Wie die Gemeindefinanzen schlecht gerechnet werden

Dringend gesucht: Mathe-Lehrer für Zugs Gemeinden

Trotz Geldbergen warnt die Stadt Zug vor den dunklen Wolken am Horizont. In allen anderen Gemeinden sieht's genauso aus.

(Bild: Montage wia)

Nach und nach sind sie während der letzten Monate hereingerieselt, die Jahresergebnisse der Zuger Gemeinden. Und sie alle beginnen mit ähnlichem Wortlaut. «Unerwartet positiv», «überraschend erfreulich» und «deutlich höher als erwartet», heisst es überall. Wie kommt’s nur?

Uiuiui, [Anheben des Mahnfingers], liebe Bürger, [leichtes, bedauerndes Kopfschütteln], es steht nicht gut um die Finanzen unserer Gemeinde. [Kurze Pause, um bedrückte Stimmung hervorzurufen]. Wir rechnen kommendes Jahr mit einem Minus von 6,5 Millionen. Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen, in die saure Zitrone beissen, wir müssen nun jeden Rappen zweimal umdrehen [Absetzen des Mahnfingers].

Ein Jahr später: Das haben wir aber gut gemacht, was? Da war doch sage und schreibe ein Minus von 6,5 Millionen geplant, und wir haben einen Gewinn von 15 Millionen hingezaubert. Da haben wir wahrhaftig gut gewirtschaftet.

Schwärzer gemalt als nötig

Ein solches Szenario klingt albern, ist aber gang und gäbe in den Zuger Gemeinden. Oben genanntes – überspitztes Beispiel – stammt etwa aus der Gemeinde Baar. Ein Jahr davor hatte man die Prognose dort bereits um fünf Millionen schwärzer gemalt als die effektive Rechnung.

Noch grösser ist heuer die Differenz bei der Stadt Zug. Dort war für 2016 ein Überschuss von 1,2 Millionen Franken angesagt, letztlich waren es aber doch flotte 19,9 Millionen Franken auf der Plusseite.

Und auch bei den Gemeinden Steinhausen und Cham sieht’s nicht anders aus. Dort schloss man über acht respektive sechs Millionen Franken besser ab als budgetiert. Bei weiteren kleineren Gemeinden gibt es diese Tendenz. Dasselbe Bild auch in Hünenberg, wo man trotz sattem Plus gar noch in einen Liquiditätsengpass kam (zentralplus berichtete).

«Es ist schlecht, wenn der Staat weniger Geld für etwa Infrastrukturen ausgibt, obwohl diese finanziell eigentlich umsetzbar wären.»

Andreas Lustenberger, ALG-Kantonsrat

Andreas Lustenberger, Kantonsrat bei der Alternative-die Grünen, hinterfragt dieses Vorgehen der Gemeinden. Diese Entwicklung sei in wirtschaftlicher Hinsicht problematisch. «Es ist schlecht, wenn der Staat weniger Geld für etwa Infrastrukturen ausgibt, obwohl diese finanziell eigentlich umsetzbar wären.»

Diese Meinung teilt auch der Stadtzuger Finanzchef Karl Kobelt: «Wird zu wenig investiert und verzeichnet man über mehrere Jahre einen Investitionsstau, kann sich dies zu einem späteren Zeitpunkt rächen.» Kobelt glaubt jedoch nicht, dass zu pessimistisch gerechnete Budgets der Grund für solche Versäumnisse sind: «Für eine geringe Investitionstätigkeit sind – und ich spreche hier für die Stadt Zug – vor allem Faktoren wie Einsprachen oder politisch bedingte Verzögerungen verantwortlich.»

Vorsicht vor allzu schneller Steuersenkung

Was sagt eigentlich der Experte zum Phänomen des plötzlichen Geldsegens? Christoph Lengwiler, der an der HSLU Finanzmanagement für Gemeinden unterrichtet, sieht in diesem Punkt ebenfalls eine Problematik.

Und er spinnt den Faden gleich weiter: «Es gibt noch einen anderen Mechanismus, der diese Entwicklung fördert: Sobald sich Rechnungsüberschüsse abzeichnen, erfolgt der Ruf nach Steuersenkungen.» Damit werde der finanzielle Spielraum der Gemeinde wieder eingeschränkt. «Bevor also die Steuern gesenkt werden, sollte die Nettoverschuldung der Gemeinde reduziert sein, damit später Zukunftsinvestitionen finanziert werden können, ohne den Steuerfuss dafür erhöhen zu müssen», so der Professor.

Und während der Wirtschaftsexperte von der Gefahr einer voreiligen Steuererhöhung nach positiven Rechnungsergebnissen warnt, ist der Zuger ALG-Politiker viel eher besorgt über voreilige Schlüsse, wenn die Budgets pessimistisch ausfallen.

«Solche negativen Prognosen zeichnen jeweils dunkle Wolken an den Finanz-Horizont und verunsichern sowohl Bevölkerung als auch Politik. Und dies nützen Politiker dann aus, um weitere Sparmassnahmen und Schuldenbremsen einzuführen» (zentralplus berichtete).

Ist das alles Strategie?

Ist es denn eine Strategie der Gemeinden, bewusst negativ zu budgetieren, damit man ein gutes Argument hat, um weiterhin mit der Sparkeule zu drohen?

Karl Kobelt widerspricht dieser These: «Wir versuchen, unsere Budgets so realitätsnah wie möglich zu erstellen. Bewusst ein schlechteres Ergebnis als erwartet zu budgetieren, macht keinen Sinn. Denn mit der Rechnung schlägt die Stunde der Wahrheit.»

Auch Lengwiler glaubt nicht, dass Gemeinden aus strategischen Gründen pessimistischer als nötig sind, sondern möglichst realistisch budgetieren: «Das zeigt sich ja auch in den Rechnungsabschlüssen, denn beim Aufwand weichen die Rechnungen nicht stark vom Budget ab.»

Er gibt zu bedenken, dass beispielsweise die Budgets für das Jahr 2016 im Herbst 2015 gemacht worden seien. «Damals zeichneten sich für die Rechnung 2015 in einigen Gemeinden stagnierende oder gar rückläufige Steuererträge ab. Diese Ausgangslage führte zu vorsichtigen Prognosen für 2016», erklärt Lengwiler.

«Bei der Prognose der Gemeinden gibt es grosse Unsicherheiten und deshalb werden diese meist eher vorsichtig budgetiert.»

Christoph Lengwiler, Professor für Finanzmanagement für Gemeinden

Die Überschüsse würden sich laut Lengwiler meist bei den Steuereinnahmen ergeben. «Bei deren Prognose gibt es grosse Unsicherheiten und deshalb werden diese meist eher vorsichtig budgetiert», so der Professor weiter. Zu diesen Unsicherheiten gehörten etwa stark schwankende Grundstückgewinnsteuern, unverhofft grösser anfallende Erbschaftssteuerfälle oder Sondersituationen bei den Unternehmenssteuern.

Tatsächlich seien die «überraschend hohen» Steuererträge, welche viele Gemeinden in ihrer Rechnung nennen, auf derartige Faktoren zurückzuführen. Sprich, etwa auf Sondereffekte, die in vielen Fällen einmalig seien. Deshalb sei es laut Lengwiler auch richtig, wenn die Gemeinderäte dies explizit kommunizieren und darauf hinweisen, dass für die kommenden Jahre nicht mit so positiven Zahlen gerechnet werden dürfe.

Unglaubwürdigkeit versus schlechte Grundstimmung

Dennoch ist es ja nicht das erste Mal, dass sich die Gemeinden verblüfft geben über die unerwartet guten Resultate. Vielleicht täte es den Gemeinden gut, mit etwas mehr Mut zu budgetieren. Denn glaubt man Kantonsrat Lustenberger, übertrage sich die immerwährende Schwarzmalerei bei der Budgetierung auf die Grundstimmung in Bevölkerung und Politik.

«Ja, vielleicht müsste man wirklich auch mal den Mut haben, etwas optimistischer zu budgetieren.»

Christian Lengwiler

«Ja, vielleicht müsste man wirklich auch mal den Mut haben, etwas optimistischer zu budgetieren, obwohl dann das Risiko von «überraschenden Mindereinnahmen bei den Steuern» entsteht, sagt Lengwiler. Doch macht er ganz andere Argumente geltend als Lustenberger. «Mit der Zeit glaubt niemand mehr, dass die Finanzperspektiven der Gemeinde wirklich schlecht sind und negative Rechnungsergebnisse erwartet werden müssen, wenn man nicht massive Sparpakete durchzieht», so Lengwiler. Nach Ansicht des Wirtschaftsprofessors würden sich Politiker und Bevölkerung sonst «veräppelt» fühlen.

Dennoch warnt Lengwiler deutlich davor, dass Gemeinden zu positiv prognostizieren: «Eine optimistische Budgetierung über mehrere Jahre kann zu einem Finanzdebakel führen.» Und er weist auf die Fälle Emmen und Kriens hin, in denen eben dieses Szenario eingetreten sei (zentralplus berichtete).

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