Lochhof gemäss den damaligen Planungen nicht mehr in Betrieb genommen werden kann.» Die Rahmenbedingungen würden allerdings zeigen, dass sich der Spielraum für die Verkehrsführung in der Stadt Luzern auch 50 Jahre nach den ersten planerischen Überlegungen nicht gross geändert hat. «Mit dem Bypass Luzern stehen aber (im Gegensatz zum früheren Projekt Nordtangente/Lochhof) heute die notwendigen Kapazitäten auf der Autobahn zur Verfügung, um eine zentrumsnahe Umfahrung zu realisieren und den Verkehr in den Sonnenberg- und Reussporttunnel zu verlagern.»

Zum Vorwurf, man habe das Projekt nur wegen dem Bypass aus der Schublade geholt, entgegnet Ender: «Ausschlaggebend ist, dass der Nutzen des Bypass Luzern im Sinne eines Gesamtsystems mit der Inbetriebnahme des Anschlusses Lochhof und der Spange Nord wesentlich verbessert werden kann.» Dieser Mehrnutzen komme dem ganzen Kanton und schwergewichtig der Agglomeration zugute. Dass die beiden Projekte ihren Nutzen nur gemeinsam entfalten können, hatten auch Regierungsrat Robert Küng und Astra-Direktor Jürg Röthlisberger im Gespräch mit zentralplus betont.

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