KKL-Bühne für Verschwörungstheoretiker in Luzern

Würden Sie Xavier Naidoo immer noch fürs Blue Balls buchen?

Hier wird Xavier Naidoo am 21. Juli spielen: Im Konzertsaal des KKL.

(Bild: zvg/Montage zentralplus)

Xavier Naidoo polarisiert mit seiner inhaltlichen Nähe zu Verschwörungstheoretikern und Rechtsnationalisten. Mit seinem neuen Song heimst er sich nun den Vorwurf von Antisemitismus ein – und im Sommer spielt er am Blue Balls. Da drängen sich ein paar kritische Fragen auf.

Wenn’s um Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims geht, scheiden sich die Geister: Seine nölende Stimme, der klagende Duktus und sein gläubiges Pathos ist für einige zu viel des Guten. Nun erreicht die Kontroverse um den Erfolgssänger eine neue Dimension: Seit Naidoo mit den Söhnen den Song «Marionetten» veröffentlichte, geht ein Aufschrei durch deutsche Medien.

Die Vorwürfe: Naidoo biedere sich bei Ultrarechten und Verschwörungstheoretikern an – ja, sogar Antisemitismus wird ihm vorgeworfen. Gegen Minderheiten, gegen Volksverräter, gegen die Lügenpresse, – Pegida und AfD lassen grüssen.

Im Song heisst es etwa:

Alles nur peinlich und so was nennt sich dann Volksvertreter
Teile eures Volkes nennt man schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter
Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid
Sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig seid

Eine Reichsbürger-Hymne?

Das ist mehr als ein sprachlicher Ausrutscher, sind sich Kommentatoren sicher, Xavier Naidoos wahres Weltbild trete immer deutlicher zutage. «Liebe Pop-Elite Deutschlands: Warum lasst Ihr so einen Typen machen?», fragt das deutsche Musikmagazin «Musikexpress». In Medien ist von «Reichsbürger-Hymne» die Rede. Genauso vehement wird der Sänger in sozialen Medien verteidigt.

Tatsächlich erhält Naidoo immer wieder eine grosse Bühne: kürzlich bei der «Echo»-Verleihung oder als Jurymitglied in deutschen TV-Castingshows. Auch in Luzern: Am 21. Juli tritt Naidoo zum wiederholten Mal am Blue Balls auf, heuer das erste Mal solo. Das Konzert am Blue Balls war innert drei Tagen ausverkauft.

«In meinen 14 Jahren bei der Schüür hatte ich etliche Bands mit viel kruderen Ansichten als Xavier Naidoo.»

Thomas Gisler, Booker Blue Balls

Ein paar kritische Fragen drängen sich auf: Ist es dem Blue Balls egal, mit welchen Parolen und Gesinnungsgenossen sich Xavier Naidoo schmückt? Wir haben bei Thomas Gisler, dem Programmverantwortlichen beim Blue Balls, nachgefragt.

zentralplus: Wie gefällt Ihnen Xavier Naidoos neuer Song «Marionetten»?

Thomas Gisler: Ich habe den Song gestern gehört, mir gefallen andere Songs besser. Aber es ist ja ein Söhne-Mannheims-Song, am Blue Balls Festival tritt er solo auf. Zum Text: Irgendwie erinnert er mich an den 80er-Deutschpunk: Wir gegen oben, gegen den Scheissstaat – einfach unter anderen Vorzeichen.

zentralplus: Verfolgen Sie die Debatte?

Gisler: Ja, man bekommt es automatisch mit. Es ist klar, dass Xavier Naidoo polarisiert, das war schon immer so. Aber ich finde auch, dass hier viel von den Medien hineininterpretiert wird. Man darf sich da nicht zu sehr reinsteigern, das wird übertrieben. Passend dazu finde ich die satirische Reaktion von Jan Böhmermann.

Hier das Video von Jan Böhmermann dazu:

 

zentralplus: Es ist ja nicht nur ein Geschmacksfrage, sondern es hat eine politische Dimension. Die Vorwürfe sind heftig: Antisemitismus, Nähe zu Verschwörungstheoretikern und Ultrarechten – was sagen Sie dazu?

Blue-Balls-Festival

Das diesjährige Blue Balls findet zwischen 21. und 29. Juli statt – die Konzerte gehen wie immer im KKL, Pavillon am Quai und Schweizerhof über die Bühne. Das diesjährige Festival-Face ist der Londoner Samm Henshaw (zentralplus berichtete).

Weiter im Programm sind unter anderem Benjamin Clementine, Morcheeba, Taj Mahal & Keb’ Mo’, Peter Doherty, Patti Smith, White Lies, John Newman oder Cody Chesnutt. Zudem gibt’s Street Art von verschiedenen Künstlern und eine Foto-Ausstellung von Laetitia Negre.

Gisler: Es hat vor allem in Deutschland eine grosse Dimension angenommen, aber ich denke, es hat auch mit dem Zeitpunkt vor den Wahlen zu tun, und der AfD. Xavier Naidoo bezeichnet sich als Wahrheitssuchenden, andere sagen Verschwörungstheoretiker. Klar, man kann ihn in diese Ecke stellen. Andererseits trat er auch für Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit auf; es ist halt nicht so einfach mit dem Links-Rechts- und Böse-Gut-Schema. Er ist einfach ein bisschen crazy, aber das ist nichts Neues.

zentralplus: Würden Sie ihn also immer noch buchen?

Gisler: Ja, auf jeden Fall. Die Show weckte ein grosses Interesse und ist ausverkauft. Im Dezember tritt er im Hallenstadion auf, das ist zehn Mal grösser. Die Leute kommen nicht nur wegen seiner Aussagen in den Texten, sondern vor allem wegen der Musik.

zentralplus: Passt Xavier Naidoo überhaupt zum Blue Balls – inhaltlich wie musikalisch gesehen?

Gisler: Ja sicher, es ist qualitativ eine super Show, die hervorragend in den KKL-Konzertsaal passt.

Und das tönt dann so:

 

zentralplus: Haben Sie keine Angst, dass das negativ auf das Festival abfärbt?

Thomas Gisler, Booker beim Blue Balls.

Thomas Gisler, Booker beim Blue Balls.

(Bild: zvg)

Gisler: Nein, Xavier Naidoo ist einer von 78 Acts. Lustig ist auch: In meinen 14 Jahren bei der Schüür hatte ich etliche Bands mit viel kruderen Ansichten als Xavier Naidoo. Ich war dann jeweils froh, wenn sie nach einem Gespräch im Backstage wieder abgefahren sind (lacht). Nehmen wir Slayer, die haben in den 80ern auch polarisiert mit nationalsozialistischem Gedankengut. Oder Lynyrd Skynyrd etwa finde ich eine tolle Band, auch wenn sie totale Rednecks sind. Aber ich hätte sie damals gebucht, weil die Musik gut ist.

zentralplus: Haben Sie negative Reaktionen erhalten wegen Xavier Naidoo?

Gisler: Nur ein paar böse Facebook-Männchen, die kann ich an einer Hand abzählen. Es gibt immer pro und kontra, aber die Reaktionen aufs Programm sind sehr positiv.

zentralplus: Was müsste passieren, dass man einen Künstler wieder auslädt? Welche Grenze müsste überschritten sein?

Gisler: Das machen wir grundsätzlich nicht, wir stehen hinter unseren Engagements.

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